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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Die bei Weitem hervorragendsten Werke Anton Eisenhut’s – sie tragen das Wappen des Fürstbischofs Theodor von Fürstenberg – sind die beiden Einbanddeckel zu einem Missale und einem Pontificale. Beide bestehen aus je zwei getriebenen Silberplatten, die aber von so imponirender plastischer Schönheit sind und von einer Darstellungskraft zeugen wie wir sie selbst bei den gerühmtesten Silberarbeiten italienischer Künstler noch nicht gesehen haben. Ueberall blickt aus den Gruppen und Figuren von höchster Grazie und vollendetster künstlerischer Schönheit der majestätische Geist der göttlichen Antike heraus; überall spricht sich eine Freiheit in der Darstellung aus, welche den Künstler von Gottes Gnaden verräth und sich um prüde Bedenken nicht kümmert; Alles athmet hingebenden Schaffenstrieb, der das rein Technische der Kunst spielend beherrscht und sich voll und ganz der Darstellung sinnlicher Schönheit, wie sie die antiken Bildsäulen predigen, widmet. Als das Vollendetste genialer Composition und edelster Formenschönheit in anspruchsloser Nacktheit möchte ich die Gruppen und Figuren bezeichnen, welche den Deckel des Kölner Meßbuchs umrahmen. Diese Gebilde athmen alle Leben und Lebenslust und weisen auf die Muster hin, deren Studium sich der Meister im Vaterlande des feurigen Correggio, an dessen Malerei die Darstellungen am meisten erinnern, mit seinem ganzen Herzen hingegeben hat.

Die Vorderseite des Missale enthält als Hauptbild die Darreichung des Abendmahles in alttestamentlicher Form; darüber ruht im viereckigen Medaillon die Göttin des Frühlings mit reichen Kränzen, nach denen ein Genius greift; gleichsam als Bildhalter dienen zwei kostbare Mädchengestalten, deren plastische Schönheit in nichts der Antike nachgiebt. Mit dem obern Medaillon correspondirt unten die Darstellung des Sommers: ein Jüngling, im reichen Aehrenfelde ruhend, in den Ecken zwei üppige Frauengestalten mit Aehren und Kronen. Die Rückseite enthält das Abendmahl in neutestamentlicher Form als Hauptbild, darüber die allegorische Figur des Herbstes als Jüngling, mit Weinlaub umkränzt, zwischen zwei sitzenden Frauengestalten an jeder Ecke, darunter in ovalem Felde ein alter Mann am Feuer hockend, umgeben von einem gebeugten Greise und einer alten Frau, als allegorische Darstellung des Winters.

Spricht sich in diesem Werke so recht frei und schrankenlos die ganze Genialität des Meisters in der leichteren figuralen Ornamentation aus, die kein Silberschmied aller Zeiten je erreicht hat und wohl auch kaum erreichen wird, so sind die Deckel des Kölner Pontificale ein bewundernswerthes Muster für eine strenge, stilgerechte Composition ernsterer Art. Daß Meister Eisenhut dieses Werk selbst geschaffen hat, dafür sprechen zwei äußere Zeichen. Am unteren Ende der Rückseite treibt er einen seiner interessanteren Kupferstiche „Amor docet musicam“ (Amor lehrt die Musik) – eine Gruppe von vier prächtigen Kindergestalten, die sich um eine fünfte, welche Noten in der Hand hält, herum drängen – meisterhaft in Silber nach, und zwar so wie derselbe auf der Platte stand, wodurch freilich die Anordnung der Figuren, mit dem Stich verglichen, in umgekehrter Reihenfolge erscheint. Bisher hat diesen auffallenden Umstand wohl noch Niemand bemerkt, und doch dürfte das eben Gesagte ein Beweis dafür sein, daß Anton Eisenhut, was man theilweise bezweifelte, seine Entwürfe selbst gefertigt hat. Neben dieser Gruppe sehen wir zwei greise Flußgötter mit Aehren und Kränzen im Haar, die der Meister als Lippe und Diemel, jenes kleine Flüßchen, welches an seiner Heimathstadt Warburg vorüberrauscht, bezeichnet. In der Mitte des Deckels knieet die Gestalt eines Papstes mit wallendem Vollbarte, der zu den Wolken, in denen unter Engelschaaren die Mutter Gottes mit dem Kinde thront, betend emporschaut, und zu beiden Seiten stehen in vier äußerst geschickt in die zwei breiten Renaissance-Pilaster eingebauten Nischen die vier Evangelisten mit ihren Attributen. Die Vorderseite zeigt Moses im jüdischen Hohenpriestergewande in prachtvollster, plastischer Ausarbeitung, während im Hintergrunde die Kinder Israel am Fuße des Sinai um das goldene Kalb tanzen. Diese Figur ist im Entwurf, wie in der technischen Ausführung ein Meisterstück. Rechts und links umgeben das Mittelbild die vier Kirchenväter, während zwei weibliche Engelsgestalten das Wappen des Bischofs Theodor halten.

Die bewundernswerthe Beherrschung des Stoffes, der glänzende Formenreichthum, der sich in diesen beiden letzten Werken Eisenhut’s ausspricht, hebt den Meister aus dem engeren Kreise des Kunstgewerbes heraus und sichert ihm eine hervorragende Stelle unter den bildenden Künstlern. Die Zeitgenossen Eisenhut’s bestätigten dieses Urtheil, indem sie einzelne Gruppen aus den Darstellungen der Buchdeckel, wie die über dem Papste in den Wolken schwebende Mutter Gottes und die Gestalt des Papstes, in Stein ausführten. Wie jene auf dem Grabmale des Paderborner Domherrn Joachim von Langen von Heinrich Gruninger zu sehen ist, so ist diese merkwürdiger Weise das Vorbild für das Grabmonument des Landesherrn Anton Eisenhut’s, des Bischofs Dietrich von Fürstenberg, geworden.

Daß mit diesen wenigen Werken die Thätigkeit eines so genialen Meisters nicht abgeschlossen sein kann, unterliegt wohl keinem Zweifel, und es ist ein dankenswerthes Streben, wenn unsere Kunstforscher mit rastlosem Eifer nach der Entdeckung der übrigen seiner Silberwerke suchen. Professor Nordhoff in Münster, der erste Entdecker Eisenhut’s, hält noch das „Soester Kreuz“, welches sich auf der Ausstellung in Düsseldorf befindet und von hervorragender Schönheit ist, und ein Kußtäfelchen im Stile der Hochrenaissance im Schlosse des Freiherrn Adolf von Fürstenberg zu Lörsfeld für Werke des Meisters. Eine Veröffentlichung der fraglichen Silberarbeiten wird in der nächsten Zeit erfolgen.

Wo und wie die reiche Sammlung von Gold- und Silberwerken, welche die kunstsinnige Familie der Fürstenberger nicht allein durch die Hand Eisenhut’s, sondern auch durch andere Meister, wie Adreß in Paderborn, herstellen ließ, untergegangen oder verstreut worden ist, darüber herrschen nur Vermuthungen. Möglich, daß man im siebenzehnten Jahrhundert zu wenig Kunstsinn besaß, um die ererbten Silberwerke vor dem Verkauf oder dem Einschmelzen zu bewahren; möglich auch, daß sich noch manches in den reichen Museen des Auslandes, besonders Dänemarks, findet, dessen König Christian im Beginne des Dreißigjährigen Krieges nicht umsonst in jenen Gegenden gegen Tilly Krieg geführt hat. Vielleicht giebt auch eine Nachricht aus einer Handschrift des Staatsarchivs in Münster Andeutungen über den Verbleib Eisenhut’scher Werke.

Kurz vor der Einnahme von Paderborn durch den Herzog Christian von Braunschweig, jenen enthusiastischen Verehrer der Böhmenkönigin Elisabeth, der stets einen Handschuh seiner Dame im Kampfe am Helme trug, war der Domschatz von Paderborn, welcher auf 300,000 Reichsthaler Werth von Zeitgenossen geschätzt wurde, nach Soest geflüchtet und dem Propste des St. Patroclus-Stiftes in Verwahrung gegeben worden. Aber wie Paderborn, fiel auch Soest im Januar 1622 in die Hände des tollen Herzogs; unter schweren Drohungen erzwang Christian die Auslieferung des Schatzes vom Propste und schickte ihn zum Einschmelzen nach Lippstadt in die Münze. Eine reiche Nachlese hielt der Herzog im April desselben Jahres, wo er die Schätze, welche Frau von Olinghausen und ihr Bruder, der Drost von Bilstein, vom Bischof von Paderborn geerbt hatten, einzog und ebenfalls einmünzte. Es waren dies sieben Tonnen Goldes, also ein Werth von 70,000 Thalern, und dabei wird ausdrücklich „ein schoen vergulden Kruetze“ erwähnt. Vielleicht also, daß wir in jenen berühmten Thalern des tollen Christian mit der Aufschrift: „Gottes Freund, der Pfaffen Feind“ Reste der berühmtesten Kunstwerke der Renaissancezeit und darunter auch manche Arbeit Anton Eisenhut’s zu erkennen haben.

Die wenigen Stücke aber, die uns ein gütiges Geschick vor dem Untergang in Krieg und Brand gerettet hat, zeigen uns, daß um die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts, der Blüthezeit deutscher Renaissance, eine Kunstthätigkeit geherrscht hat, von welcher man bis heute kaum eine Ahnung hatte. Die Aufgabe unserer Tage wird es sein müssen, unser junges deutsches Kunstgewerbe, welches in so reger Lebenskraft ringsum im deutschen Land wieder erstanden ist, an den edelsten Musterwerken der Renaissance zu eigener selbstständiger Schaffungskraft heranzubilden. Jene Schöpfungen des Warburger Meisters tragen dazu bei, das Bewußtsein unserer Nation und die Hoffnung zu stärken, daß das täglich wachsende Verständniß der alten Zeit und ihrer Meister eine Blüthe in unserem Kunstgewerbe zeitigen wird, welche uns auch in dieser Beziehung unter den Culturvölkern eine unserer politischen Macht entsprechende würdige Stellung schafft.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 723. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_723.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)