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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


ertrug, das hat am schwersten auf mir gelastet. Jetzt ist es vorbei – Du wirst noch heute Majoratsherr in Ettersberg sein.“

„Um den Preis Deines Lebens!“ rief Oswald außer sich. „Ich kannte ja längst das Geheimniß; das unselige Bild ist ja in meinen Händen gewesen, ehe Du es erblicktest. Ich bewahrte Dich fast gewaltsam davor; denn ich wußte, daß Du daran sterben würdest. Und nun war es doch umsonst; das ganze Opfer ist vergebens gebracht worden. Nur ein offenes Wort heut Morgen zwischen uns, und alles wäre noch gut geworden.“

Edmund machte eine schmerzlich verneinende Bewegung.

„Nein, Oswald, das wäre es nie. Ich konnte die ewige Lüge dieses Lebens nicht tragen, nicht die ewige Scham vor den Menschen und vor mir selbst. Ich habe es ja versucht, wochen-, monatelang. Du weißt nicht, was ich gelitten habe seit jener fürchterlichen Stunde. Nun ist es gut. Du trittst in Deine Rechte, und das Andenken meiner Mutter bleibt rein – es war nur so zu lösen!“

Oswald hielt den Sterbenden in den Armen. Er sah, daß jede Hülfe hier zu spät kam. Es war unmöglich, das Blut zu stillen, unmöglich, das fliehende Leben aufzuhalten; nur die letzten Worte konnte er noch von den Lippen nehmen, die sich nun für immer schlossen.

„Meine Mutter – sage ihr, ich hätte es nicht tragen können – leb' wohl!“

Edmund's Stimme erlosch; seine schönen dunklen Augen verschleierten sich, vom Tode überschattet – nur wenige Minuten noch, und Oswald kniete auf dem schneebedeckten Boden – neben einem Todten. Er drückte seine Lippen auf die Stirn des Geschiedenen, und Niemand hörte mehr seine verzweiflungsvolle Frage:

„Allmächtiger Gott! Mußte das so enden?“




Schon zweimal waren die Schwalben gekommen und gegangen, seit sich die Gruft über Edmund von Ettersberg geschlossen hatte. Jetzt trugen sie zum dritten Male den Frühling in das Land, und wie die Erde nach dem eisigen Frost und Schnee des Winters in neuer Pracht erblühte, so rang sich auch aus den Thränen, die an jenem Grabe geflossen waren, ein neues Lebensglück empor.

Der Tod des jungen Grafen Ettersberg hatte in allen Kreisen die höchste Bestürzung und Theilnahme hervorgerufen, an der die Persönlichkeit Edmund's wohl einen ebenso großen Antheil hatte, wie das schreckliche Ereigniß, dem er zum Opfer fiel. So jung und schön, so reich und glücklich, im Begriff sich zu vermählen! Und nun an einer tollkühnen Wette, an einem bloßen Uebermuth zu Grunde zu gehen, den Armen der Mutter und der Braut entrissen zu werden, ohne daß diese auch nur einen letzten Blick von ihm empfingen – es war ein furchtbares Schicksal!

Wie lebensvoll, wie heiter war der junge Graf noch unmittelbar vor der schrecklichen Katastrophe gewesen! Den geheimen, furchtbaren Zusammenhang ahnte Niemand. Edmund hatte erreicht, was er gewollt: seine Mutter blieb rein von jedem Verdachte, und der wahre Erbe trat in seine Rechte.

In Ettersberg selbst hatte sich im Laufe der letzten beiden Jahre vieles verändert. Der jetzige Majoratsherr, Graf Oswald, auf den mit den Gütern auch der Titel seines verstorbenen Vetters übergegangen war, nahm es ernst mit den Pflichten seiner neuen Stellung. Der Schicksalswechsel, der ihn betroffen, war so jäh und unerwartet, wie er nur selten in das Leben eines Menschen eingreift. Der in Abhängigkeit und Unterdrückung aufgewachsene Oswald, der selbst, als er sich dieser Abhängigkeit entriß, nur einem Leben voll ernster, sorgenvoller Arbeit entgegenging, wurde urplötzlich zum Herrn des ganzen reichen Familienbesitzes. Seine juristische Laufbahn war zu Ende, noch ehe sie begonnen hatte; denn wenn seine Beziehungen zu dem väterlichen Freunde in der Residenz, der ihm damals Schutz und Beistand angeboten hatte, auch ebenso herzlich blieben, so konnte doch von einer Rückkehr dorthin nicht mehr die Rede sein.

Es traten jetzt andere, größere Aufgaben an Oswald heran, und er widmete sich ihnen mit der ganzen Energie seines Charakters. Seine kräftige Hand entriß die lange vernachlässigten Güter dem Verfall, gerade in dem Moment, wo derselbe unabwendbar zu werden drohte, und führte sie jetzt langsam, aber sicher wieder zu ihrer früheren Höhe zurück. Fast das ganze Beamtenpersonal wurde gewechselt und die Verwaltung vollständig umgestaltet; die bedeutenden Summen, welche früher der glänzende gräfliche Haushalt beansprucht hatte, waren seit zwei Jahren ausschließlich zur Hebung der Güter verwendet worden.

Der neue Majoratsherr lebte vorläufig noch einsam und ziemlich zurückgezogen in seinem Schlosse und machte noch nicht die mindeste Anstalt, eine Wahl für seine künftige Heirath zu treffen. Dieser letzte Umstand befremdete einigermaßen in den Kreisen der Nachbarschaft. Man fand, daß der Graf, der jetzt in seinem neunundzwanzigsten Jahre stand, wohl an eine Vermählung denken könne, ja daran denken müsse, da er der einzige und letzte Sproß des Ettersberg'schen Geschlechtes war. Es fehlte nicht an mancherlei Plänen und Bemühungen, deren Ziel diese nunmehr so glänzende Partie war, aber bis jetzt war noch Alles vergebens gewesen.

Ganz ähnliche Pläne und Erwartungen gaben sich auch in Bezug auf Brunneck von verschiedenen Seiten kund. Die Hand der jungen Erbin war ja nun wieder frei geworden, wenn das Zartgefühl für's Erste auch noch jede directe Bemühung verbot. So allgemein und aufrichtig die Theilnahme für die Braut des verstorbenen Grafen auch gewesen war, so nahm man doch an, daß ein achtzehnjähriges Mädchen nicht ewig um den entrissenen Bräutigam trauern werde, und manche Wünsche und Hoffnungen, denen jene Verlobung ein Ende gemacht hatte, tauchten jetzt von Neuem wieder auf.

Vorläufig war aber auch hier Alles umsonst; denn Hedwig entzog sich allen Annäherungsversuchen, indem sie noch vor Ablauf der Trauerzeit Brunneck verließ, um die Mutter Edmund's nach Italien zu begleiten. Die Gräfin war schwer leidend seit dem Tode ihres Sohnes, und das Uebel machte, allen angewandten Mitteln zum Trotz, so stete und bedenkliche Fortschritte, daß die Aerzte nur noch von einem längeren Aufenthalt im Süden eine Rettung hofften. Man fand es sehr aufopfernd, daß Fräulein Rüstow die Heimath und sogar den Vater verließ, um die Kranke zu begleiten. Man wußte eben nicht, daß Hedwig sich um jeden Preis der Heimath entziehen wollte, um eine Schranke zwischen sich und Hoffnungen zu legen, deren Verwirklichung ihr jetzt noch wie ein Vergehen an dem Todten erscheinen mußte.

Fast anderthalb Jahre hatten die beiden Damen im Süden zugebracht. Die ungeduldige Bitten und Mahnungen des Oberamtsraths zur Rückkehr fanden kein Gehör bei seiner Tochter. Sie schützte stets das Befinden der Gräfin vor, die sie weder verlassen könne noch wolle. Jetzt endlich waren die Reisenden wieder zu Hause eingetroffen, mit Rüstow, der ihnen eine Strecke entgegengereist war und nun mit seiner Tochter nach Brunneck zurückkehrte, während die Gräfin sich nach Schönfeld begab, das sie seit dem Tode Edmund's bewohnte. –

Es war am zweiten Tage nach der Rückkehr der Damen, als der Oberamtsrath, wie gewöhnlich, mit seiner Cousine im Balconzimmer saß. Er war voller Freude, seine Tochter endlich wieder zu haben, und ganz entzückt über ihren Anblick nach der langen Trennung. Er behauptete, sie sei viel schöner, viel klüger, viel liebenswürdiger geworden, und der Ausbruch seines Vaterstolzes gipfelte in der feierlichen Erklärung, daß er seinen Liebling jetzt nun und nimmermehr wieder von sich lasse.

Die Cousine war diesmal ausnahmsweise derselben Meinung, aber bei den letzten Worten schüttelte sie den Kopf und erwiderte mit einer gewissen Betonung:

„Sie sollten das nicht mit solcher Bestimmtheit aussprechen, Erich. Wer weiß, ob man Ihnen nicht auch hier in Brunneck den ausschließlichen Besitz Hedwig's streitig macht.“

„Das werde ich mir verbitten,“ fiel Rüstow ein. „Ich zweifle nicht, daß die Gräfin sie am liebsten wochenlang in Schönfeld haben möchte, aber daraus wird nichts. Ich habe mein Kind lange genug entbehrt und will endlich auch einmal zu meinem Vaterrechte kommen.“

„Graf Ettersberg,“ fragte die Cousine, „war ja wohl auf der Bahnstation, als Sie vorgestern mit den Damen ankamen?“

„Gewiß. Es war sehr rücksichtsvoll von ihm, daß er selbst kam, um seine Tante zu empfangen und nach Schönfeld zu geleiten. Nebenbei wollte er auch Hedwig bei der Ankunft begrüßen.“

„Ja wohl – so nebenbei!“ sagte das Fräulein halblaut, aber mit einem sehr spöttischen Zucken der Lippen.

(Schluß folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 532. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_532.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)