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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


den aus dem Moselthal heraufkommenden deutschen Truppen ihren ehernen Todesgruß entgegensandte. Im Hintergrunde hebt sich in dominirender Lage das Denkmal der 5. Division ab, eine gewaltige, aus Felsblöcken hergestellte Pyramide, welche einen kolossalen fliegenden Adler trägt, genau an dem Platze errichtet, wo der von Pont-à-Mousson herbeigeeilte Prinz Friedrich Karl am 16. August Nachmittags 3¾ Uhr den General von Stülpnagel begrüßte und sodann das Commando übernahm. In der Nähe befinden sich die Denkmäler der Artillerie des 3. Corps und des Ostfriesischen Infanterie-Regiments Nr. 78 mitten in einem ungeheuren Gräberfelde.

Bei Vionville, in dessen Gebäuden noch viele Granaten stecken, erblickt man dicht an der Straße das Monument des Infanterie-Regiments Nr. 35. An zahlreichen Gräbern und den Denkmälern des Oldenburgischen Regiments Nr. 91 und der 12. Infanterie-Brigade (24. und 64. Regiment) vorbei, gelangen wir an die französische Grenze, letztere nur durch einen kleinen, leicht zu übersehenden Stein bezeichnet. Von hier ab, die Ruinen eines am 16. August in Flammen aufgegangenen Gehöftes abgerechnet, erinnert nichts mehr an die blutigen Kämpfe, deren Schauplatz die Umgegend von Mars-la-Tour war. Die Hunderte von Kreuzen und Grabhügeln sind etwa seit Jahresfrist verschwunden. Die französische Regierung hat nämlich, um den Besitzern der Grundstücke, auf welchen sich Gräber befanden, nicht länger Entschädigungen zahlen zu müssen, sämmtliche Soldatengräber öffnen und die darin vorgefundenen Ueberreste in einer bei Mars-la-Tour gelegenen großen Gruft vereinigen lassen. Nur einige wenige Begräbnißstätten, welche von Angehörigen oder einzelnen Truppentheilen käuflich erworben wurden, sind erhalten geblieben. Auch deutscherseits war ursprünglich nur eine zehnjährige Unterhaltung der Gräber in Aussicht genommen. Nach Ablauf dieser Frist sollten die Gebeine ebenfalls an gemeinschaftlichen Begräbnißplätzen beigesetzt werden. Wie es scheint, hat man aber, um den Grabfrieden der für's Vaterland Gefallenen nicht zu stören, einstweilen davon Abstand genommen, die Ausgrabung, welche gewiß den Gefühlen eines großen Theils der deutschen Nation widerstreben würde, ausführen zu lassen. Vielmehr wurde in letzter Zeit eine Anzahl von Grundstücken, auf denen sich Denkmäler und Gräber befinden, angekauft, um sie für immer als Begräbnißstätten zu erhalten; für die übrigen Gräber wird den Inhabern der betreffenden Felder bis auf Weiteres eine entsprechende jährliche Entschädigung ausbezahlt.

Ueber der bei Mars-la-Tour befindlichen oben erwähnten Gruft, welche im Ganzen etwa 6000 Leichen enthält, erhebt sich auf einem mit zwei Reliefs geschmückten Sockel eine in Erz ausgeführte Kolossalgruppe: Frankreich, in Gestalt einer weiblichen Figur, setzt einem tödtlich verwundeten Krieger einen Lorbeerkranz auf das Haupt. Die dem Sterbenden entfallenden Waffen werden von zwei Kindern, welche die heranwachsende Generation darstellen, aufgenommen. Das Ganze ist offenbar nichts anderes als die Verkörperung der Revanche-Idee. Die Tactlosigkeit, ein solches Standbild in unmittelbarer Nähe der deutschen Grenze und dieser zugewandt, auf einer Franzosen und Deutsche als Friedhof umschließenden Gruft aufzustellen, ist theilweise selbst von der französischen Presse gerügt worden. Auch über den Kunstwerth des von einem Pariser Künstler ausgeführten Denkmals gehen die Ansichten weit aus einander.

Hinter Mars-la-Tour erhebt sich die ausgedehnte Hochfläche, von Ville-sur-Yron, auf welcher sich die großartigste Reiterschlacht des ganzen Feldzuges abspielte. In der Nähe befinden sich die Denkmäler des 2. Gardedragoner-Regiments und des Infanterie-Regiments Nr. 16. Hier in der tief eingeschnittenen Schlucht war es auch, wo das von erdrückender Uebermacht fast aufgeriebene 2. Bataillon des letztern Regiments die von einer Granate abgeschossene Fahnenspitze, welche in dem grausigen Getümmel unbeachtet liegen blieb, verlor. Von den Franzosen aufgefunden, wurde sie nach Metz gebracht, gelangte jedoch bei der Uebergabe der Festung nicht wieder in den Besitz der Deutschen. Bekanntlich ist dieser Fund in letzter Zeit von der französischen Presse als „Eroberung einer preußischen Regimentsfahne“ aufgebauscht worden.

Die Bevölkerung in Mars-la-Tour, ebenso auch in den übrigen französischen Grenzorten, ist gegen die aus Deutschland kommenden Touristen äußerst zuvorkommend. Unfreundlichkeiten oder gar Mißhandlungen kamen überhaupt nur unmittelbar nach dem Kriege vor. Seitdem haben sich die Gemüther so weit beruhigt, daß man ungehindert überall verkehren kann; höchstens daß noch hier und da der unter der Asche fortglimmende Haß sich durch einen feindseligen Blick verräth.

Die in den letzten Jahren hauptsächlich aus strategischen Gründen erbaute, in die Linie Verdun-Metz einmündende französische Grenzbahn bringt uns in kürzester Zeit auf das Schlachtfeld von St. Privat. Das düster daliegende, von Massengräbern eingefaßte Amanweiler, wo wir den Zug verlassen, war bis 1870 ein unbedeutendes Dörflein. Zur Grenzstation erhoben, ist es aber in raschem Aufschwunge begriffen. Hinter dem Bahnhofe und den ausgedehnten Lagerräumen zieht sich eine Reihe neuer, von Gärten umgebener Häuser hin; es sind dies die Wohnungen, welche für die hier angesiedelte zahlreiche Beamtencolonie errichtet werden mußten.

An denselben vorbei erreicht man auf der mit Pappeln begrenzten Straße in etwa einer halben Stunde St. Privat, unter den Schlachtorten um Metz wohl denjenigen, der am meisten gelitten hat. Die Kirche sowie eine Reihe von Privathäusern ging bei der dem Sturme vorausgegangenen Beschießung in Flammen auf. Gegenwärtig ist jedoch von der damaligen Zerstörung, einige nicht wieder aufgebaute Gartenmauern und verschiedene von den Granaten gerissene Löcher abgerechnet, nichts mehr zu bemerken. Die frühere kleine Kirche ist durch einen stolzen, geräumigen Bau, der an einer anderen geeigneten Stelle errichtet wurde, ersetzt worden. Auch die neu aufgebauten Häuser haben ein äußerst stattliches Aussehen, wie überhaupt das ganze Dorf den Eindruck der Wohlhabenheit macht.

Hinter St. Privat gewahrt man auf den sanft gegen das Dorf Roncourt ansteigenden Feldern eine breite Bahn von Gräbern; es ist dies der Schritt für Schritt mit Blut getränkte Weg, den das zwölfte (sächsische) Corps bei dem Sturme auf St. Privat einschlug. Dicht beim Dorfe, wo die Anstürmenden von dem hinter den Mauern verschanzten unsichtbaren Feinde mit einem wahren Kugelregen überschüttet wurden, zeugen die dicht nebenanliegenden Grabhügel von den entsetzlichen Verlusten der Sachsen. An dieser allen Mitkämpfern gewiß unvergeßlichen Stelle erhebt sich das Denkmal des zwölften Corps, ein großer auf entsprechendem Sockel stehender Marmorblock, mit dem sächsischen Wappen geschmückt und einen mit Lorbeer bekränzten Helm tragend (vergl. Seite 705).

Wenige Schritte von St. Privat befindet sich, umgeben von einem durch neun französische Kanonen schwersten Kalibers gestützten Eisengitter, das Denkmal des Gardecorps, das hier seinen blutigsten Tag sah, aber auch sich die unvergänglichsten Lorbeeren erkämpft hat. Das Denkmal besteht aus einem auf gewaltigem Unterbaue ruhenden Thurme, auf dessen durch eine im Innern angebrachte Wendeltreppe zu ersteigender Plattform man eine gute Uebersicht über das Schlachtfeld des linken Flügels genießt. Das festungsähnliche Amanweiler, ferner Verneville mit dem Denkmale der achtzehnten Division, das jenseits der mitten durch einen Wall von Gräbern gehenden Grenze befindliche Habonville, in dessen Nähe das schleswig-holsteinische Regiment Nr. 84 und das Kaiser Alexander-Garde-Grenadierregiment ihren in französischer Erde ruhenden Waffenbrüdern Denkmäler gesetzt haben, weiterhin St. Ail, St. Marie-aux-Chênes und Roncourt – lauter Namen, die in den Kämpfen vom 18. August eine hervorragende Rolle spielten und welche die Geschichte der Nachwelt aufbewahren wird – liegen im großen Bogen um das auf der Höhe gelegene citadellen-ähnliche St. Privat, während im Hintergrunde die lange Reihe der Maasberge auftaucht. Gleichzeitig gewährt unser Standort ein anschauliches Bild der Hindernisse, welche zu überwinden waren, ehe es gelang, St. Privat zu nehmen und damit das Schicksal des Tages zu entscheiden. Glatt, einem Glacis gleichend, steigt das Terrain an, ohne die geringste Deckung zu gewähren. Offen, die Brust dem feindlichen Blei preisgegeben, müssen die Tapfern vorwärts stürmen, ohne dem Gegner etwas anhaben zu können, ja sogar ohne ihn zu sehen. Ueber die Gefallenen weg, gelangen die gelichteten Bataillone bis an die Stelle, auf der das Gardedenkmal steht. Hier kommt der Ansturm zum Stillstande; bald darauf unter Beihülfe des zwölften Corps wird der Versuch wiederholt, der dann auch gelingt, freilich nicht ohne entsetzliche Opfer: die großen Massengräber bei St. Privat wissen davon zu erzählen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 708. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_708.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)