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des Débats“, John Lemoinne, ein kleines, unscheinbares Männchen mit langem Gesichte und lebhaften Augen. Wie Broglie, ist auch er nur ein Salonplauderer, aber durch seine brillanten Leitartikel übt er einen größeren Einfluß, als hundert Tribünendonnerer. Ohne Zweifel ist der Journalist, dessen Mutter eine Engländerin war und der in London erzogen wurde, der Meinung jenes britischen Staatsmannes: „Ich habe manche Reden gehört; einige haben meine Ansichten beeinflußt, aber nicht eine hat mein Votum geändert.“ Um so öfter wechselte Lemoinne seine Ueberzeugungen. Ehemals liebäugelte er mit dem kaiserlichen Hofe; dann begrüßte er den Grafen Chambord enthusiastisch als Heinrich den Fünften; hierauf schlug er sich zu Mac Mahon, und endlich bekämpfte er diesen „ehrlichen Soldaten“ im Lager Gambetta’s. Ist Girardin mit seiner Ansicht, daß nur Dummköpfe immer derselben Meinung sind, im Rechte, dann hat Lemoinne jedenfalls viel, sehr viel Geist. Vor Kurzem setzte er alle Welt in Erstaunen, indem er den bereits angenommenen Brüsseler Gesandtschaftsposten nachträglich aus unbekannten Gründen ablehnte. Wie es scheint, kennt er nur den dreifachen Ehrgeiz, einer der meistbefähigten, wenn auch stillsten Senatoren, eine Zierde der Französischen Akademie und der beste Journalist von Frankreich zu sein. Nun, viele Andere würden sich damit auch begnügen.

Senator Victor Hugo ist schon ehrgeiziger, aber sein Dichterruhm leidet eher unter seinen politischen Anwandlungen. Der ehemalige Royalist ist ein nicht weniger leidenschaftlicher Republikaner geworden, aber die bloße Ueberzeugung macht den Politiker noch nicht. Bis jetzt ist der Dichter den Beweis für seinen staatsmännischen Sinn trotz aller hochtönenden Manifeste noch schuldig geblieben. Auf der Rednerbühne verfehlt er eine tiefere Wirkung, weil er keinen freien Vortrag hat, sondern alle seine hohlen Declamationen vorliest, freilich sehr theatralisch und voll schlau erklügelter Effecte, aber das Papier ist ein schlechter Wärmeleiter. Seine ganze Senatorenthätigkeit äußerte sich seither blos durch Stimmabgabe bei wichtigeren Fragen und durch alljährliche Anträge auf Generalamnestie der Mordbrenner der Commune.

Hierbei ward er namentlich von seinem radicalen Freunde, dem bekannten moralisirenden Autor und Redacteur des „Rappel“ Eugène Pelletan unterstützt, dessen düstere Prophetenmiene unter buschiger Löwenmähne ganz schauerlich zu der heiseren Grabesstimme paßt, womit er seine stets auf die Zukunft weisenden Predigten hält. Unter den gemäßigteren Liberalen findet man endlich manchen Träger eines berühmten Namens, so den talentvollen Redner Emanuel Arago, Sohn des Physikers, den gräflichen Bruder des unerreichten politischen Schriftstellers Alexis de Tocqueville, und ferner einen Enkel des Generals Lafayette.

Dies sind die Männer, die der Wille des Landes zu Rath und That in den beiden Kammern von Paris zusammengeführt hat. Es erhellt daraus, daß sich die große Mehrheit der Nation der Republik zuneigt, allein die ausschlaggebende Landbevölkerung ist und bleibt unter allen Umständen und jeder Staatsgewalt gegenüber conservativ. „Die Republik wird gemäßigt oder gar nicht sein,“ hat der kluge Thiers gesagt, und zur großen Freude ihrer Feinde ist die Regierung bald an jenem Punkt angekommen, wo schon die Girondisten umsonst gestrebt haben, den zerstörenden Mächten Halt zu gebieten. Weder das Pfaffenregiment, noch das Gottesgnadenthum des Legitimismus oder das abgewirthschaftete Bürgerkönigreich der Orléans sind die ärgsten Feinde der Republik, sondern die radicale und socialistische Revolutionspartei, welche der ängstlichen Nation stets eine solche Furcht einzuflößen pflegt, daß sie selbst einem Dictator zujubelt, welcher den sicheren Bestand der bedrohten Gesellschaft verspricht. Die Zukunft Frankreichs hängt also einzig von der Mäßigung des Opportunismus ab. Leider hat er sich der Pariser Demagogie schon zu gefügig gezeigt, um nicht ganz ihr Werkzeug zu werden; aber vielleicht rafft sich der geniale Gambetta im Augenblicke der höchsten Gefahr auf, um die einzig mögliche Republik vor ihren eigenen Anhängern zu retten, und wäre es selbst mit Waffengewalt.

Sein Liebäugeln mit dem General Marquis de Galliffet, einem der bestgehaßten Communebezwinger, scheint darauf hinzudeuten, daß er zum Kampfe gegen die Unversöhnlichen entschlossen ist. Aber wird ein neuer Barras oder Cavaignae nicht einem anderen Bonaparte den Weg bahnen? Bereits hat der einzig ernst zu nehmende Prätendent, der schlaue Prinz Jérôme Napoleon, die sattsam bekannte demokratische Maske umgehängt, womit schon zwei Bonaparte die Republik betrügen konnten. Es scheint geschrieben zu stehen, daß in unserem Nachbarlande die Freiheit zum Umsturz und Staatsstreich, die Republik zur Anarchie und endlich zum revolutionären Cäsarismus führen muß, welcher vielleicht Frankreichs sociale Ruhe und sicher die Störung des Weltfriedens bezeichnet.

Gottlieb Ritter.




Blätter und Blüthen.

Das Kölner Dombaufest. Ueber das heilige Köln war am 15. und 16. October 1880 ein Meer von Festjubel hereingebrochen, dessen brausende Wellen Alles überflutheten. Nur der katholische Clerus hielt sich zurück. Dagegen hatte die Bürgerschaft Kölns augenscheinlich jede Erinnerung an den Culturkampf und den Hader der Parteien für die beiden Tage des Dombaufestes ausgelöscht und gab sich freudig und rückhaltlos der allgemeinen Begeisterung hin. Der Kölner ist in der That mit seinem schönen Dome durch die Jahrhunderte hindurch in Freud’ und Leid zu innig verwachsen, als daß die sonst so ausschlaggebende Stimme der Priesterschaft diesmal ihre altgewohnte Wirkung nicht gänzlich hätte verfehlen müssen, und so prangte denn die ganze Stadt in grünem Feierkleide und festlichem Flaggenschmuck. Die Reiterstatuen des Kaisers und Friedrich Wilhelm des Vierten auf der Rheinbrücke trugen Lorbeerkränze; von allen Schiffen grüßten die Wimpel, und auffällig zeigten sich nur die unbeflaggten katholischen Kirchen mitten im Fahnenwalde der Stadt. Gewaltig tönte das Gewirre und Gesumme der nach Hunderttausend zählenden Menschenmenge, welche zum Domplatz drängte; dort ragten wie Felsen über dem bewegten Meere in einsamer Majestät die vollendeten Domthürme. Doch auch an ihnen empor kletterten die siegreichen Fahnen in den Reichs- und Landesfarben, immer höher und höher, bis zu den Spitzen, um gleichsam auch ihnen die Begeisterung des Tages mitzutheilen.

Die Festtage selbst waren von größtentheils klarem, mitunter sogar heiterem Wetter begleitet. Es war eben wiederum „Kaiserwetter“.

Am 15. October langten die Majestäten und die Fürsten, von dem Kanonendonner der Batterien am Rheine und den brausenden Hochrufen der Menge begrüßt, auf dem Centralbahnhofe an, und fuhren dann durch den auf dem Vorplätze errichteten hohen Triumphbogen zum Regierungsgebäude und von da in die evangelische Trinitatiskirche zum Gottesdienste. Die würdige und tactvolle Predigt des Superintendenten Bartelheim knüpfte an das gemeinsame Gebet der beiden Confessionen, das Vaterunser, an, in der Bitte: dein Reich komme.

Zu dem nun folgenden Te Deum im Dom war nur eine beschränkte Zahl besonderer Einladungen ergangen. Die Würdenträger des Reichs, die Gäste der Stadt, die Spitzen der Behörden hatten auf den Bänken des Hauptschiffes Platz genommen, alle in Gala-Uniform. Dagegen bot der Dom selbst sein alltägliches Aussehen. Ohne jeden kirchlichen Pomp schritten fünf Prälaten des Domcapitels unter Führung des Weihbischofs Baudri, welcher weder Mitra noch Stab trug, bekleidet mit der lilafarbenen Soutane, langsam vom Chore her durch das Hauptschiff zum Portal und nahmen seitwärts unter der Halle des Südthurmes, mehrere Schritte von dem Hauptportal entfernt, Aufstellung. Da kam eine Bewegung in die Menge, welche draußen das Hauptportal umdrängte, wie der erste Windstoß des Sturmes, der in den Wald fährt. Es war Moltke, der, nur von seinem Adjutanten begleitet, zuerst den Dom betrat, die Prälaten mit tiefer Verbeugung begrüßte und dann das Hauptschiff entlang schritt. Bald aber vernahm man draußen neue Bewegung, und anschwellend bis zum Sturme erdröhnte der Jubelruf: „Hoch der Kaiser!“

Draußen, an den Stufen des Hauptportals, nahm der Vorstand der Dombauverwaltung den Kaiser ehrerbietigst in Empfang; alsdann betrat das Kaiserpaar den Dom; ihm folgten der Kronprinz mit seiner Gemahlin, die Fürsten mit ihren Hofleuten, und auf eine Weile verschwanden Alle in der Nische des Südthurms. Auf die Anrede des Domdechanten, Weihbischofs Baudri, welcher unter Anderem sagte: „möge bald der heißersehnte Tag erscheinen, welcher der Kirche den Frieden, dem vollendeten Dome den Hirten wiedergiebt“, erwiderte der Kaiser unter Anderem: „Seien Sie versichert, daß wie stets so auch an diesem von der gesammten Nation freudig begangenen Tage das Walten ungetrübten Gottesfriedens allüberall im Reiche das Ziel meiner unausgesetzten Sorge und meiner täglichen Gebete bleibt!“

Unter Vorantritt der Domschweizer und der Prälaten wurden die Majestäten nunmehr von den Letzteren in den engern Chor geleitet; die Orgel setzte ein und das Te Deum begann. Es war wohlthuend, den Orgelklang zu hören, und auch der frische Knabenchor, der mit dem Gesange der Priester abwechselte, gab der im Allgemeinen etwas frostigen Stimmung mehr Wärme und Feierlichkeit. Gleich nach halbzwölf Uhr traten der Kaiser und die Kaiserin, von dem Domcapitel bis zur innern Thür begleitet, aus dem Südportale heraus auf den Domhof.

Dort hatte sich schon seit zwei Stunden ein auserlesenes Publicum auf dem von den Tribünen umgebenen Platze eingefunden. In langen dunklen Reihen standen Spalier bildend, quer über dem Domhof, die Werkleute und Steinmetzen mit Winkelmaßen in der Hand und mit gelben und weißen Lederschurzfellen angethan, dahinter die Vereine der Stadt in buntfarbigem Contrast mit grünen, rothen, gelben und goldgestickten Bannern. Auf den sieben amphitheatralisch gebauten Tribünen leuchtete und glitzerte es von Uniformen, kostbaren Damentoiletten und festlich decorirten Gewändern. Auf der Nordtribüne der hellgekleidete Damenchor, der die Festcantate vortragen soll, die sangeslustige Schuljugend

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