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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

‚Miguela, nur für Dich suchte ich Gold und Herrlichkeit – und gab Dir den Tod! – José Maria,‘ wandte er sich dann gegen mich, ‚reich sollte sie sein, glücklich, stattlich, prächtig und herrlich, wie die vornehmen Leute – und das hab’ ich aus ihr gemacht!‘

Doch bald fiel er in seinen alten grimmen Trotz zurück; heftig sprang er auf und schrie uns wild an:

‚Ich sag’ Euch, Miguela ist nicht verdammt. Gold hab’ ich, Gold für ihre Seele.‘

Sonst kündeten wir, wenn wir, mit Beute beladen, heimzogen, laut jubelnd in Santa Barbara unsere Heimkehr an; jetzt zogen wir in Trauerprocession vor Miguela’s Haus und legten, von den Weibern und Kindern heulend umstanden, unsere Todten und unsern Kranken nieder.

Der ‚grimme Wolf‘ ward noch stummer als bisher; man hörte kein Wort mehr von ihm, aber er sah nicht grimmig und trotzig mehr in die Welt, knurrte nicht mehr, ging jedem Kinde aus dem Wege, und seine Flinte stand unberührt im Rauch. Sein Kopf hing gesenkt; seine Augen sahen nicht mehr von der Erde; auf seinem Gange murmelte er viel zwischen den Zähnen, und seine Hände griffen oft in die Luft. Ganz hager und mager trocknete der Alte aus; die Leute steckten die Köpfe zusammen und zischelten: ‚Er ist verrückt geworden.‘

Er ging zum Pfarrer und sagte: ‚Da ist Gold für Miguela’s Seele; ich bringe mehr Gold, so viel Ihr braucht und wollt für ihre Seligkeit.‘

Und so ging er von einem Pfarrer zum anderen und ließ Messen lesen und trug sein Gold in alle Kirchen für Miguela’s Seele – die Arme! Auf Erden durfte sie nicht herrlich leben, so sollte sie nun selig leben im Himmel.

An jedem Morgen, bevor der Tag sich noch regte, war Ignacio aus dem Dorfe verschwunden; seinen Knaben ließ er als Haushalter zurück; an jedem Abend kehrte er wieder; er trug einen groben Sack als Hemde, das er mit dem Messergurt um die Hüften zusammenschnürte, darunter kurze, kaum über’s Knie fallende Hosen. So ging er tagein, tagaus; so schlief er des Nachts auf einer Kuhhaut.

Niemand wußte, wo er sich den Tag über aufhielt; sein Junge wagte nicht und hatte keine Zeit, ihm nachzuspüren. Von den Nachbarn aber hörten wir, daß der ‚grimme Wolf‘ heute hier, morgen dort gewesen, überall habe Messen lesen lassen, überall, wo eine Procession stattgefunden, derselben gefolgt sei. Ob noch so weit, noch so beschwerlich, er folgte jedem Glockenstoße, jedem Rosenkranze und sank des Abends wieder auf sein hartes Lager hin, aber er gab keinen Laut von sich.

So sah und kannte Jedermann in Nähe und Ferne den ‚grimmen Wolf‘; die Kinder flohen vor ihm; die Erwachsenen ließen ihn gehen, und wo er sich in den Schatten eines Baumes oder einer Veranda setzte, gab man ihm Speise und Trank.

Eines Morgens endlich stand der Alte nicht mehr auf; er lag steif, kraftlos und von einem hitzigen Fieber befallen auf seiner Kuhhaut. Erschöpft war er am Abend vorher zusammengesunken und hatte tief aufgeseufzt; der Knabe ahnte, was das zu bedeuten habe; er eilte hinaus und rief den Nachbarn; ‚der Alte hat geseufzt,‘ sagte er, ‚er wird sterben; bleibt diese Nacht bei mir!‘

Als der Alte sich nicht aufzurichten vermochte, rief er den Knaben zu sich; seine tiefliegenden Augen brannten heiß und trocken.

‚Muchacho,‘ stotterte er mühsam, ‚Muchacho, ich sterbe – am Sonntag, um dieselbe Zeit, als Miguela in der Fluth umkam, saß ich und ruhte unter dem großen Higuerote;[1] da saß über mir im dichten Laube die Todtentaube und klagte; drei Abende hinter einander saß ich dort, und immer klagte über mir die Todtentaube; gestern Abend blieb sie aus – und der Tod kam und schüttelte meine Knochen. Nun lauf und hole den Pfarrer, schnell!‘

Der Pfarrer kam.

‚Ich sterbe,‘ murmelte der Alte. ‚Ich will keine Absolution; begrabt mich, wo Ihr wollt! Ich gebe meine Seele für Miguela’s Seele,‘ röchelte er laut mit letzter Anstrengung, ‚und hier ist Gold; schnell, Padre, sagt mir, daß ihre Seele gerettet ist!‘

‚Ignacio, beichtet!‘

‚Schnell, Padre, antwortet: Miguela ist –‘

‚Der Heiligen Fürbitte wird nicht ausbleiben, und Gottes Barmherzigkeit ist groß,‘ sagte der Geistliche.

‚Gewißheit – Padre. Ich will – Gewißheit.‘

Der Pfarrer senkte sein Haupt:

‚Ignacio, beichtet!‘

Ein ersticktes Wuthgeschrei entrang sich röchelnd des Alten Brust; sein Gesicht verzerrte sich; das erlöschende Auge blitzte noch einmal in wildem Feuer auf; dann griff er mit Zusammenraffung der letzten Kraft hinter sich, zerrte aus der Wand-Ecke einen Beutel mit Gold hervor und stieß keuchend die nur halb verständlichen Laute aus:

‚Nimm – Kirche – Miguela – Miguela’s Seele!‘

Der Alte sank zurück; sein Auge brach. Der ‚grimme Wolf‘ war todt.

Das Geheimniß von Torcoróma’s Gold nahm er mit in sein Grab; Niemand hat es wieder entdeckt; von seinem Vermächtnisse an die Kirche aber werden noch heute für die Seelen der in der Fluth Verunglückten Messen gelesen.“ –

„Das ist die Geschichte vom ‚grimmen Wolf‘“ sagte José Maria und erhob sich; er stieß schweigend die Gluth zusammen, kauerte auf sein Lager nieder und sprach flüsternd sein Gebet; dann schlug er über Stirn, Mund und Brust das Kreuz und lag bald in tiefem Schlafe.

„José Maria,“ sprach am anderen Morgen der weiße Mann zu dem braunen Manne, als Wald und Strom unter dem feurigen Sonnenpurpur erglühten und die Morgenröthe mit rosigen Lippen das Thränenufer küßte, „kommt, laßt uns ein Kreuz für Miguela und ihren getreuen Gefährten setzen!“

„Herr,“ erwiderte der Sohn der Wildniß, „die Männer des deutschen Landes sind zwar keine Christen, und ich beklage ihre Seelen, doch immer fand ich Euch als gute Menschen.“

„Seid ohne Sorge, José Maria, auch die Männer Deutschlands sind Christen – und alle Menschen sind Gottes Kinder.“

José Maria segnete das Kreuz und schlug das Zeichen seiner Kirche; er bewegte dabei flüsternd die Lippen, und bald lag wieder still hinter den Wanderern im duftigen Morgenschimmer die Vega de las Lagrimas, das Ufer der Thränen.




Die Spuren des vorgeschichtlichen Menschen in Deutschland.

Betrachtungen zur prähistorischen Ausstellung in Berlin.
Von A. Woldt.
III. (Schluß.)
Fußstapfen der umbrischen Cultur in Deutschland: die Bronze-Eimer. – Etrurisches. – Lindenschmit’s Auffassung der „Bronzezeit“ und die nordische Opposition. – Von der norischen Kunst und von einem ungarischen Zigeuner. – Römische Einflüsse bis zur Merowingerzeit; die Römerfestung Regensburg und ihre Friedhöfe. – Verschiedene Ansichten über die „Eisenzeit“. – Das Grab des Königs Childerich.

Wie vereinzelte Lichter in Waldesdunkel, so fällt in die allerälteste Cultur in Deutschland hier und da ein heller Strahl fremder glänzender Culturentwickelung, namentlich aus den südeuropäischen Ländern. Wir müssen weit, sehr weit zurückgehen. bis in jene entlegene Zeit vor beinahe dreitausend Jahren, wo in Italien die uralten Culturen der Etrusker und Umbrier herrschten, um die ersten Spuren dieser Einstrahlung aufzufinden. Es war das jene Zeit, wo in den Mittelmeerländern die Kunst der Metallbearbeitung sich bis zu einer gewissen Höhe entwickelt hatte und wo die zahlreichen Erzeugnisse dieser Technik einen mächtigen Handelstrieb hervorriefen, der die Kaufleute bis in die entlegenen Länder des Nordens führte. So wurden für Mittel- und Nordeuropa


  1. Higuerote ist ein Baum aus dem Geschlechte Ficus, in dessen hohlem Riesenstamme der Verfasser einst vor einem Gewitter mit seinem Führer und zwei Pferden Schutz fand und, ohne aus dem Sattel zu steigen, bequem wendete und wieder hinausritt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 630. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_630.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)