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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


auch in der französischen Romanschriftstellerei viel Berufene und wenig Auserwählte, und nicht nur die Werke der Auserwählten, sondern auch der Berufenen, ja nicht selten sogar der Unberufenen werden in’s Deutsche übertragen. Keiner von den nur einigermaßen bekannten französischen Romanschriftstellern ist in Deutschland unbekannt.

Von diesen will ich daher nicht sprechen. Hingegen darf ich nicht mit Stillschweigen die Unzahl der Romanfabrikanten übergehen, die jeden Tag mehrere Tintenfässer erschöpfen und die ganz gewiß verlegen wären, wenn man sie um die Zahl oder die Namen ihrer Musenkinderschaar fragte. Ich habe einen dieser Romanmachermeister gekannt, der für fünf verschiedene Feuilletons fünf Romane zu gleicher Zeit schrieb, und ich kenne einen andern, der in diesem Augenblick an einem viertel Dutzend arbeitet. Jeden Morgen um zehn Uhr setzt er sich an den Schreibtisch, wo er, ohne eine Secunde zu verschnaufen, auf je fünf langen Papierstreifen die Fortsetzung eines seiner drei Feuilletonromane ausspinnt. Nach ein paar Stunden vertheilt er die fünfzehn engbeschriebenen Blätter an die drei Journale. Manche dieser mit zehn Pferdekraft arbeitenden Romanschreiber unterliegen bald der sauern Arbeit. Andere, die dies befürchten, suchen sich dieselbe durch Mitarbeiterschaft zu erleichtern. Die Mitarbeiterschaft bei dramatischen Erzeugnissen ist bekanntlich in Frankreich eine gewöhnliche Sache, und vielleicht wäre sie auch schon in Deutschland eingeführt, wenn Deutschland eine Hauptstadt hätte. In der Hauptstadt Englands hat sie schon zur Zeit Shakespeare’s bestanden, wie man an den Werken Beaumont’s und Flechter’s ersieht. Bei solcher Mitarbeiterschaft thut sich in der Regel der Bühnenunkundige mit dem Kundigen zusammen, der den gelieferten Stoff zum darstellbaren Stück ausarbeitet. Die Namen Beider sind dann unzertrennlich auf dem Theaterzettel. Beim Roman ist das Verfahren natürlich ganz anders. Der gewiegte Romanschreiber läßt sich von einem ungewiegten nicht nur das Material herbeischaffen, sondern auch dasselbe roh ausarbeiten; er setzt dann die Feile daran, oder schmelzt es gänzlich um und versieht das Werk mit seinem Namen, nachdem er sich mit dem Gehülfen abgefunden.


Die Insel Juist: Kirche und Kirchhof.
Nach der Natur aufgenommen von Fr. Schreyer.


Die beliebten Romanschreiber suchen ihre Popularität so viel wie möglich auszubeuten. Sie lassen ihre Hervorbringungen zuvörderst als Feuilletons erscheinen. Der „Temps“, das „XIX. Siècle“, „Siècle“, und die „Indépendance belge“ zahlen gut und sehen auf einen gewissen literarischen Werth.

Die kleineren Journale sehen aber vor Allem darauf, daß der Roman die Massen packe und daß in demselben möglichst viel Blut vergossen werde. Den beliebten Romanschreibern wird ein Honorar von sechs Sous, den gelesensten, wie Zola, Montepin, Richebourg, wohl zehn Sous für die Zeile bewilligt. Das ist aber auch der höchste Satz. Die große Menge der Romanfeuilletonisten begnügt sich mit einem Honorar von drei Sous für die Zeile. Die Feuilletons erscheinen dann in Bänden und werden je nach der literarischen Stellung des Autors honorirt. Die erste Ausgabe eines solchen bereits in Feuilletons erschienenen Romans wird in zweitausend Exemplaren, die folgenden Auflagen werden je in tausend Exemplaren abgezogen. Der Autor erhält in der Regel vom Verleger für jeden Band zehn Procent vom Ladenpreis; die besonders populären Schriftsteller erhalten acht Sous und die populärsten wohl zehn bis zwölf Sous für jeden Band. Die kleineren Provinzialjournale bemühen sich natürlich, die in Paris erschienenen Feuilletons so schnell wie möglich ihren Lesern zu bieten. Sie haben sich jedoch zuvor mit den Verfassern abzufinden, deren Eigenthumsrecht von den Commissionären der „Société des gens de lettres“ auf's Sorgsamste überwacht und geschützt wird.

Die französischen dramatischen Dichter und Romanciers sind schon dadurch günstiger als ihre Mitbrüder anderer Nationalitäten gestellt, daß ihre Stücke auch im Auslande zur Aufführung gelangen, daß ihre Romane dort große Verbreitung finden, da die gebildeten Classen aller Nationen französisch verstehen. Ein französischer Schriftsteller von Talent wird schnell in allen Enden der Welt bekannt, erwirbt sich nicht selten ein bedeutendes Vermögen und behauptet in seinem Vaterlande einen hohen Rang. Fälle, wie sie in Deutschland vorkommen, daß populäre Componisten, wie Conradin Kreutzer und Lortzing, daß productive Theaterdichter, wie Roderich Benedix, in dürftigen Verhältnissen sterben, und daß ein Mann wie Gutzkow, dessen Romane in Aller Händen waren, von dem einzelne Stücke sich länger als

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_133.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)