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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


„Aber wenn Spieseke's etwas merken, kommen wir in Teufels Küche. Der Kerl läßt nicht mit sich spaßen, und mit Jewalt ist da nichts zu machen. Er wird die Polizei rufen und dann muß ich wenigstens meine vier Wochen brummen.“

„Wie kann man nur ein solcher Hasenfuß sein! Ich stehe Dir jut dafür, daß er nicht die Probe merken soll.“

„Du kannst Dir doch nicht unsichtbar machen und unsere Schränke und Kommoden, das janze Jeschirr in der Luft fortschaffen, während Spieseke's vor der Hausthür Wache stehen?“

„Laß sie man stehen, bis sie schwarz werden! Schadet nichts.“

„Wie sollen wir denn mit unseren Sachen fortkommen?“

„Du bist doch jar zu dämlich,“ versetzte die schlaue Frau mit überlegenem Lächeln. „Die Hausthür jeht auf die Straße und unser Keller nach der Spree. Hast Du mir bejriffen?“

„Nicht janz; denn das Wasser hat keine Balken. Wie sollen wir denn die Sachen 'nüberbringen?“

„Mit dem Kahn.“

„Jetzt jeht mich ein Seifensieder uff,“ rief Herr Piefke entzückt. „Karline! Ich muß Dich einen Kuß jeben. Du bist die klügste Frau, die ich kenne. Aber woher sollen wir den Kahn nehmen?“

„Davor wird schon Vater Brendel sorgen. Mach man, daß Du fortkommst und die Rück-Compagnie bestellst!“

Ohne Zeit zu verlieren, begab sich der folgsame Budiker zu dem bekannten Vater Brendel, der an der Spitze einer sogenannten nächtlichen Rück-Compagnie stand. Er und seine Leute, verwegene Gesellen, bildeten eine von allen Hauswirthen Berlins gefürchtete Bande, die gegen eine angemessene Belohnung mit bewunderungswürdiger Schnelligkeit und Kühnheit verschuldeten Miethern bei ihrem heimlichen Auszug halfen und den gefährlichen Transport der Habseligkeiten besorgten, bevor die geprellten Wirthe eine Ahnung davon hatten.

Da die Letzteren nach dem Gesetz bei schuldiger Miethe das Recht haben, das bewegliche Eigenthum des Miethers zurückzuhalten, so lange sich dasselbe in ihrem Hause befindet, ist es hauptsächlich die Aufgabe der Rück-Compagnie, so heimlich und rasch wie möglich die Möbel und Geräthschaften auf die Straße zu schaffen, wo dieselben vor jeder Pfändung sicher sind. Dagegen wird ihre gewaltsame Entfernung aus dem Hause nach erfolgtem Einspruch mit mehrwöchentlichem Gefängniß bestraft.

Für ein derartiges gewagtes Geschäft war Vater Brendel ganz der geeignete Mann, ein wahrer Riese mit dem Nacken eines Stiers, mit Fäusten wie Bärentatzen und mit den breiten Schultern eines Hercules, dabei schlau wie ein Fuchs und schnell wie ein Windhund. Wie ihm die schwerste Last nur ein Kinderspiel war, wie er im Handumdrehen einen centnerschweren Wäscheschrank forttrug, so verstand er es, dem geriebensten Wirth eine Nase zu drehen, und er that dies mit wahrer Begeisterung.

„Was jemacht werden kann,“ sagte er lachend auf den Antrag Piefke's, „wird jemacht. Verlassen Sie sich janz auf mich. Spieseke soll nicht einen Kochlöffel von Ihnen zurückbehalten. Nur sorgen Sie für einen juten Gilka! Meine Jungens haben einen fürchterlichen Durst und müssen sich stärken.“

„Daran soll es nicht fehlen,“ versetzte Piefke. „Auf ein paar Flaschen kommt es mir nicht an. Also nach Mitternacht! Wir werden unterdessen Alles vorbereiten und zusammenpacken, damit wir keine Zeit versäumen. Der Keller liegt dicht an der Spree, nicht weit von der Brücke. Nehmen Sie sich nur in Acht, daß Spieseke's nichts merken!“

„Nur nicht ängstlich!“ entgegnete der Riese. „Jeschwindigkeit ist keine Hexerei. Mit dem alten Schneesieber werden wir schon fertig werden. Halten Sie nur Alles parat und passen Sie auf das Zeichen auf! Ich klopfe dreimal in die Hände; dann lassen Sie uns ein. In zehn Minuten ist die Bude bis auf den letzten Strohhalm ausjeräumt, und Spieseke kann sehn, wo er bleibt.“

„Der Kahn wird doch jroß jenug sein, um die janze Wirthschaft fortzuschaffen?“

„Dadrum brauchen Sie nicht zu fragen. Ich stehe Ihnen gut davor, daß nicht ein Schmortopf zurückbleiben soll.“

Nachdem der Budiker dem Vater Brendel noch einmal Vorsicht eingeschärft und ihm das übliche Draufgeld eingehändigt hatte, eilte er nach seiner Wohnung, um im Stillen mit seiner Frau die nöthigen Vorbereitungen für ihren heimlichen Auszug zu treffen. Schnell wurden Schränke und Kommoden geleert, die Betten zusammengeschnürt und Töpfe und Gläser in Körbe gethan und mit dem vorräthigen Stroh bedeckt. Mit ängstlicher Spannung erwarteten Beide die Dunkelheit der Nacht, da sie von den wachsamen Wirthsleuten bei ihrer verdächtigen Beschäftigung überrascht zu werden fürchteten.

Zur bestimmten Stunde glitt ein großer Kahn geräuschlos wie ein Schatten auf dem Wasser und legte unbeobachtet unter der bezeichneten Brücke an. Aus demselben stiegen sechs kräftige, bis an die Nasenspitze vermummte Männer und näherten sich, vorsichtig nach allen Seiten sich umschauend, dem an der Spree gelegenen Keller, den ein matter Lichtschimmer erhellte. An ihrer Spitze schritt Vater Brendel schweigend wie ein Feldherr, der einen nächtlichen Ueberfall leitet. Auf das gegebene Zeichen öffnete sich still die zuvor eingeölte Kellerthür und ließ einen Theil der Gesellschaft hinein, während die andere Hälfte draußen stehen blieb.

Mit bewunderungswürdiger Schnelligkeit und Ordnung wurde in wenigen Minuten der Keller geleert. Auf ihren breiten Schultern trugen die riesigen Männer Schränke und Tische, Stühle und Kommoden, Kisten und Kasten, Betten und Geschirr in den bereitstehenden Kahn. Der Schweiß rann ihnen von der Stirn, und unter der schweren Last rötheten sich die purpurnen Gesichter, schwollen die blauen Adern um Stirn und Nacken. Sie gönnten sich keine Rast, da Vater Brendel zur Eile trieb. Nur zuweilen hielten sie inne, um sich durch einen mächtigen Zug aus den Flaschen zu stärken, welche Frau Piefke bereit hielt und fortwährend neu füllen mußte.

Unterdessen stand Herr Spieseke an dem geöffneten Fenster und blickte mit seinen Luchsaugen wachsam auf die menschenleere Straße hinaus, unbekümmert um die nach dem Wasser gelegene Seite, da er eine Flucht seines Miethers über die Spree für unmöglich hielt. Nichtsdestoweniger konnte er sich einer leichte Befürchtung nicht erwehren, als er den bisher stillen Hofhund plötzlich laut bellen hörte und aus der Ferne ein verdächtiges Geräusch, ein Rücken und Rutschen, ein Krachen und Rasseln, ein Flüstern und Lachen zu vernehmen glaubte.

„Guste!“ rief er bestürzt, seine süß schlummernde Gattin weckend. „Guste, hörst Du denn nicht?“

„Na, was giebt's denn?“ versetzte sie verschlafen. „Ist die Reihe schon wieder an mir? Hab' mich ja kaum in's Bett gelegt.“

„Gusteken! Mir kommt es vor, als ob der Budiker ausrücken wollte. Es rumort so unten im Keller.“

„Du träumst wohl, und es rumort allein in Deinem Kopfe. Laß mich mit Deinen Dummheiten in Frieden!“

„Mir kommt die Geschichte nicht richtig vor.“

„Mit Dir scheint es mir nicht ganz richtig zu sein. Piefke's wissen, daß wir ihnen aufpassen. Denkst Du denn, daß sie über die Spree fliegen können? Damit hat es gute Wege.“

Die Worte der würdige Gattin beruhigten den mißtrauischen Wirth um so leichter, als auch das Geräusch wieder schwieg und das Bellen des durch einen rechtzeitig ihm gereichten Bissen bestochenen Hundes verstummt war. Während dieser Zeit hatte auch die Rück-Compagnie ihr Geschäft beendet, keinen Scherben im Keller und keinen Tropfen in der Flasche zurückgelassen. Unter Führung des Vater Bredel eilte die ganze angeheiterte Gesellschaft nach dem Kahn.

„Einjestiegen!“ commandirte der Riese.

„Nur noch einen Augenblick!“ rief Frau Piefke. „Ich habe noch etwas verjessen.“

„Was denn?“ fragte ärgerlich der Budiker, dem das Feuer unter den Sohlen brannte.

„Meine Juitarre,“ versetzte die poetische Dame.

„Wegen des Barbierflügels dürfen wir uns nicht aufhalten. Und was soll Dir der alte Klimperkasten?“

„Ohne meine Juitarre und unsere Zieh-Harmonika jeh' ich nicht fort. Musik erheitert das Leben.“

„Hat man je eine so närrische Frau jesehen! Du wirst so lange trödeln bis Spieseke's aufwachen und dann haben wir die Bescheerung.“

„Sie können uns nichts mehr thun, auch wenn sie aufwachen. Unsere Sachen liegen im Kahne, und sie dürfen nicht mucksen. Nicht wahr, Vater Brendel?“

„So is es!“ brummte der Riese. „Sobald die Sachen aus dem Hause sind, kann der Wirth nichts mehr machen.“

„Aber der Skandal!“ mahnte der ängstliche Budiker; „wenn Spieseke's Unrath wittern.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 672. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_672.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)