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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


in ein Stück schwarzen Seidenzeugs eingeschlagen, eine Reihe von Gebeinen in Ordnung neben einander liegend. Unter diesen lag eine schwarze Dalmatika mit einem einzelnen rothseidenen Längestreifen über Brust und Rücken. Darunter zwei Stücke Seidenzeug, welche je aus zwei rothen und von diesen umschlossenen gelben Streifen bestanden und deren Nähte durch einen schmalen blaugefärbten Lederstreifcn gedeckt waren. Unter diesen lag wiederum ein Stück Leinen in verblaßten Farben. In ein ähnliches Stück Leinen waren die Gebeine eingeschlagen, welche das eine schwarze Säckchen enthielt. Beide Stücke waren auf den Nähten und inmitten der Streifen, nach einer gewissen Ordnung, mit Lederstückchen besetzt.“

Hiermit und mit den beiliegenden Documenten war der Inhalt des Sarkophags erschöpft. Nach dem Wortlaut dieser alten Documente, die von vielen Conventualen unterzeichnet, waren die Gebeine als die von drei Personen: eines älteren Mannes, einer älteren Frau und einer im jugendlichen Alter Verstorbenen, näher recognoscirt, die beiden Ersteren als die von Eginhard und Emma, die der Jugendlichen als die einer Gisla. Die Gebeine Eginhard’s lagen frei auf der Dalmatika, jene anderen in den beiden Säckchen. Der Pergamentstreifen an dem einen dieser Säckchen trug die Worte: „Ossa Dominae Gisla pia memoria.“ Wer diese junge Herrin war, ist nicht gesagt. Man vermuthet: eine Tochter von Eginhard und Emma. Dieser Gisla Andenken bewahrt auch noch das nahe bei Seligenstadt gelegene Dorf Zellhausen, wo Emma und Gisla als „fromme Beterinnen und Wohlthäterinnen der Armen“ im Erinnern fortleben.

Nach dieser letzten Sarkophag-Eröffnung wurde Seligenstadt abermals eine besuchte Wallfahrtsstätte, nur daß fortan nicht mehr, wie in früheren Jahrhunderten, die Gebeine der heilig gesprochenen Märtyrer: „Marcellin und Peter“ die Menschen dahin zogen – sondern die Grabstätte des berühmten Liebespaares den Magnet bildete. Freilich darf nicht verschwiegen werden, daß, nachdem der Streit zwischen Seligenstadt und Erbach zur Ruhe gekommen, ein anderer noch nicht schweigt: der Streit, ob Emma auch in Wahrheit eine Tochter Karl’s des Großen gewesen. Nun: die gefundenen Urkunden gehen mit den alten Sagen und den Insignien auf dem Sarkophage Hand in Hand, und ein Ausspruch des berühmten Rhapsoden Dr. Jordan lautet dahin: „die alte Sage sei treuer und zuverlässiger, als die alte Geschichte“.[1]

Weniger glücklich, als die Kirche, deren Restauration bereits weit vorgeschritten, sind die anderen Baureste der alten Abtei daran; sie bleiben vorläufig dem Verfall überlassen.

Das Prälaturhaus, das von allen Bauten des ehemaligen Convents das wohlerhaltenste ist, zeigt noch zur Zeit die „Kaiserzimmer“. Bieten sie auch dem Auge die entsetzlichsten Spuren der Verwüstung, so tragen sie doch auch auf der andern Seite noch den Stempel ihrer einstigen Pracht in Stuckaturarbeit und vergoldeten Ledertapeten. Einer der Säle hat seinen Wandschmuck in alten Oelgemälden bewahrt. Diese, sowie die Fresken in anderen Räumen, weisen fromme oder gelehrte Motive auf. Die Abtei besitzt auch ein altes Bild von Eginhard und Emma, das Kaiser Leopold sich copiren ließ. Ein anderes Gemälde ist der Portraitstammbaum aller Aebte, von Eginhard ab bis in’s achtzehnte Jahrhundert.

Das ganze Terrain des Klosters ist von hohen Mauern umgeben, welche alterthümliche, mit Wappen und Statuen verzierte Portale schmücken. Im Refectorium erreichte die Verwüstung den Höhegrad. Die prachtvolle, weit und hoch gewölbte Halle ist jetzt ein Holzschuppen. Und dabei steht noch am Eingange das schöne Weihbecken von Marmor; es berührt ebenso eigen, wie die Reste der Wandmalereien, wo Bischöfe in vollem Ornat den Stab segnend über Holz und Gerümpel neigen. Geradezu erschütternd aber wirkt in dem Raume, an dem zerbröckelten Pfeiler eines Fensterbogens, der letzte Ueberrest eines Gesichts: ein großes weitaufgeschlagenes Auge. Es starrt uns so ernst, so vorwurfsvoll an, daß man erschrocken, bestürzt zurückweicht.

Möchte Hessens Behörde diesen vorwurfsvollen Blick doch auf sich beziehen und durch ihn bewogen werden, der so stark um sich greifenden Verwüstung in der alten Eginhard’schen Abtei Einhalt zu thun!

Wie die Abtei ihre Wandlungen erfahren hat, so auch das Palatium. Die historische Stätte des alten Reichspalastes erkor sich ein speculativer Verfertiger guten Bieres zur Brauerei, und am Ende der letzten alt-interessanten Mauerwand zieht sich, unterhalb mächtiger Quadern und zierlicher Pilaster und Säulen, in friedlich einfacher Holzbedachung eine Kegelbahn hin. „Mainlust“ heißt zur Zeit der Ort, der Garten, wo man sich nach allen historischen Kreuz- und Querzügen durch Seligenstadt ausruhen und erquicken kann. Der „Mainlust“ gegenüber liegt am Saume des Alzenauer Freigerichts Dettingen, und blicken wir in die weite Ebene, so haben wir das Schlachtfeld vor uns, auf welchem 1743 die Pragmatische Armee unter König Georg dem Zweiten von England einen so blutigen Sieg über die Franzosen erfocht. Kirchhöfe der Umgegend bewahren auf alten Leichensteinen noch die Namen manches Opfers der Schlacht. Auch der dreißigjährige Krieg sandte seine verheerenden Horden in die Gegend, die nun den Stempel eines tiefen Friedens trägt und unter seinen Segnungen blühend gedieh.

Der Ort Seligenstadt selbst weist nur zwei mehr als zweifelhafte Erinnerungen an die Zeit Eginhard’s auf.

Im Innern des Städtchens trägt ein uraltes Giebelhaus als Wahrzeichen einen Kopf. Die Einen deuten denselben dahin: „Das ist Kaiser Karl, der nach seiner Tochter ausschaut.“ Andere wiederum erzählen die Geschichte vom Fische und Koch mit einer Miene, als habe sie sich am Tage zuvor zugetragen, und sie enden den Bericht mit den Worten: „Bis hierher lief der Koch in seinem Schrecken, und das Haus, das nun hier steht, nahm seinen Kopf als Wahrzeichen.“ Im Gasthause „Zur Krone“ aber bewahrt man einen kunstvoll geschnitzten Löffel mit Kette. Aus dem soll Karl der Große getrunken haben. Interessant ist das durch ein altes Fremdenbuch nachgewiesene Factum, daß Peter der Große, als er im Juni 1698 auf seiner Reise nach Rom in Seligenstadt übernachtete, jenen Carolus-Löffel als Becher benutzte. Auch andere deutsche Kaiser tranken daraus, die auf ihren Reisen zur Kaiserkrönung nach Frankfurt in Seligenstadts Abtei Rast machten.

Als wir vor Kurzem wiederum mit Freunden und Verehrern der altdeutschen Sage in Seligenstadt waren, nahmen wir von da aus den Rückweg nach Frankfurt über Dreieichenhain. Die dichten und dunkeln Fichten- und Föhrenwaldungen, die sich von Seligenstadt gen Offenbach erstrecken, die Laub- und Nadelwaldungen, welche wiederum gen Langen, Isenburg und Dreieichenhain sich hindehnen – es sind noch immer herrliche Waldbestände. Um Dreieichenhain haben sogar, woran der Name erinnert, noch die deutschen Eichenwaldungen ihr Reich. Vergebens aber sucht man unter den alten Baumriesen nach jenen berühmten „drei Eichen“, einer alten Gerichtsstätte. Wo jetzt der Kirchplatz von Langen ist, sollen sie einst ihren Platz gehabt haben. Dafür besitzt Dreieichenhain eine sehr schöne Burgruine. Dort stand, wie schon bemerkt, ehemals das Jagdschloß Karl’s des Großen, und dort rasteten nach der Sage Eginhard und Emma auf ihrem Verbannungswege. Unterhalb der Ruinen zieht sich ein Weiher entlang. Auch in seine Fluth senkte Fastrada, das von Kaiser Karl so glühend geliebte Weib, einen Zauberring, ihn wieder an die Stelle zu locken und da zu bannen, wo sie so glücklich mit ihm gewesen. Des Ringes Zauber wirkt der Sage nach noch immer. Wer die klare Fluth des stillen Wassers einmal erschaute, den zieht es wieder zur Stelle. Und wer ließe sich nicht gern zu jenen Eichenwäldern locken – in jene alten, sagenumsponnenen Ruinen, wo schon die Römer ein Castrum erbaut hatten! Man weist die Ansiedelung der Römer zu Seligenstadt und Dreieichenhain um die Zeit nach, wo Kaiser Trajan begann, die Südseite des Mainstromes ebenso zu befestigen, wie man zu Drusus’ Zeiten seiner nördlichen Linie entlang Castelle erbaut und Pfahlgräben angelegt hatte. Wo jetzt in Seligenstadt, nahe der Abteikirche und dem Palatium, ein alter Mainthorthurm aufragt, soll ehemals sich eines der vier Thore eines römischen Castrum befunden haben: die Porta Sinistra.

Ein hessischer Chronist führt sogar an: in Seligenstadt wäre schon ein Theil der 22. römischen Legion detachirt gewesen,

  1. Wir unsrerseits ziehen es vor, uns an das Resultat der kritischen Geschichtsforschung zu halten. Nach demselben hat Eginhard allerdings die Abtei Seligenstadt gebaut, aber auf einem 815 ihm von Ludwig dem Frommen (Kaiser Karl starb 814) geschenkten Territorium, und seine Gemahlin Emma oder Imma, mit welcher er sich in die Abtei zurückzog, war nicht eine Tochter Karl’s, sondern die Schwester des Bischofs Bernhard von Worms. Eginhard (oder Einhard) starb am 14. März 840.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_283.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)