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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

No. 36.   1880.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Alle Rechte vorbehalten.
Am Meer.
Aus den Papieren eines Arztes von C. Lionheart.
(Schluß.)


Eine weinerlich bittende Stimme schien eine andere Person da innen bewegen zu wollen, nicht aufzumachen. Ingeborg's klare Stimme machte ihr Gegenvorstellungen. Immer kläglicher flehte und wimmerte wie ein verängstigtes Kind die Eine, während, statt aller Antwort, wir einen festen Schritt auf die Thür zukommen hörten; sie wurde schnell von innen geöffnet. Ich stand eine Secunde lang wie geblendet auf der Schwelle. Mein Beruf hat mich in manches mit Raffinement und Luxus ausgestattete Damenzimmer geführt, aber in solch sinnberauschendes Märchenwunder blickte ich nie zuvor. Der Baron hatte sein reizendes Spielzeug in den verführerischsten Rahmen gebracht, oder die kleine raffinirte, phantasievolle Person selbst hatte aus ihrem Sanctuarium einen Traum wie aus „Tausend und eine Nacht“ geschaffen.

Einzelheiten prägen sich dem Gedächtniß des Mannes nach solcher Richtung selten ein; ich weiß nur, daß der achteckige kleine Salon, ganz in blaßrosa Atlas gehalten, hermetisch verschlossen gegen das Tageslicht, von mattgeschliffener rosenrother Ampel überstrahlt und in jedem Winkel mit kleinen Terrassen blühender Rosen angefüllt, mir den Eindruck einer vollentfalteten großen Centifolie hervorrief. Von den Wänden schimmerte wie ein rosenfarbener Spiegel der lichte Atlas; an den Thüren floß er in reichen Falten herab. Fast mit Scheu betrat mein Männerfuß den schneeweißen daunigen Teppich, über den der Baron ungenirt bis zu dem Divan hinging, auf dem die junge Frau ruhte, in sich zusammengeschmiegt, den Kopf in die Kissen gegraben, wie ein Vogel Strauß. Seine herrische Stimme scheuchte sie auf. Neben sie hatte sich Ingeborg gesetzt und legte mitleidig den Kopf an ihre Schulter.

Wie verschieden waren diese beiden Frauen! Die Eine selbst in diesem Augenblicke der höchsten Seelenangst des Eindruckes nicht uneingedenk, den sie hervorrufen will, im verführerischen Negligé, schmiegsam, kokett, berechnend, die Andere ganz selbstvergessen, in den schlichten schleppenden Trauerkleidern, von edler plastischer Einfachheit, ganz allein sich selbst gebend; die Eine effecthaschend, mit dem eigenen Manne kokettirend, die andere ohne Ahnung, wie gewaltig, wie schön sie ist; die Eine nur strebend, Herzen um jeden Preis zu unterjochen, die Andere zu stolz, als daß das Streben, zu gefallen, in ihrer jungfräulichen Seele jemals sich geregt. O blinder Thor, wo hattest Du Deine Augen gehabt, als Du in Ina Maltiz das Ideal aller Weiblichkeit sahest! Das Modell zu unserer Urmutter, zu einer Venus des Hörselberges, zu der Circe, die den sinnbethörten Odysseus lockt, mag sie abgeben, aber das Ideal des echten, reinen, hohen Weibes – ist Ingeborg.

Ingeborg's Augen und die meinigen begegneten sich in verständnißinnigem Blicke, während der Baron düster auf das an allen Gliedern bebende junge Weib herabblickte, als wolle er ihr in die tiefste Seele schauen. Ina's verschleiertes Auge wanderte unruhig von Einem zum Andern – es konnte den ruhig steten Blick des Barons nicht ertragen und blieb zuletzt flehend an Ingeborg hängen. Sie drückte das Gesicht in deren Schooß, als fühle sie instinctiv, daß gerade Jene, die in moralischer Reinheit hoch über ihr stand und kein Verständniß für kleinliche Gesinnung haben könne, am ersten Duldung üben werde.

„Ich habe diese Frau geliebt, geliebt mehr als ich sollte, als ich vor meinem Stolz verantworten kann,“ stöhnte der Baron auf; er starrte vor sich hin und preßte beide geballte Hände gegen die Stirn. Ina lag still in Ingeborg's Schooß wie eine überführte Verbrecherin, und mitunter zuckte ihr Oberkörper unter Schluchzen.

„Du hast Ränke gesponnen, so lange ich Dich kenne. Mein Gott, daß mir erst heute die Augen aufgehen!“ hob er wieder kummervoll an. „Du hast den edlen Mann hier“ – er deutete auf mich, ohne daß sie es sehen konnte – „um mich aufgegeben, weil ich Dir mehr –“ seine Hand beschrieb verächtlich einen Rundkreis über das prunkende Gemach hin – „zu bieten hatte, als er.“

Sie schnellte empor.

„Das ist nicht wahr,“ wallte sie auf und blieb aufgerichtet sitzen. „Ich täuschte mich über meine Neigung zu Johannes; er war mir zu schlicht, zu formlos, zu einfach, zu bäuerisch. Vergieb mir, Hans!“ Sie streckte mir bittend die Hand hin, und ich nahm sie frostig und ließ sie wieder fallen. „Der, den ich wirklich geliebt in seiner stolzen Männlichkeit und imposanten Ritterlichkeit, Rochus, das warst Du.“

Spielte das Kätzchen wieder Komödie, wollte sie seinem Zorn die Spitze abbrechen, indem sie seiner Eitelkeit schmeichelte? Wenn dem so war, hatte sie es zu einer künstlerischen Höhe gebracht; denn durch den Ton zitterte ergreifende Wahrheit. Den Baron ließ es kalt; er zuckte nur die Achsel, und seine Lippen umspielte ein verächtliches Lächeln.

„Die Motive Deines damaligen Handelns sind mir übrigens gleichgültig. Ich entdecke darin höchstens den Schlüssel zu dem Räthsel, das Dein Charakter mir heute aufgiebt: Du bist genußsüchtig. Ich habe dieser Leidenschaft, die bei Deiner Jugend und Schönheit ja entschuldbar ist, nichts in den Weg gestellt; Du kannst nicht sagen, daß ich den Freuden Deines jugendlichen Alters im Wege gestanden. Lächelnd habe ich warnende Freunde abgewiesen. 'Eine Maltiz-Bassowitz mag tändeln, spielen,flattern,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 577. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_577.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)