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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Hofraum, von Rebengeländen und lilablühenden Akazien überdacht, zum Garten hinauf, der vom immergrünen Laub der Palmen, Granaten und Citronenbäume geschmückt wird. Das ist Humann's trauliches und gastfreies Heim, und manchem Kleinasienpilger, besonders aber den Officieren der deutschen Marine werden die Stunden, welche sie im Kreise der Humann'schen Familie in der Rosenlaube jenes Gartens vor der plätschernden Fontaine verlebten, deren weites Wasserbassin zumeist als Wein- und Bierkühler dienen muß, liebe und angenehme Erinnerungen sein.

Humann ist jetzt einundvierzig Jahre alt. Seine Gestalt ist groß und schlank; aschblondes Haar und ein blonder, in's Röthliche spielender Vollbart umrahmen sein ausdrucksvolles Gesicht; unter den buschigen Brauen sehen blaue Augen hervor, deren lebendiger, stets freundlicher Blick sein ganzes Wesen charakterisirt. Seine Sprache ist fest und wohllautend, seine Ausdrucksweise prägnant; vor Allem hervorzuheben bleibt aber die liebenswürdige Bescheidenheit des Mannes, welche ihm neben der Anerkennung seiner mannigfachen Verdienste einen großen Kreis aufrichtiger Freunde erworben hat.

Karl Humann ist am 4. Januar 1839 in Steele, einem rheinischen Städtchen in der Nähe von Essen, geboren. Nachdem er das Gymnasium absolvirt, war er ein Jahr lang bei Eisenbahnbauten für die Bergisch-Märkische Bahn praktisch thätig und bezog dann die Bau-Akademie zu Berlin. Während seiner Studien, im Jahre 1861, wurde er bedenklich krank, und die Aerzte setzten die einzige Hoffnung für Erhaltung seines Lebens auf einen Aufenthalt im Orient. Die Ausführung dieses ärztlichen Rathschlags war von Bedeutung für Humann's Zukunft. Unter dem südlichen Himmel des griechischen Archipels fand er volle Genesung; er lebte in Chios und Samos, später in Smyrna. Sein Besuch auf Samos fand auf Veranlassung des Geh. Baurath Strack in Berlin statt: Humann stellte mit günstigem Erfolge seine ersten Ausgrabungen bei dem dortigen Hera-Tempel an, über welche seltsamerweise nie etwas publicirt worden ist. Die Berichte und Originalzeichnungen wurden von Humann an Strack übergeben und müssen sich noch heute in dessen Nachlaß befinden. Vielleicht dienen diese Zeilen dazu, die Erstlingsarbeiten Humann's auf dem Felde archäologischer Forschung der Vergessenheit zu entreißen.

Nach seiner Thätigkeit auf Samos wandte sich Humann im Jahre 1862 nach Constantinopel, in der Absicht, von dort aus wieder in seine Heimath zurückzukehren. Hier machte er indessen die Bekanntschaft des englischen Gesandten Sir Henry Bulwer, welcher für den jungen deutschen Ingenieur lebhafte Sympathien empfand, ihn zu längerem Verweilen bewog und ihn bat, seinen Palast auf einer Insel des Marmarameeres auszubauen, welche die türkische Regierung dem britischen Diplomaten zum Geschenk gemacht hatte.

Allmählich gewann Humann mehr Gefallen an dem orientalischen Leben, und als ihm im Jahre 1864 von der Pforte der Antrag gemacht wurde, eine Eisenbahn von Jaffa über Jerusalem zum todten Meere hin zu bauen, ging er nach Palästina, nivellirte das Land und nahm eine Karte desselben auf. Nach einem Ausflug in das Pharaonenreich kehrte er nach Stambul zurück und erhielt dort einen anderen, interessanten Auftrag Fuad Paschas: Uebergänge über den östlichen Balkan zu suchen, um später Verbindungswege zwischen den nördlich und südlich vom Balkan liegenden Ebenen herzustellen. Das Resultat dieser Forschungen war eine detaillirte Karte des ganzen Gebietes von Varna nach Pravadi über den Balkan hinüber bis Burgas, Jamboli, Slimno, Karnabad, dann den Lauf der Tundja stromabwärts bis Adrianopel, hinüber nach Kirkilissa und zurück nach Burgas. Fortan gaben zahlreiche theils im Auftrage übernommene, theils privatim ausgeführte Reisen Humann beständig Gelegenheit zur Durchforschung großer Länderstrecken; seine Aufnahmen in Kleinasien allein dehnen sich über tausend Quadratmeilen aus. Obwohl erst die Pergamenischen Funde seinen Namen populär gemacht haben, betrachtet er selbst doch die Resultate seiner geographische Untersuchungen als die Arbeit seines Lebens, und dieselben haben denn auch in Fachkreisen lebhafte Anerkennung gefunden. Der bekannte Geograph Professor Kiepert bezeichnete sie als epochemachend für die Geographie jener Länder und ist gegenwärtig mit der Ausgabe einer neuen Karte Kleinasiens unter Benutzung der Humann'schen Angaben beschäftigt.

Zu den Reisen des rastlosen Ingenieurs zählt eine Fahrt im Auftrage des bekannten Constantinopler Millionärs Louis Merton nach der kleinasiatischen Küste gegenüber von Lesbos, woselbst er 1865 zum ersten Male Pergamon besuchte. Auf's Neue gelangte er dahin, als er im Sommer 1866 im Auftrag Fuad Paschas sich von Constantinopel über den Bosporus zu Lande nach Smyrna begab, um die beste Landverbindung zu suchen. Er traf auf dieser Reise mit dem Kaiser von Brasilien zusammen und war einige Tage dessen Begleiter. Da kam das Jahr 1867 heran, in welchem er contractlich von der türkischen Regierung die Ausführung von Chausseebauten in Kleinasien übernahm.

Bei dieser Gelegenheit muß betont werden, daß Humann nie als Beamter im Dienste der hohen Pforte gewesen ist, sondern stets nur in einem frei vereinbarten Verhältnisse zur türkischen Regierung gestanden hat. In diese Chausseebau-Epoche aber, welche mehrere Jahre umfaßt, fällt die erste Ausbeutung Pergamons.

Schon im Jahre 1865, als Humann, wie oben gesagt, zum ersten Mal nach Pergamon kam, fand er auf der Akropolis Kalkbrenner damit beschäftigt, Marmore auszubrechen und zu Kalk zu brennen. Dasselbe Unwesen wurde auch jetzt, im Jahre 1871, ebendort getrieben, bis ein Befehl, den Humann von Fuad Pascha erwirkte, der Zerstörung Einhalt gebot. In der von den Byzantinern errichteten Vertheidigungsmauer glaubte der Spürblick des Ingenieurs unter Mörtel verdeckt Spuren von Bildwerken zu sehen, und drei große Marmorblöcke, die er herausheben ließ, erwiesen sich in der That als Fragmente eines Sculpturenfrieses. Humann schickte diese Marmorplatten als Geschenk an das Museum in Berlin, woselbst sie im Jahre 1873 eintrafen, begleitet von einem Schreiben, in welchem der Entdecker der Bildwerke auf die ganz vortreffliche Arbeit derselben hinwies und betonte, daß die Größe der Figuren sowie das Vorhandensein von Pferden, wilden Thieren und streitenden gigantischen Männergestalten darauf schließen lasse, daß man hier den Theil eines großartigen Kampfgebildes vor Augen habe, von dem voraussichtlich noch viele andere Bruchstücke aufzufinden sein würden. Humann's Bitte ging nun dahin, daß die deutsche Regierung ihm die Erlaubniß der Türkei erwirken möge, Nachgrabungen nach den werthvollen Bildwerken anzustellen und dieselben für das deutsche Reich zu erwerben. Seine dringenden Worte verhallten indessen; in Berlin war man der Ansicht, daß die Sculpturen welche heute alle Welt bewundert, ganz werthlos seien; in einem Kellerraum des Berliner Museums wurden die drei Pergamenischen Marmore, die Humann gesandt hatte, bei Seite gestellt, und ihm selbst wurde erst nach zwei oder drei Jahren eine Empfangsbescheinigung darüber zugesendet. So ruhte die wichtige Angelegenheit zu Humann's Kummer mehrere Jahre.

Inzwischen führte er in Kleinasien die Wegebauten für Rechnung der türkischen Regierung weiter fort, hatte aber schließlich unter der bekannten Finanznoth des osmanischen Reiches mit so vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, daß er 1873 die Arbeiten aufgab. Bei seiner Reise im letztgenannten Jahre widmete er sich wieder ganz seiner Lieblingsbeschäftigung, der geographischen Forschung, und fand als wichtigstes Ergebniß dieser Expedition im Karabel-Paß das zweite, von Herodot erwähnte Bild des Sesostris, wodurch die Stätte klar gestellt wird, welche Herodot als den Kreuzungspunkt der Straßen von Smyrna nach Sardes und von Ephesus in's Phokäische Land bezeichnet. Diese geographischen Forschungen auf dem Gebiete Kleinasiens setzte er auch die nächsten Jahre hindurch fort, wozu noch zwei wissenschaftliche Ausflüge nach Nordgriechenland kamen.

Trotz dieser ablenkenden Beschäftigung hatte Humann seine Bestrebungen bezüglich der Ausgrabungen zu Pergamon nicht ruhen lassen, und das Jahr 1878 brachte denn auch die endliche Erfüllung seiner Wünsche. Im Herbst 1877 war Professor Dr. Conze zum Director der Sculpturen-Gallerie des Berliner Museums ernannt worden; er beschäftigte sich auf Empfehlung des berühmten Archäologen Curtius eingehend mit den Humann'schen Berichten. Conze erkannte sofort den Werth der Pergamenischen Bildwerke; er war die Veranlassung, daß die Regierung auf Humann's Vorschläge einging, und nahm auch an den Ausgrabungen als ein treuer und eifriger Berather Humann's, dessen Thätigkeit dieser selbst auf's Höchste anerkennt, persönlich regen Antheil. Im Frühjahr 1878 fertigte die türkische Regierung einen Firman für die Nachgrabungen aus, dem zufolge ein Drittel der Funde an Deutschland, eines an die Türkei und das dritte an den Bodenbesitzer fallen sollte. Letzterer war die türkische Regierung selbst, und daher änderte Savfet Pascha die Verfügung dahin ab, daß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 600. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_600.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)