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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


marschirt kamen und die Richtung nach der Colonie nahmen. Die Soldaten hatten sich in ihre Mäntel gehüllt.

„Es ist gut, daß das angeordnete Bivouac bei dieser Sündfluth gnädig vom Commandirenden abbestellt worden ist; denn wir wären wahrlich elendiglich wie die Mäuse ersoffen,“ sagte einer der beiden voranschreitenden Officiere zu dem andern; „aber es wäre mir doch lieber gewesen, wir hätten unser Massenquartier anderswo, als gerade bei den frommen Brüdern aufschlagen können – ob wir bei diesen gut ankommen werden, scheint mir mehr als fraglich. Wir sind in ihren Augen doch nur wilde Cannibalen und Mordgesellen und ich schaudere schon vor den Bekehrungsversuchen ihres heiligen Eifers.“

Der neben ihm gehende Officier lachte.

„Es wird nicht gar so gefährlich werden, wie Sie es befürchten, Hansen,“ meinte er; „aber sehr gelegen werden unsere wilden Burschen ihnen allerdings nicht kommen – eine Störung, wie sie bei ihrer peinlich durchgeführten Ordnung und stillen Lebensart nicht schlimmer gedacht werden könnte.“

„Nun, Sie haben das Commando überkommen, Trautenau,“ begann der Andere wieder, „Sie sind schon in diesem Bethanien gewesen, haben sogar eine Schwester bei diesen Heiligen – Sie müssen zusehen, wie Sie mit ihnen fertig werden und uns am besten unterbringen können.“

Sie hatten jetzt die ersten Häuser des Ortes erreicht. Alexander von Trautenau ließ Halt machen und die Soldaten in Reih' und Glied treten.

„Wir wollen als imposante Macht in die Colonie einrücken,“ sagte er mit leisem Humor, und als sie durch die stillen Straßen marschirten, fuhr manch erschrockenes und erstauntes Gesicht an die Fenster der Häuser und betrachtete verdutzt die Ankömmlinge.

Alexander, vertraut mit der Oertlichkeit, rückte mit seiner Truppe direct nach dem Brüderhause und in den großen Hof desselben ein; dort commandirte er „Gewehr ab!“ und ließ die Gewehre zusammenstellen: das mußte sich doch friedlich und beruhigend ausnehmen.

Das Brüderhaus war ein noch größeres Gebäude, als das Schwesternhaus, da die ledigen Brüder darin zugleich ihre verschiedenen Gewerbe betrieben und ihre Werkstätten hatten. Jetzt öffnete sich die Thür desselben, und mit bleichem, entsetztem Gesichte trat Bruder Martin, der Aelteste des ledigen Brüderchores, heraus. Alexander ging sogleich auf ihn zu und fragte höflich:

„Sind Sie der Vorsteher dieses Hauses?“

Als Bruder Martin bejahte, fuhr Alexander fort:

„Ich bin mit diesen beiden Compagnien in die Colonie commandirt worden, um die Leute für diese Nacht unter Dach und Fach zu bringen, da bei dem strömenden Regen das für heute angeordnete Bivouac nicht stattfinden kann. Wollen Sie so gefällig sein, mit Hülfe der Gemeinvorsteher mir Räume für die Leute anzuweisen?“

„Ganz recht, Herr Officier – aber vor allen Dingen sagen Sie mir, ich bitte, ob diese Flinten dort geladen sind?“ fragte Bruder Martin, sehr ängstlich auf die Gewehrpyramiden deutend.

„Allerdings sind die Gewehre geladen, aber ohne Kugel, und es ist durchaus keine Gefahr vorhanden, daß sie von selbst losgehen,“ beruhigte ihn Alexander.

Bruder Martin wurde bei diesen Worten noch bleicher als zuvor.

„Herr Officier,“ rief er zum Hause zurück flüchtend, „ich muß sehr bitten, die Flinten entfernen zu lassen.“

„Mit Vergnügen, Herr Vorsteher,“ willfahrte ihm Alexander, „wenn Sie mir nur einen Raum anweisen wollen, in dem meine Leute die Gewehre unterbringen können.“

Bruder Martin lief bereitwillig in das Haus und schloß eine Stube im Erdgeschoß auf; die gefürchteten Mordwaffen wurden von den Soldaten hineingetragen, Alexander schloß überdem die Thür ab und steckte, zur großen Beruhigung des Chorführers, den Schlüssel ein.

Hauptmann Hansen hatte inzwischen seine sarkastischen Bemerkungen nicht zu unterdrücken vermocht:

„Gott steh mir bei, einem ehrlichen Soldaten muß sich das Herz im Leibe umdrehen, wenn er das hören muß,“ meinte er. „Flinten! Als ob wir Schießprügel führten – der gute Mann muß von Olim's Zeiten noch übrig geblieben sein.“

Alexander vertheilte die Leute truppweise für die ihnen zugewiesenen Räume, wo sie auf einer Streu ein Massenlager finden sollten – da näherte sich ihm einer der inzwischen einzeln herbeigekommenen verheiratheten Brüder, ein schon älterer Mann.

„Herr Officier,“ sagte er bescheiden und höflich, „ich habe in meinem Hause Raum für einige Soldaten. Wollen Sie mir so etwa vier bis sechs als Einquartierung mitgeben? Ich verspreche Ihnen gewißlich, daß ich sie gut halten und verpflegen werde.“

„Warum das nicht, bester Herr!“ rief Alexander sehr erfreut. „Bitte, suchen Sie sich deren aus – die armen durchnäßten Menschen werden für Ihre Freundlichkeit nur um so dankbarer sein.“

Der Mann nahm denn auch, ohne zu wählen, sechs aus der Menge mit sich fort, und als er in seiner Gutmüthigkeit so recht von Herzen vergnügt mit seinen Leuten abzog, war damit das Eis der Verlegenheit und Scheu gebrochen: einer nach dem andern drängten sich Brüder herbei und wollten auch Soldaten als Einquartierung haben, und nicht lange, so waren im Brüderhause und in einer Menge Bürgerhäusern alle zur allgemeinsten Zufriedenheit untergebracht. Bruder Martin aber erbat sich die Officiere als seine Gäste.

Mit herzlicher Freude zogen die Wirthe mit ihrer Einquartierung ab und suchten, voll regen Eifers, in ihren einfachen Hauseinrichtungen das Beste hervor, es den Fremden zu bieten. Sauberes, weißes Linnen wurde über die Lagerstätten gebreitet; was die Küche schnell darzubringen vermochte, wurde herbeigetragen, die Erschöpften zu stärken, und alles getan, es ihnen so angenehm und bequem wie möglich zu machen.

Jetzt kam auch der Wagen mit den für das Bivouac bestimmten Bedürfnissen in den Hof gefahren; Holz und Lagerstroh, Fleisch und Zukost wurden abgeladen, und es sollte nun an das Zubereiten der Mahlzeit für die hungrige Mannschaft gegangen werden. Die Pioniere traten vor und fingen an, Pflastersteine im Hofe aufzureißen, um einen vertieften Raum für das Kochfeuer des improvisirten Herdes zu schaffen. Doch da stürzte Bruder Martin ganz entsetzt wieder herbei.

„Herr Officier,“ rief er, „Sie werden doch nicht zugeben, daß die guten Leute hier im Hofe Feuer anbrennen? Ich bitte Sie dringend, das zu verbieten – welches Unheil kann dadurch für uns entstehen, und außerdem: wie wird mir der reinliche Hof zugerichtet!“

„Wo sollen denn die Leute ihr Essen kochen, wenn es Ihnen hier für zu gefährlich erscheint?“ fragte Alexander etwas ungeduldig. „Die Leute sind naß und hungrig, haben viel Strapatze und heute noch keine ordentliche Mahlzeit gehabt; es ist ihnen zu gönnen, daß sie nun etwas Warmes zu essen bekommen.“

„O, das versteht sich, Herr Officier,“ meinte Bruder Martin sehr mitleidig; „wir werden doch die Erschöpften nicht hungern und leiden lassen? Ich will ja auch recht gern das Essen für die Leute in meiner großen Brüderküche zubereiten lassen, wo täglich für hundert Brüder gekocht wird.“

Das war ein Vorschlag, der mit Dank angenommen wurde.

Auch die Officiere fanden im Brüderhause alles zu ihrer Bequemlichkeit und Stärkung Erforderliche herbeigetragen, und Hauptmann Hansen meinte, sich vergnügt die Hände reibend:

„Trautenau, die Sache läßt sich wahrlich vortrefflich hier an, und wenn nicht noch das Beten und Singen mit uns losgeht, uns Sünder zu bekehren, so haben wir noch kein so gutes Quartier gehabt. Gott strafe mich, die Duckmäuser haben sogar ein ausgezeichnetes Glas Wein in ihrem Bereich, wovon uns Bruder Martin – die 'Flinten' seien ihm deshalb vergeben – freigebig hergestellt hat, und ich dachte doch, sie selber leben nur von Wasser und Lobgesang und sie würden uns auch so tractiren.“

„Aber, Hansen, nur nicht spotten!“ drohte Alexander, „sonst stehe ich nicht dafür, daß Sie aus diesem Paradiese wieder in den Regen hinausgesteckt werden. Ich bitte Sie, machen Sie mir inzwischen keine Schande hier, während ich gehe, meine Schwester aufzusuchen, ehe es zu spät wird – denn morgen früh wird zeitig wieder ausgerückt.“




10.

Von allen diesen außerordentlichen Vorkommnissen, die sich seit fünf Uhr in der Colonie zugetragen, hatten die beiden tief bekümmerten Menschen, Bruder Mauer und seine Tochter, in ihrem stillen Zimmer nichts bemerkt; die Außenwelt war ihnen völlig entschwunden über dem Leid, das sie in ihrem Innern

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 732. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_732.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)