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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


californischen Minenlagern auf eine so getreue Weise wiedergegeben, daß man sich nach Roaring Camp, Red Gulch oder Sandy Bar versetzt glaubt.

Die sich auf der nebenanliegenden Bühne präsentirenden fünfzig persischen Schönheiten nebst den mit eleganten Thürflügeln versehenen Peris und ellenhohe schmale Hüte tragenden Herren Persern aus Thomas Moore’s „Lalla Rookh“ vermögen nicht den Vergleich mit Bret Harte’ s Minenlager auszuhalten. Die Bühne des amerikanischen Dichters Whittier ist der andere Nachbar von Thomas Moore und bildet mit Bret Harte den Rahmen zu dem orientalischen Flitterpomp.

Für Shakespeare ist in einem größeren Zimmer eine Bühne eingerichtet worden, wo die gewaltigen Gestalten des großen Briten wie zu Königin Elisabeth’s Zeit über die Bretter schreiten, welche die Welt bedeuten. Einhundertsechszig Darsteller haben die Rollen übernommen, welche zwischen dramatischen Declamationen und Tableaux unter einander abwechseln. Der Zuschauerraum ist stets so gedrängt voll von Menschen, daß es fast unmöglich ist, dort mehr als einen vorübergehenden Einblick zu erlangen. Hunderte, die sich gleich beim Oeffnen der Thüren einen Platz auf einer der hölzernen Bänke erobert haben, verweilen dort jeden Abend bis zum Schlusse der Vorstellungen.

Das fröhliche Italien hat sich mit seinen farbenreichen Bildern in den höheren Regionen auf einer der Hausgallerien angesiedelt. Auf zwei einander gegenüberliegenden Bühnen, die das alte und das neue Rom repräsentiren, werden dort abwechselnd Scenen aus den Meisterwerken der alten und der neuen Schule von fünfundsiebenzig Darstellern aufgeführt. Unter den im Zuschauerraume ausgestellten Gemälden bemerkt man Piloty’s „Wallenstein auf dem Wege nach Eger“, welches Werk aus der Privatgallerie eines reichen Californiers hierher gewandert ist. Ein deutsches Bild freundnachbarlich zur Verherrlichung der heiteren Italia!

Außer den bereits angeführten Bühnen befinden sich im Pavilion noch ähnliche für Bulwer, die Knickerbocker und Washington Irving, ferner eine Sennhütte, ein japanesischer Theegarten mit veritablen Japanern darin, ein kleines Amphitheater, wo die allerliebsten Märchen von Walther Crayne durch zweihundert fröhliche Kinder aufgeführt werden, der berühmte Garten „Trianon“ der Marie Antoinette en miniature, und andere mehr oder weniger hübsch arrangirte Schaustellungen, deren genauere Beschreibung hier jedoch zu weit führen würde.

Vor dem Beginn der Schaustellungen, die auf den verschiedenen Bühnen in bunter Reihenfolge einander ablösten, fand an jedem Abend ein großer Umzug sämmtlicher sich activ am „Autoren-Carneval“ betheiligenden Personen in vollem Costüm statt, welche höchst interessante Parade eine volle Stunde dauerte. Auf einer die ganze Breite der Halle einnehmenden großen Bühne wurden zu alledem an jedem Abend Massenbilder unter prächtiger Beleuchtung producirt, die einen wunderbar schönen Eindruck machten und in denen die verschiedenen Nationalitäten mit einander wetteiferten.

Die vereinigten orientalischen Darsteller producirten dort eine Haremsscene und einen Sclavenmarkt, wobei nicht weniger als 150 auf das Reichste costümirte Personen vertreten waren – ein schillerndes Farbenspiel von Roth und Gold und Geschmeide, das in Worten nicht zu beschreiben ist. Gern verzichtet hätte ich meinerseits auf die von den Amerikanern viel bewunderte sogenannte „Fächer-Brigade“ von neun Jungfrauen, welche allabends auf der großen Bühne mit Fächern kunstvolle Exercitien ausführten, und auf ein Schachspiel, wobei Herren und Damen in Costüm die Figuren darstellten und das Spiel geschwinder zu Ende geführt ward, als Murphy oder Andersen es vermocht haben würden.

Die Deutschen errangen auch auf der großen Bühne, wie von den Amerikanern bereitwillig zugestanden wurde, die höchsten Triumphe. Die „große Apotheose“ von Schiller und Goethe kam hier zu herrlicher Geltung. Um Goethe und Schiller, die lebenstreu personificirt waren, schaarten sich die Gestalten der Charaktere aus den Werken der beiden Dichterfürsten, während die Muse über der Gruppe gleichsam schwebte und einen Lorbeerkranz zu Häupten des Dichterpaares hielt. Hundert deutsche Sänger, welche sich bei dieser Gelegenheit im Vordergrunde unterhalb der Bühne aufgestellt hatten, ließen beim Aufgehen des Vorhanges ein prächtiges Lied ertönen. Nicht minder schön war das kurz darauf folgende Bild von der Kirchgangsscene aus „Faust“, welches das gesammte Publicum förmlich mit sich hinriß und einen stürmischen Beifall erntete.

Der „Autoren-Carneval“ war ohne Frage eines der schönsten Feste, die je in San Francisco stattgefunden haben, und stellt alle ähnlichen Unternehmungen in den östlichen Unionsstädten weit in den Schatten. Die Betheiligung des Publicums blieb bis an’s Ende eine solche, wie sie sich Niemand vorher hatte träumen lassen. Mindestens 10,000 Zuschauer strömten an jedem Abend im Pavilion zusammen, und es war dort ein unbeschreibliches Menschengewoge von der sich unaufhörlich hin und her bewegenden Menge. Oft war es fast unmöglich einen bestimmten Punkt zu erreichen, und Mancher konnte von Glück sagen, in einem abgelegenen Winkel bei den Japanern eine diminutive Tasse Thee oder von den Dienerinnen der Lalla Rookh ein Glas Scherbet verabreicht zu bekommen, oder auch bei den Schweizern in der Sennhütte ein gastliches Unterkommen zu finden.

Ein großer Costümball beschloß das neun Abende dauernde Fest. Die Totaleinnahme betrug etwas über 45,000 Dollar; der Reinertrag von etwa 25,000 Dollar ward den früher erwähnten sechs wohlthätigen Gesellschaften und dem Dirigenten zu gleichen Theilen eingehändigt.

Gewiß hat San Francisco ein Recht, auf den Erfolg diesem großartigen Festes mit Stolz und Genugthuung zurückzublicken. Schon jetzt ist es beschlossen, daß der „Autoren-Carneval“ im nächsten Jahre wiederholt werden soll, und es wird derselbe wahrscheinlich von jetzt an regelmäßig wiederkehren. Die unvermeidlichen Mängel der ersten Aufführung, z. B. die zu niedrige Bauart der Seitenbühnen, welche einen Ueberblick für Menschen von kleinerer Statur oft zu einem schwierig zu lösenden Problem machten, wird man zu vermeiden wissen, die alten sorgsam aufbewahrten Decorationen durch neue vermehren und das Mangelhafte und Unpassende entfernen. Der Sinn des Volkes für das Schöne und Edle hat durch das Fest einen mächtigen Impuls erhalten, und es werden die „Autoren-Carnevals“ von San Francisco eine Hochschule des feineren Geschmacks für die heranwachsende Generation dieser Stadt bilden. Daß der sich von Jahr zu Jahr steigernde Ertrag durch Verringerung der Ausgaben, welche bei der Herstellung der ersten Einrichtung enorm gewesen sind, auch künftig allein den wohlthätigen Gesellschaften zu Gute kommen soll, ist eine der schönsten Errungenschaften dieser Kunstfeste.

Wer beim Lesen meiner im vorigen Artikel gegebenen Darstellung der Wettläufe eine geringe Meinung von der Culturstufe der San Franciscaner bekommen hat, muß nach meiner Beschreibung des kurz darauf folgenden „Autoren-Carnevals“ doch wohl eingestehen, daß San Francisco trotz seiner vielen Untugenden noch lange nicht der schlechteste Platz in dieser weiten Welt ist. Wie einem fidelen Burschen, der eben seinen Flegeljahren entwachsen ist, sitzt das ernstere Manneskleid der jungen Goldstadt noch etwas unbequem. Aber die Zeit wird rasch herankommen, wo San Francisco unter den cultivirtesten Städten der Erde ebenso gut wie unter den reichsten mit in erster Reihe genannt werden muß. Manchem wird es sogar leid thun, daß die alten lustigen, wenn auch etwas rauhen Zeiten bald unwiederbringlich entschwunden sein werden, um dem Leben der großen civilisirten Alltagswelt den Platz einzuräumen.




Auf der Station von St. Pancras.
Eine Reisehumoreske von C. Schröder.
(Schluß.)


Wie ich so allein dasitze und auf Hann und meine Mahlzeit warte, ist es mir, als höre ich hinter mir einen tiefen Seufzer. Niemand da! Ich muß mich also wohl getäuscht haben.

Nach Verlauf einer guten halben Stunde naht Hann mit Geklirr. Sie setzt ein Theebrett auf den Tisch und fordert die Summe von zwei Schillingen für das lucullische Mahl, das sie mir bereitet. Während ich meine Börse hervorsuche, geht die Hausthür. Gleich darauf lassen sich schwere Schritte auf der Treppe vernehmen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 620. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_620.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)