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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


brillant gefärbte Stoffe und Hüte am gesuchtesten sind, während die jungen Boersöhne die so selten sich ihnen darbietende Gelegenheit, jugendlichen Grazien den Hof zu machen, selbstverständlich nicht ungenützt vorübergehen lassen. Es ist daher eine sehr erklärliche Sache, daß unter den bei Gelegenheit eines „Nachtmahles“ gemachten Geschäften auch das Abschließen von Verlobungen und Ehebündnissen sehr an der Tagesordnung ist. Was aber unter uns bei solcher Gelegenheit nicht fehlen dürfte: Bälle oder wenigstens harmlose Vereinigungen von Familien zu einem gemüthlichen Tänzchen, das kommt dort nicht vor. Ist es der strenge puritanische Sinn, der in diesen Boerseelen wohnt, oder der Mangel an dazu passenden Localen und Musikanten, oder die Unfähigkeit zum Tanzen selbst, welche hieran die Schuld tragen, ich weiß es nicht – je nun, ein Jeder amüsirt sich trotzdem nach seiner eigenen Façon, und die Boerjugend vergnügt sich in der ihnen gewohnten Art gewiß nicht weniger, als unsere, raffinirtere Genüsse beanspruchende junge Generation.

Das Leben eines Boers ist übrigens nicht immer nur solch eine stetige Fortsetzung ruhigen und zufriedenen, phlegmatisch begnügten Dahinvegetirens. Der Sonnenschein seines friedlichen Alltagslebens wird zuweilen durch gar böse Gewitter grell unterbrochen. Heuschrecken, Hagelschlag, Viehepidemien, Viehdiebstahl durch im Lande herumvagirende Hottentotten- und Kaffernstrolche, plötzliches Weglaufen seiner spärlichen schwarzen und gelben Dienstboten und dies vielleicht gerade zu einer Zeit, wo für die Ernte der Feldfrüchte deren Hülfe ganz unentbehrlich war, Viehvergiftung als sehr gebräuchliche Rache gescholtener oder weggejagter farbiger Dienstboten oder endlich eine dürre Saison, vollständiger Regenmangel während sechs bis acht Monaten, in Folge dessen der Wasserdamm und der Brunnen vertrocknen und die Schafe und anderes Vieh zu Tausenden dahinsterben – das sind die bösen Feinde, die dann und wann den Boer heimsuchen, seine Leber afficiren und seiner sonst ungestörten Fettbildung hindernd in den Weg treten. Ein dürres Jahr kommt zum Glück im Durchschnitt nur alle sieben Jahre. In einem solchen geht aber auch leicht der gesammte Heerdenstamm einer Farm zu Grunde. Ebenso verderblich wird auch ein dann und wann kommendes zu nasses Jahr den Heerden; der gänzliche Mangel an schützenden Stallungen hat dann namentlich unter den Lämmern und Schafen massenhaftes Absterben zur Folge.

Die gesellschaftliche Scheidung zwischen der holländischen und der englischen Rasse fängt schon in Capstadt an und geht von da sehr sichtbar durch die ganze Cap-Colonie hindurch, sich in den beiden Freistaaten lebhaft fortsetzend. Forscht man nach der Ursache dieser socialen Scheidung, so findet man, daß sie weniger in persönlichen oder nationalen Antipathien ihren Grund hat (denn die Charaktere des Holländers und des Engländers sind ja nicht wesentlich verschieden und passen im Grunde ganz gut zu einander), als vielmehr in der langjährigen schlechten Behandlung, welche die holländischen Colonisten in Südafrika durch die englische Regierung zu erdulden hatten.

Die letztere hat seit der gewaltsamen Annexion der Cap-Colonie im Jahre 1795 (um sie nicht in die Hände Napoleon's, der Holland erobert hatte, fallen zu lassen) nur wenig gethan, um sich bei den Colonisten beliebt zu machen. Am allermeisten aber hat sie sich seit dem Jahre 1834 verhaßt gemacht durch unvorbereitete Durchführung einer humanitären Maßregel, die an sich die volle Zustimmung jedes civilisirten Menschen haben muß: der Sclavenemancipation. Hierdurch wurde allerdings die Colonie plötzlich ihres ersten Bedürfnisses, nämlich billiger und stets disponibler Arbeitskräfte, beraubt.

Tausende von holländischen Bauern verließen in Folge dessen vom Jahre 1836 an ihre früher so blühenden Farmen und suchten mit ihren Viehheerden jenseit des Oranje-Stroms und in der heutigen Provinz Natal neue Wohnplätze, die sie fortwährend mit Pulver und Blei gegen die widerspenstigen Eingeborenen zu vertheidigen hatten. Allmählich, theils durch gütlichen Vertrag und Kauf, theils durch Gewalt, unterwarfen sie ihrer Herrschaft die eingeborenen Stämme. Wo bisher nur das Brüllen wilder Thiere und das Kriegsgeheul blutdürstiger Schwarzen ertönt war, entstanden durch den Fleiß, die hartnäckige und ausdauernde Arbeit und Energie der holländischen Bauern (die nun von den Engländern zur Bezeichnung ihrer neuen besonderen Nationalität schlechthin die „Boers“ genannt wurden) nach einander drei blühende Freistaaten: der Oranje-Freistaat, die Republik Natal und die Transvaal-Republik.

Die Republik Natal wurde ihnen jedoch von den Engländern im Jahre 1842 mit Gewalt abgenommen, ebenso im Jahre 1845 die Oranje-Republik, welche bis dahin ohne besondere staatliche Organisation gewesen war. Die anhaltenden Grenzstreitigkeiten zwischen den von England protegirten eingeborenen Stämmen auf dem Gebiete der „Sovereignty“ und den wilden, fortwährend in dieses Gebiet einfallenden Basutos hatten jedoch für die englische Regierung so viele Störungen, Kriegsgefahren und Ausgaben zur Folge, daß sie, des ewigen Trubels müde, im Jahre 1854 sich entschloß, die Oranje-Sovereignty wieder aufzugeben und sie von Neuem den Boers zu überlassen. Am 23. Februar 1854 schloß sie mit den Bauern eine Convention ab, die dem Oranje-Freistaate seine vollständige Unabhängigkeit gewährte. Den jenseits des Vaalflusses wohnenden Bauern der im Jahre 1848 formell gegründeten Transvaal-Republik hatte England schon zwei Jahre früher (1852) durch eine ähnliche Convention ihre Unabhängigkeit gewährleistet.

Unter Präsident Brand ist der Oranje-Freistaat unbedingt der bestregierte Staat Südafrikas geworden, ein wahrer Musterstaat für alle umliegenden Nachbarländer. Er hat eben deshalb, namentlich durch die beispiellose Billigkeit seines gesammten Regierungsapparates und die strenge Ehrenhaftigkeit seiner republikanischen Leiter, schon seit einem Jahrzehnt eine solche gewaltige Anziehungskraft auf die holländische Bevölkerung der angrenzenden englische Cap-Colonie ausgeübt, daß Tausende von Familienvätern ihre dortigen Farmen im Stiche ließen und nach dem Freistaate auswanderten. In Folge dessen besitzt der Oranje-Freistaat auf seinem Gebiet von 2000 deutschen Quadratmeilen (also gleich Baiern, Württemberg und Baden zusammengenommen) jetzt schon 6000 bis 7000 Farmen und ist der Preis des Grundes und Bodens hier schon viel höher gestiegen als in der englischen Cap-Colonie. Freilich sind die eingeborenen Schwarzen bei dieser Organisation schlecht bedacht, insofern ihnen im ganzen Freistaat der Besitz von eigenem Grund und Boden versagt, ihr Wohnungsrecht auf den Farmen ausdrücklich an die Bedingung geknüpft ist, daß sie dem Farmer für einen monatlichen oder jährlichen Lohn als Dienstboten und Arbeiter in seiner Feld- und Viehwirthschaft dienen. Dafür giebt es aber nunmehr im Freistaate nicht, wie z. B. in der englischen Colonie Natal, jene Massen von schwarzen Faullenzern, die ausschließlich ihre armen Weiber als unterthänige Sclavinnen in Feld und Garten für sich arbeiten lassen, vielmehr ist die eingeborene Bevölkerung des Freistaates, im Gegensatz zu derjenigen der benachbarten englischen Colonien, arbeitsam, gehorsam und zufrieden, mäßig und nüchtern und hat im Allgemeinen viel mehr wirkliche Anhänglichkeit an ihre Lohnherren, als man jemals bei den verzogenen Schwarzen der englischen Colonien finden wird. Als Uebergangsstadium im erziehlichen Interesse hat sich die so geschaffene Stellung der Schwarzen trefflich bewährt.

Als die Boers in den Jahren 1865 bis 1866 und 1867 wieder zwei blutige Kriege mit dem fortwährend raubend in ihre Grenzdistricte einfallenden wilden Bergvolke der Basutos erfolgreich geführt hatten und im Begriff standen, ganz Basutoland zu annectiren – da war es wieder die englische Regierung, die sie um die Früchte ihres Sieges brachte. Sie nahm, um die Boers nicht zu mächtig werden zu lassen, die geschlagenen Basutos unter ihren Schutz und zwang die Sieger, sich mit dem schon 1866 eroberten, längs der Gebirge liegenden Districte (seitdem das „Eroberte Gebiet“ genannt und an zum Militärgrenzdienst speciell verpachtete Farmer unentgeltlich ausgegeben) zu begnügen, während Basutoland, diese hochromantische Schweiz Südafrikas mit ihrer Bevölkerung von damals 75,000 Schwarzen, den englischen Besitzungen als „Schutzstaat“ einverleibt wurde.

Und die beiden neuesten Liebesthaten, welche die englische Regierung den Boers erwiesen, waren erstens die im Jahre 1871 allem Völkerrechte zum Hohne im tiefsten Frieden ausgeführte gewaltsame Annexion der Diamantenfelder, deren Terrain seit der Convention von 1854 im unzweifelhaften rechtlichen und factischen Besitz des Oranje-Freistaates gestanden hatte, nunmehr aber durch ihren jährlichen Diamantenertrag von 40 Millionen Mark die Habgier der englischen Colonialregierung unwiderstehlich reizte,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_176.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)