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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


aber sie vergißt sich nicht,' sagte ich mir. Das feste Gebäude des Zutrauens hast Du jetzt erschüttert. Ich habe den Glauben an Deine Wahrhaftigkeit verloren; Alles läuft verworren durch einander. Kann ich noch wissen, wo die Grenze war vom Spiel zum –“ Er brach kurz ab. „Du bist falsch. Ich kann mit Dir nicht länger eine Luft athmen.“

Eine Weile herrschte dumpfes Schweigen. Der Baron hatte das Gesicht zwischen den Händen begraben. Grenzenloses Mitleid sprach aus Ingeborg's Augen, welche auf die im Weinkrampf sich windende Frau herabsahen; dann schaute sie mich groß und klar an, und in ihrem Blick schien mir eine Aufforderung zu liegen. Selbst gegen das strenge Urtheil zu appelliren, wagte sie wohl bei ihrer Kenntniß vom Charakter des unbeugsamen Mannes nicht.

„Herr Baron, Sie haben mich selbst zum Anwalt dieser Frau bestellt,“ begann ich, „erlauben Sie mir nun den Einwurf, daß man ungehört selbst keinen Verbrecher verdammt! Geben Sie der Baronin Gelegenheit, sich zu vertheidigen! Noch weiß übrigens Keiner von uns, wessen Sie dieselbe anklagen.“

Der Baron war auf einem Sessel zusammengesunken.

„Kommen wir zu Ende!“ sagte er, sich aufraffend. „Wie ich über die Treue meines Weibes denke, darüber will ich heute nichts sagen, aber etwas Anderes muß hier zur Sprache kommen. Die Baronin kannte von jeher meine Standesvorurtheile; sie wußte, daß es mir in's Fleisch schneiden hieße, gegen dieselben sich aufzurichten. Ob ich Recht oder Unrecht darin habe, gehört nicht hierher. Genug, sie hat systematisch die beiden jungen Menschen, meinen Sohn Malte und die Tochter des Küsters, in jeder Weise heimlich in ihren Liebesplänen unterstützt; o, glauben Sie nicht: aus Liebe! diese Frau liebt nur sich selbst – nicht aus Schwäche: sie kann stahlhart sein, wenn sie ihre Interessen dadurch geschützt sieht – sondern aus eigennütziger Berechnung. Natürlich hat sie mit dem künftigen Herrn auf Eichenhof sich in ein günstiges Verhältniß stellen wollen – dies um so mehr, als meine vollsaftige Constitution einen schnellen Tod nicht unwahrscheinlich macht. Wie konnte sie ihren Zweck besser erreichen, als indem sie Malte's Neigung zu der Küstertochter schmeichelte? Sie ahnte nicht, daß mein Testament, das meine Vettern unabhängig stellte, längst bei dem Gerichte deponirt war. Ich hatte sie in dieser Unkenntniß absichtlich erhalten, um das Verhältniß zu dem Stiefsohne freundlich zu gestalten, so lange ich zwischen diesen Beiden, die mir gleich an's Herz gewachsen, stand. Es hätte mir auffallen können, daß zwischen meinem sanften, stillen Knaben, der bis dahin wenig Sympathie, nur kühle Höflichkeit für seine Stiefmutter gehabt, und dieser bald nach seiner Rückkehr in den Ferien sich eine sonderbare Intimität, ein Flüstern und Zischeln bemerklich machte; es hätte mir auffallen müssen daß – wenn mein Vertrauen mich nicht mit Blindheit geschlagen – es gerade die Küsterstochter war, die meine Frau zu einem Mittelding von Gesellschafterin und Zofe hierher aus der Universitätsstadt berief, wo Malte studirte und wo das Mädchen bei ihrem Onkel, einem Gymnasiallehrer, erzogen wurde. Den großen, verwunderten Augen Ingeborg's hätte ich's anmerken können, daß hier nicht Alles mit rechten Dingen zuging, als das nette, bildsaubere und schüchterne Kind hier einzog.

Frau Baronin hat das Turteltaubenpaar unter ihre Fittige genommen. Um Allem die Krone aufzusetzen, hat Frau von Bassowitz einen armen Pfarrer zu bewegen gesucht, die jungen Menschen heimlich zusammenzugeben. Der Diener des Herrn hat aber Festigkeit genug gehabt, den verlockenden Versprechungen des gewissenlosen Weibes zu widerstehen. Sein ihr gegebenes Wort sicherte ihr Stillschweigen, und gleiches war ihr durch Malte zugesichert. Keiner aber hat Leonore die Lippen versiegelt, und diese hat gesprochen.

Niemals hätte ohne die Ermuthigungen, den Zuspruch meiner Frau mein Sohn den Muth gewonnen zu so heimlichem Treiben, niemals die Kraft gehabt, eigenmächtig über sein Leben zu entscheiden. Wir Bassowitz sind seit Generationen in strengem Gehorsam gegen den Willen des Familienoberhauptes erzogen; wer regieren will, muß zuerst gehorchen lernen. Niemand hat sich je gegen denselben aufzulehnen gewagt; mein sinniger Knabe hätte es am wenigsten vermocht, wenn er durch fremde Einflüsterung nicht dazu aufgestachelt worden wäre. Und wäre es noch offen und ehrlich geschehen im redlichen Kampfe – es hätte eine verwandte Saite in mir bewegt.

Aber die infernale Gewandtheit dieser Frau hatte den Bogen zu straff gespannt. Der junge Leu, der Blut geleckt, wollte nun durchaus auch die vorgehaltene Beute, und mit der Halsstarrigkeit, die unserm Geschlechte eigen ist, verfolgte er sein Ziel. Die Baronin Bassowitz versprach ihm einst die kleine Lore zum Weibe; nun konnte sie sehen, wie sie ihr Wort hielt. Es ging ihr wie dem Zauberlehrling, welcher der Geister nicht Herr werden kann, die er beschworen, und ich bereitete ihr die Unbequemlichkeit, ein zäheres Leben zu haben, als sie erwartet.“

Ina ächzte mehrere Mal auf. Ingeborg suchte Fürsprache für sie einzulegen: sie sei ohne jeden veredelnden Einfluß groß geworden; nur ein Naturtrieb, derjenige der Selbsterhaltung, sei in ihr erstarkt; man müsse – der düsterlohende Blick des Schloßherrn ließ Ingeborg verstummen.

„Dann hätten Jene in ihren Theorien Recht,“ unterbrach er sie, „die da behaupten, daß der Mensch von Hause aus ein blutgieriges Raubthier sei, über dessen zügellose Leidenschaften nur die fortschreitende Cultur den Firniß verfeinerter Sitte breite. Die Gnädige ließ sich einen Additionsfehler zu Schulden kommen, indem sie in die Summa ihres Thuns nicht das Ungestüm eines zwanzigjährigen Herzens hineinrechnete. Die Verhältnisse spitzten sich zu der Katastrophe zu, die meinem armen Malte beinahe das Leben gekostet hätte. Daß ich es kurz mache: mein Sohn erklärte seinen unerschütterlichen Entschluß, mit seiner heimlich Verlobten nach Amerika zu entfliehen, und betrieb alle Reisevorbereitungen. Das war für die Baronin Bassowitz ein Strich durch die Rechnung. Sie kannte mich genug, um zu wissen, daß ich meinem einzigen Sohn das nie vergeben, daß ich ihn erbarmungslos enterben würde, und wußte, daß mein Besitzthum dann an einen entfernten Agnaten übergehen werde.

Als vor einigen Tagen Malte und ich einen Gutsnachbar besuchten und Ingeborg bei einer Freundin war, benutzte die Baronin unsere Abwesenheit, um Lore zu zwingen, sich zu dem Oheim zurück in die Stadt zu begeben. Das eingeschüchterte Mädchen mußte sich wohl oder übel fügen, aber noch in derselben Nacht, von böser Ahnung getrieben, entfloh sie aus des Oheims Hause und kam halb todt vor Mattigkeit und Erschöpfung bei ihrem alten Vater gestern Abend hier an.

Nun geschah das Letzte; der Schlußact dieses teuflischen Intriguenspiels begann. Zwei Briefe mit gut verstellter, aber mir und auch ihm jetzt völlig erkenntlicher Handschrift langten für Malte und mich hier an: mich ermahnte der anonyme Freund, auf meinen Sohn wohl Acht zu haben, mir seine Pläne alle verrathend. Der Brief an Malte lautete ungefähr:

'Ich fliehe vor Dir, Malte, und bitte Dich, mir nicht zu folgen. Ein braver, achtbaren Mann bietet mir hier eine ruhige, gesicherte Zukunft. Ich ziehe das friedliche Leben und meine Gewissensruhe schon deshalb dem ungewissen Schicksal an Deiner Seite vor, weil wir dadurch unsere Väter nicht zu Tode betrüben. Du kennst meine Zaghaftigkeit; ich bin zu Kampf und Streit nicht geboren. Vergieb mir, wenn Du kannst, und werde glücklich! Meine Tante schreibt diese Zeilen für mich; ich bin zu gebrochen und unglücklich – ich verbiete Dir aber, mich wiederzusehen.'

Die Anstifterin von alle dem, mein Weib, spielte mir und meinem Sohne gegenüber die Rolle der besänftigenden Friedensstifterin und der theilnahmevollen Trösterin und stellte sich in's Licht reinster Unschuld.

Herr Professor – Ingeborg: das Uebrige kennt Ihr. Meinen armen, von seiner Kindheit an schwächlichen Sohn hatte dieser Schlag aus heiterem Himmel niedergestreckt. Er wand sich in furchtbaren Krämpfen bis zum Abend; dann kam die Todesstarre, die wir für den Tod selber hielten. Den unheilstiftenden Brief hatte jene Frau da zu sich stecken wollen. Ich weiß nicht, welch instinctives Gefühl mich trieb, ihn ihr fortzunehmen und in meine Brusttasche zu stecken – genug, ich habe den Brief. Dem schärfer prüfenden Auge trägt er die Grundzüge und charakteristischen Merkmale der Handschrift der Baronin Ina von Bassowitz. Was hat die Baronin darauf zu antworten?“

Emporgeschnellt wie durch Federkraft, beide Arme vor sich hinstreckend, rief sie leidenschaftlich:

„Daß ich Dich liebe! liebe! liebe!“

„Du hast eine Zukunft,“ sagte der Baron kalt, „– die Bühne ist Deine Zukunft.“

„O!“ stöhnte sie und griff nach den Schläfen, als hätte sie einen Schlag in's Gesicht bekommen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 578. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_578.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)