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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


des linken Achenufers hin eingesprengt. Nebenbei errichten Menschenfreunde allenthalben Unterkunftshäuser auch für Solche, die außer dem Elend des Siechthums noch andere Noth des Daseins drückt. Der Kaiser Franz von Oesterreich hat sich durch solche Schöpfungen in unseren Augen vielleicht ein würdigeres Denkmal gesetzt, als es dasjenige ist, welches man ihm auf dem inneren Burgplatze zu Wien aufgerichtet hat, und auch was der Erzbischof Pyrker hier für kranke Soldaten gethan wird den Ruhm seiner Epopöen überdauern. Den Beschluß macht die Anlegung der reizvollen Salzachthal-Bahn, welche die Gasteiner Klamm mit der Tiroler Linie, mit Salzburg, mit dem Südosten Oesterreichs verbindet.

Gastein ist jetzt ein modisches Bad mit allen Einrichtungen, ohne welche der Stadtmensch unserer Tage nicht auszukommen vermeint. Es wäre eine Therme, wie viele andere, ständen die Eckpfeiler der stillen Eiswelt nicht da, flammten nicht die Regenbogen im Sturme der Schaumwolken seiner Wasserstürze und wehte nicht jene Luft aus den hohen Einöden herab, die in Blut und Nerven des Ankömmlings gewiß nicht minder segensvoll eingreift, als die Brunnen der Tiefe. Dies ist es, was die alte Gastuna zu einer in ihrer Weise einzigen Heilstätte macht. –

Zum Schlusse noch zwei Anmerkungen.

Wie drüben im grünen Thalboden und an den Hängen der Rauris, liegt auch in der Gastein viel Geschiebe aus der Eiszeit. Die verschiedenen Stufen des Gesammtthales, Naßfeld, Böcksteiner Thal und die eigentliche Gastein stellten damals Terrassen eines und des nämlichen Gletschers dar, den an den jähen Absturzbruchstellen gewiß breite, blauende Klüfte durchzogen. Nach dem Hinschwinden desselben entstanden zwei Seen: der eine füllte das Böcksteiner Thal, der andere die tiefere Gastein aus. Der obere See stürzte in die Gastein, der untere in die Salzach ab; als Andeutung daran ist der Fall im Wildbad und der von Lend geblieben.

Vorahnend wirft die Einbildungskraft der Thalbewohner ein anderes Gemälde von Gastein auf fernen Hintergrund. Dort – so heißt es – wo jetzt das Patschker-Gütl neben dem Böcksteiner Wege steht, wird sich einst der letzte „Käskessel“ (Sennhütte) befinden. Es ist dies ein Bild wiederkehrender Eiszeit. Mag ein solches in entlegenen Jahrtausenden verwirklicht werden oder nicht – wir und unsere spätesten Nachkommen werden uns stets erfreuen an Gastein und an der Pracht der hohen Tauern. Ueber der Kräftigung des Körpers dürfen wir nicht vergessen, daß inmitten solcher Herrlichkeit auch unser Sinn erstarkt und sich gern vom Wuste des Alltäglichen Dingen zuwendet, welche die Selbstsucht abschwächen und den Willen veredeln.

Heinrich Noë.




Zur Geschichte der Socialdemokratie.
Von Franz Mehring.

8. Die höchste Blüthe der deutschen Socialdemokratie.

Die socialdemokratische Agitation im deutschen Reiche bietet während des dreijährigen Zeitraums, der sich vom Gothaer Vereinigungscongresse bis zu den Attentaten von Hödel und Nobiling erstreckt, in ihrer Art ein nicht minder fesselndes und merkwürdiges Bild, als die Pariser Commune. Wenn hier das aufrührerische Proletariat mit Feuer und Schwert die verrottete Welt umzuwälzen gedachte, so zeigte sich dort, was es mit seinem „friedlichen“ und „gesetzmäßigen“ Wirken auf sich hat. Es ist schwer zu sagen, welche von beiden Methoden furchtbarer und verhängnißvoller in ihren Folgen ist; alle Schrecken der blutigen Maiwoche verbleichen fast vor der langsamen und tödtlichen Vergiftung des nationalen Geistes, welche die deutschen Demagogen zu erreichen verstanden.

Die Entwickelung der Partei während dieser Zeit in allen Einzelnheiten zu verfolgen, würde an dieser Stelle zu weit führen; es muß genügen, die eigenthümlichsten und lehrreichsten Momente in einem allgemeinen Bilde zu sammeln. Glänzend bewährte sich die Hoffnung der einsichtigeren Agitatoren, daß die Vereinigung der beiden Fractionen die Kraft und Wucht der ganzen Bewegung nicht blos verdoppeln, sondern selbst verzwanzigfachen würde. Ein flüchtiger Umblick in dem Rüst- und Zeughause der Partei liefert hierfür schlagende Beweise.

Die Parteicasse balancirte hinfort jährlich in Einnahme und Ausgabe mit durchschnittlich 60,000 Mark, einer Summe, welche nur den geringsten Theil der von armen Arbeitern für diese Agitation aufgebrachten Opfer enthält, selbst wenn man blos die Aufwendungen an baarem Gelde erwägt. Ungleich mehr verschlangen Gewerkschafts-, Local-, Wahlzwecke. Die Berliner Reichstagswahlen von 1877 kosteten allein 16,000 Mark. Davon wurden unter Anderem 1,400,000 Exemplare von Drucksachen hergestellt, deren Verbreitung unentgeltlich durch Parteigenossen bewirkt wurde. Man vermag schon aus diesem Beispiele zu erkennen, wie gering noch die Einbußen an Geld im Verhältnisse zu den Opfern an Kraft und Zeit waren, die von den bethörten Anhängern der socialen Revolution gebracht wurden.

Die Hauptarmee des Umsturzes bildeten Agitatoren, Vereine, Zeitungen; man kann die ersten als die leichten Truppen, die zweiten als die Heersäulen des Fußvolkes, die dritten als die schweren Geschütze in der streitenden Armee des Zukunftsstaates bezeichnen. Am wenigsten ausgebildet war die erste Truppengattung; gewerbsmäßige Agitatoren wurden von der Parteicasse verhältnißmäßig wenige besoldet; man hatte die Zweischneidigkeit dieser Waffe erkannt. Diese Gevatter Schneider und Handschuhmacher, die „predigend reisten“ und von dem conservativen Socialpolitiker Rudolph Meyer sogar mit den Aposteln verglichen worden sind, boten in ihrem albernen Hochmuth und ihrer banausischen Unwissenheit den Gegnern zu starke Blößen, wurden auch den einsichtigeren Arbeitern nur zu bald verächtlich. Die klügeren Führer suchten sie mehr und mehr zurückzudrängen zu Gunsten der Parteipresse. Freilich darf dabei nicht übersehen werden, daß die Beamten und Vertreter der Partei, Abgeordnete, Redacteure, Expedienten etc., verpflichtet waren, wo und wie sie immer konnten, sich an der mündlichen Agitation zu betheiligen, ja daß in gewissem Sinne jedes gewandtere Mitglied der Partei ihr geborener Agitator war. Im Ganzen verfügte die Agitation über einige Hunderte geschulter Redner, die mit allen Wassern der Dialektik eines Lassalle und Marx gewaschen waren.

Wichtiger war das Vereinswesen der Partei. Sie hatte zuletzt 26 größere Gewerkschaftsverbindungen geschaffen, welche etwa 50,000 Mitglieder an mehr als 1200 Orten zählten. Die jährliche Einnahme dieser Verbände belief sich auf 400,000, ihre jährliche Ausgabe auf 320,000 Mark. Nur die einfachste Gerechtigkeit gebietet, anzuerkennen, daß diese Vereine, nachdem der dauernde Nothstand ihr Strikefieber gründlich erstickt hatte, auch mannigfach nützlich und segensreich gewirkt haben. Von ihren Ueberschüssen wurden ihre Invaliden-, Kranken-, Reiseunterstützungscassen unterhalten. So besaßen die Gewerkschaften der Goldarbeiter und Buchdrucker ein Vermögen von 18,000, beziehungsweise 52,000 Mark in ihren Invalidencassen. Hier hat das Socialistengesetz leider auch manche fruchtbare Keime zerstört.

Aber noch in anderer Weise wußte die deutsche Socialdemokratie das Vereinswesen für ihre Zwecke auszunützen. Nicht weniger als 20 Druckereien befaßten sich mit der Herstellung ihrer Literatur in periodischen und nichtperiodischen Druckschriften; darunter befanden sich 16 Genossenschaftsbuchdruckereien, an denen über 2500 Arbeiter und Kleinbürger mit ihren kleinen Ersparnissen betheiligt waren; sie beschäftigten ungefähr 400 Personen als Redacteure, Expedienten, Setzer, Drucker, und sie setzten jährlich in runder Summe über 800,000 Mark um. Schier unzählbar waren dann die sonstigen Vereine, in denen der Geist der Partei lebte. Bildungs-, Gesang-, Lese-, Theater-, Zeitungs-, Consum-, Unterstützungs-, Wahlvereine und wie sie sich sonst nennen mochten; ihre Namen wechselten tausendfach; in der Sache waren sie alle über denselben Kamm geschoren; in ihnen wurden die Rekruten geübt und geworben. Niemals noch hatte es eine andere Partei verstanden, so den ganzen Menschen zu erfassen, ihn mit seinen alltäglichsten Gewohnheiten unlöslich an sich zu ketten.

Das schwere Geschütz endlich in dem communistischen Arsenale bildeten die bleiernen Lettern Gutenberg’s. Mit fabelhaftester Schnelle wuchs eine kleine Bibliothek socialdemokratischer Flugschriften und Bücher an; sie zählte einige hundert Nummern und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 503. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_503.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)