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verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Nachdem wir uns in der durch ihren Besitzer bekannten und vielbesuchten Conditorei des Herrn Deesen gestärkt, schreiten wir an den beiden schon sehr modernisirten Häuserreihen der Schmiedestraße vorüber und treten auf den an alterthümlichen Gebäuden so reichen Holzmarkt. Wir haben hier das Bild vor uns, welches unser Holzschnitt zeigt. Unwillkürlich fühlen wir uns um einige Jahrhunderte zurückversetzt; das, was sich unserem Auge bietet, steht den berühmten Nürnberger Stadtansichten in keiner Weise nach. Vor allen Dingen entzückt uns ein stattliches Hans, von dessen Alter die Ehrfurcht gebietenden Zahlen 1433, 1531, 1663 zeugen; die Füllung der Brüstung – eine „Justitia“ mit verbundenen Augen und den Buchstaben T S W (Trau, Schau, Wem) – und ein sinniger Spruch, der das mit Wappen und Bildern im Renaissancestil ausgeführte Treppenhaus ziert, machen uns die Bestimmung dieses Baues klar – es ist das „Rathhaus“.


Am Holzmarkt zu Halberstadt.
Nach einer Photographie auf Holz übertragen.


Stolz hält der alte „Roland“ mit gezücktem Schwerte davor die Wacht – einst das Zeichen des Rechts des hochnothpeinlichen Gerichts und der Grafenwürde. Wenn auch die Rosette die Jahreszahl 1483 trägt, sagt man doch, daß diese Zahl neueren Ursprungs, die Bildsäule selbst aber schon unter Karl dem Großen 789 errichtet sei. Die grausigen Mordinstrumente, die Schellen, die Eisen und die Folterwerkzeuge, die von der damaligen Rechtspflege unzertrennlich sind, befanden sich ehedem im Keller eines Hintergebäudes vom Rathhause, welches seine Front dem Fischmarkte zukehrt – des an Inschriften so reichen „Richthauses“.

Höchst spaßhafter Natur ist das „Hilarius-Männchen“ im Reliefbild am östlichen Portal: da streichen der Trompeter und der Dudelsackpfeifer dem Bürgermeister den Bauch. Halberstadt hat noch manche solcher Wahrzeichen aufzuweisen, so das „blutende Schwert“ an der Liebfrauen-Kirche, an das sich eine düstere Rittersage knüpft, dann das „Broimännchen“ an einem 1577 erbauten Eckhause der Gerberstraße zu Ehren des Brauers des

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verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1880, Seite 445. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_445.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)