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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


„Komm Edmund! Wir wollen uns auf das Sopha drüben setzen.“

„Und deshalb ziehst Du mich so gewaltsam von Deinem Schreibtische fort? Du thust ja, als ob er in der nächsten Minute explodiren müsse. Hast Du eine Mine dort gelegt?“

„Vielleicht!“ sagte Oswald mit einem seltsamen Lächeln. „Laß die Papiere liegen, komm!“

„O, Du brauchst keine Indiscretion von meiner Seite zu befürchten,“ erklärte der Graf mit heftig aufwallender Empfindlichkeit. „Du brauchtest nicht so verbietend die Hand auf Deine Papiere zu legen. Ich habe sie nicht angesehen; es geschah rein zufällig, daß ich sie in die Hand nahm. Du scheinst da Geheimnisse zu haben, und ich störe Dich wohl überhaupt im Ordnen Deiner Briefschaften. Es ist daher besser, ich gehe.“

Er machte wirklich Miene, zu gehen, aber Oswald hielt den Arm fest, der sich ihm unwillig entziehen wollte.

„Nein Edmund, so darfst Du nicht von mir gehen. Heute darfst Du das nicht.“

„Ja freilich, es ist der letzte Abend, den Du hier verlebst,“ sagte Edmund, halb grollend, halb versöhnt. „Du thust Dein Mögliches, mir zu zeigen, wie gleichgültig Dir das ist.“

„Du thust mir Unrecht – die Trennung wird mir schwerer, als Du ahnst.“

Oswald's Stimme bebte so hörbar, daß Edmund ihn betroffen ansah und all seine Empfindlichkeit fahren ließ.

„Mein Gott, was ist Dir denn? Du bist ja todtenbleich. Du warst überhaupt so seltsam den ganzen Abend. Doch, ich errathe es. Du hast da in den alten Papieren und Schriften gekramt, die wohl noch von Deinen Eltern herstammen, und das hat Dir schwere Erinnerungen wachgerufen.“

„Jawohl, sehr Schweres!“ sagte Oswald mit einem tiefen Athemzuge, „aber jetzt ist es überwunden. Du hast Recht, es waren alte Erinnerungen die mich verstimmten. Ich werde jetzt ein Ende damit machen.“

„Dann will ich wirklich gehen,“ erklärte Edmund. „Ich vergaß, daß Du noch Vieles zu ordnen hast, und wir sehen uns ja noch morgen früh. Gute Nacht, Oswald!“

Er wollte seinem Vetter die Hand reichen, aber dieser schloß ihn, wohl zum ersten Male in seinem Leben, fest und innig in die Arme.

„Gute Nacht, Edmund! Ich bin Dir wohl oft herb und kalt erschienen, wenn Du mir Deine Freundschaft so warm und voll entgegenbrachtest. Ich habe Dich aber doch sehr lieb gehabt, wie sehr, das hat mir erst diese Stunde gezeigt.“

„Die Scheidestunde!“ sagte Edmund mit halbem Vorwurf, während er doch zugleich die Umarmung mit vollster Herzlichkeit erwiderte. „Sonst wäre dieses Geständniß auch nie über Deine Lippen gekommen. Ich habe aber trotzdem gewußt, was ich Dir werth war.“

„Vielleicht doch nicht so ganz. Weiß ich es doch selbst erst seit heute. Aber nun geh! Du darfst bei Deiner Wunde wirklich nicht länger aufbleiben. Geh zur Ruhe!“

Den Arm um die Schulter seines Vetters gelegt, begleitete er diesen zur Thür und durch den Corridor. Dort trennten sie sich, aber während der junge Graf nach seinem Zimmer zurückkehrte, stand Oswald wieder vor seinem Schreibtische, das Bild in der Hand. Noch einmal ruhten seine Augen darauf; dann schloß er mit festem Drucke die Kapsel und sagte halblaut:

„Er würde daran sterben – um den Preis will ich nicht Herr in Ettersberg sein.“

(Fortsetzung folgt.)




In der Stadt Romeo's.


Es war in Verona; der Sommertag neigte sich seinem Ende zu. Ein einsamer Spaziergänger, hatte ich das Freie aufgesucht. Um mich her zuckte noch eben das nervöse Leben der Straße, doch bereits ermüdet, wie die erlöschende Gluth eines durch Leidenschaft erschöpften Herzens. Hier draußen ward es stiller und stiller. Düsterbrütend ragen die fernen Bergzinnen in die goldig blaue Luft; Abendlieder ertönen in den Thälern; die Cypressen stehen lauschend und sinnend. Wahrlich, in Italien ist der Abend das Beste vom Tage!

Die Dunkelheit steigt endlich herab, und ich schlendere nach Hause. Außer meinem Hund und meinem Kanarienvogel warten folgende Zeilen auf mich:

„Du mußt mir einen Gefallen thun, mein Freund. Gewiß verfügst Du über einen alten, fadenscheinigen Rock, einen schäbigen Hut und ein paar geflickte Beinkleider – kurz, über eine Uniform, die das Gegentheil von Salongarderobe bedeutet. Lege dieselbe hübsch an und erwarte mich um sieben Uhr am Haupteingange des Amphitheaters. Ich hoffe, Dir etwas Extrafeines bieten zu können: weltschuttbestaubte Mauern und zerbrechliche Baracken, Gladiatoren und Pulcinelli, Stiergefechte und Heirathsscenen, je nachdem Deine Phantasie mitspielen hilft oder nicht. Das ist einmal etwas zur Förderung der lieben Literatur. Mache also nicht langen Trödel und komme pünktlich! Enrico.“

Was war da zu thun! Die Einladung hatte sich schon den ganzen Nachmittag auf meinem Tische gelangweilt. In einer halben Stunde wollte es sieben Uhr hämmern. Ich warf mich hastig in die vorgeschriebene Toilette, erhöhte den Totaleindruck durch ein paar Stiefel, die infolge der Wanderungen auf den Lavafeldern des Vesuvs mit sich selbst uneinig geworden – eine Sohle zeigte bisweilen große Lust, neben dem Stiefel einherzulaufen – und befand mich zur bestimmten Zeit am Platze.

Eigenthümliche Gefühle entquellen beim Anblicke dieser ehrwürdigen Ruine dem Herzen. Der gewaltige Bau, welcher wie ein Gespenst aus fernen Jahrhunderten zu mir herüberlugt, scheint kein Gebilde der Menschenhand, sondern ein Werk jenes großen Künstlers zu sein, der die ewigen Pyramiden der Alpen aufgerichtet und, die Fackel des Vesuvs entzündet. Diese mächtigen Säulen, wie kühn sie trotz der zerklüftenden Spalten emporstreben! … Diese lustigen Bogen, die sich darüber hinwölben, um dem ganzen architektonischen Hymnus, so möchte ich sagen, eine tiefharmonische Klangfarbe zu geben!

Und ringsum das echte, phantastische, hüpfende, marionettenhafte italienische Volksleben. Hier wogt eine toll durch einander gewürfelte Menge heimathloser Armuth: Bettler, Vagabonden, Krüppel, aus denen gar seltsam, aber imponirend der auf das Ohr gedrückte Cylinder eines Pflastertreters hervorlauscht. Daneben verkaufen zerlumpte Knaben Cigarrenstummel, die sie auf allen Straßen zusammengelesen, offeriren gelbe Frauengesichter Kürbiskörner, damit die Zähne bei den theatralischen Vorstellungen etwas knuspern können, während im nahen Café über den Köpfen der Gäste vom Stiefelputzen eine Staubwolke schwebt.

Enrico klopft mir auf die Schulter.

„Endlich! … Alle Wetter, ich warte schon eine halbe Ewigkeit.“

„Dafür wirst Du auch hier, wo sonst Löwen und Tiger brüllten, die feinsortirtesten Witze eines Hanswurstes hören und so einmal zur Genüge sehen, wie jetzt die Zeiten eingeschrumpft sind.“

„Wie meinst Du das?“

„Nun, wir wollen einer Vorstellung in der elenden Bretterbude beiwohnen, die hier in der Arena errichtet ist. Kannst die ganze Welt von Treuenbrietzen bis Kuhschnappel, oder von China bis San Francisco durchbummeln, wirst nicht gleich wieder finden, wie Sonst und Jetzt einander so grell berühren.“

Wir treten ein.

Mitten in dem immensen Raum, der einst an zwanzigtausend Zuschauer faßte und dessen Sand so viel Blut getrunken, erhebt sich ein flitterhaft aufgeputztes Theater, in welchem Ritter-, Räuber- und Spectakelgeschichten vorgeführt werden. Davor befindet sich ein bretterner Aufbau, vor ihm zwei Flügelansätze rechts und links, alles zusammen vielleicht ein Zehntel der Arena bedeckend, mit Plätzen für die Zuschauer. Eine Treppe führt rechts wie links an der Basis der Flügel auf den Raum hinauf; die Zugänge bewacht je ein schäbig aussehender Cerberus vor einem Tische, welcher die klingenden Münzen im Teller sammelt.

Zwei Ueberraschungen noch: der Zuschauerraum ist geradezu überfüllt und das Publicum, wenngleich ein gemischtes, so doch zum guten Theil den besseren Ständen angehörend. In der von wenigen Laternen spärlich erhellten Dämmerung gewahre ich wohl

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 452. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_452.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)