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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Hedda, wir haben ihn,“ hörte er sagen. Rustan heulte, und seine Stimme klang wie Weinen und Wehklagen. „Sie bringen Olaf's Leiche,“ dachte Hallerstein. „Sie haben ihn in den Klippen gefunden.“

Es schauderte ihn. Er schloß wieder die Augen und seufzte still in sich hinein. Da plötzlich bewegte sich etwas dicht neben ihm, und – war es seine erregte Phantasie, die ihn täuschte? – eine warme Hand legte sich leise auf die seinige. Er zuckte zusammen; er blickte auf:

„Karin!“

Da stand sie vor ihm in ihrer ganzen Schönheit, aber sie war bleich; ernste, ruhige Hoheit, ihrem Wesen sonst so fremd, umgab sie, und ein leidender Zug auf Stirn und Wangen ließ sie reizender, geheimnißvoller erscheinen als je.

„Der Todte ist da,“ sagte sie feierlich. „Steht auf und gebt ihm die letzte Ehre!“

Hallerstein war schnell vom Lager auf und neben ihr.

„Karin, ist es möglich – Du lebst?“ rief er stürmisch. Er wollte sie in die Arme schließen, aber ein einziger Blick des Mädchens, so tief traurig, so voll Würde und Größe, lähmte ihm jede Bewegung. Nur ihre Hand ergriff er. „Ich kann es nicht fassen. War alles Schreckliche nur ein Traum der Nacht? War es Wirklichkeit?“

„Wirklichkeit!“ hauchte sie. „Das Meer und Karin sind treue Freunde. Das Meer kann mich strafen für meinen Uebermuth, nie mich tödten; denn es liebt mich, wie ich es liebe. Nur eine Betäubung – nichts weiter. Mutter Hedda's wärmender Kräutertrank, und Ihr seht – Karin ist wieder die alte.“

„Mädchen, Mädchen,“ jubelte er, „dann beginnt meines Lebens Glück mit heute.“

Er führte sie sanft an das kleine Fenster. Wie lag sie groß und erhaben, ruhig und kampflos da, die gewaltige Natur des Meeres, die noch gestern eine Stätte wilden Tumults gewesen! Licht und heiter stand die Sonne am wolkenlosen Himmel, und in ihrem klaren reinen Glanze glitzerten die grünbraunen Halme an den moosbärtigen Felsen. Das Wasser plätscherte leise murmelnd an den Strand, und nur an dem ruhigen Auf- und Abtauchen der Fluth spürte man das Athmen der See. Eine Schwalbe segelte durch die unbewegte Luft.

„Sieh, Karin,“ sagte er mit Feuer, „so schön ist die Welt.“ Und er sah sie groß und forschend an, als wollte er fragen: Kannst Du verstehen, was ich empfinde?

Sie wurde noch bleicher als vorhin. War nicht in seinen Worten etwas, das sie ihres alltäglichen Sinnes entkleidete und ihnen eine besondere Beziehung lieh? Karin wagte nicht, darüber nachzudenken – nun wurde sie blutroth.

„Kommt! Der Todte wartet,“ bat sie wehmüthig.

Draußen vor der Thür hatten sie den blassen, schönen Jüngling auf ein weißes Segel gelegt. Sie standen gesenkten Hauptes um ihn, Vater Claus und die beiden Bursche. Ein Bild der Versöhnung und Ruhe lag er vor ihnen, wie Einer, der nach hartem Tage endlich schlafen darf. Die Sonne schien ihm hell in's Gesicht. Der Tod hatte jeden schmerzlichen Zug aus seinem schwermüthigen Antlitz hinweggewischt – er lächelte fast. Als Karin und Hallerstein aus der Hütte traten, trug Mutter Hedda gerade Kräuter und einige Haideblumen herzu.

„Blumen und Todte gehören zusammen,“ meinte sie und bestreute den todten Olaf mit Eriken und duftendem Grün. „Es ist nicht gut, daß Einer unbekränzt scheidet; denn die Blumen sind die Sterne der Erde, und die Todten nehmen sie mit sich hinauf zu den Blumen des Himmels, den Sternen, die uns heller leuchten und deutlicher das Schicksal künden, je öfter wir sie grüßen durch unsere stillen Boten –“

„Laß' das!“ unterbrach sie Vater Claus und schlug das Segel über dem Todten zusammen. „Tragen wir ihn in sein letztes Bett! Ich hab' es ihm schon heute früh ausgespähet.“

Sie hoben den blassen Mann sacht mit der Hülle auf, der Alte zu Füßen, die beiden Bursche zu Häupten, und langsam setzte sich der kleine Zug in Bewegung. Hallerstein ging neben Karin. Es war ein langer, mühevoller Weg über Fels und Stein, hoch und höher. Niemand sprach ein Wort; mitunter nur seufzte Karin leise vor sich hin oder Mutter Hedda murmelte etwas in sich hinein, wie eine Todtenklage oder eine Beschwörungsformel. Die Möven kreischten und lachten heiser in den Schluchten.

„Wir sind am Ziel,“ sagte endlich der Alte. Sie waren auf der höchsten Kuppe der Insel angelangt, auf dem Mövenstein. Vor einer tiefen Kluft machten sie Halt und legten den stillen Jüngling nieder. Sie schlugen das Segel zurück und ließen das heitere Licht des Morgens noch einmal das Haupt des Todten umspielen. Das Meer grüßte in ernster Ruhe majestätisch leuchtend aus der Tiefe herauf, und die buchtenreichen Küsten Finnlands winkten mit ihren grünen Nadelwäldern groß und prächtig herüber. Vater Claus entblößte das Haupt und faltete die Hände zum stillen Gebet. Alle Andern thaten wie er. Jede Lippe blieb stumm, aber die Natur redete vernehmlich; denn ein leiser Wind glitt seufzend über die andächtige Gruppe hin; er bewegte zitternd die grauen Haare des Alters, streifte die Locken der Jugend und küßte die bleiche Stirn des Todten, als wollte er sagen: es ist alles gleich: jung oder alt; der Tod ist doch das letzte, das Mächtigste. Nun breiteten Axel und Daniel Stricke über die Kluft, und der Alte trat prüfend hinzu; er neigte sich hinab und warf frisches Moos in den Spalt, dem Todten ein weiches Bett zu schaffen. „Kommt!“ sagte er dann, und „Kommt, kommt!“ wiederholte das Echo von unten herauf, als riefe die Felsengruft den Lebensmüden zur ewigen Ruhe hinab. Jetzt schlugen sie das Segel über dem Antlitz des Todten wieder zusammen, hoben ihn langsam auf und legten ihn auf die Stricke über der Tiefe. Mutter Hedda deckte auf das Segel, da, wo es Kopf und Brust verhüllte, noch etwas Farrenkraut, und Karin that einige Blumen hinzu, die sie am Wege gepflückt. Dann erscholl des Alten seemännischer Commandoruf: „Los!“ und lautlos versank die Leiche in den Abgrund; nur die Stricke knirschten leise am Gestein. Ein Adler flog von seinem Horste auf und stieg ruhevoll in die Luft empor.

„Helft mir den Stein über den Spalt wälzen!“ rief Vater Claus. Die Bursche kamen herbei, und nun legten die Drei die Hände an einen Granitblock von mäßiger Größe, welcher an der Kante der Kluft lag. Dröhnend fiel er über den Spalt und schloß mit breitem Rücken das seltsame Felsengrab.

„Nun mag er ruhig schlafen, der brave Junge,“ sagte der Alte.

„In erhabener Einsamkeit, wie ein Held der Vorzeit,“ ergänzte Hallerstein.

Wortlos, wie sie gekommen, stiegen sie die Felsen wieder hinab. Schon hinter dem ersten Kegel des abfallenden Weges aber vermißten sie Karin. Hallerstein ging zurück.

Sie saß auf dem Stein über dem todten Olaf.

„Mädchen, was treibst Du hier?“

„Ich denke nach – ach, über so vieles,“ antwortete sie. „Hier bin ich den Wolken näher. Das Meer da unten sieht mich so gewaltig an, und die Stille ringsum erschließt dem Sünder das Herz in Reue und Wehmuth. Laßt mich! Thränen thun so wohl, wenn das Herz voll ist. Darf der Mörder nicht weinen auf dem Grabe des Gemordeten?“

„Was Du da redest, lieb Mädchen!“

„O, er hat mich so lieb gehabt – ich weiß es. Und ich war so kalt, so schroff, wenn er sein Herz zeigte. Ach, das Menschenherz! Was kann Karin dafür, daß sie nicht lieben kann, wo sie wohl lieben möchte? Und dann – dann hab' ich ihn in den Tod gelockt, um – um –“ seufzte sie.

„Was trieb Euch nur zu dieser unseligen Fahrt?“ fragte Hallerstein, indem er sich zu ihr auf den Stein setzte.

„Was uns trieb?“ fragte sie zurück, „was mich trieb? Ja, wie soll ich's Euch nur sagen? Karin gefiel stets am besten, was zu erlangen am schwersten war. Nichts ist reizender als die Gefahr – meint Ihr nicht auch? Der Sturm, Eure Truhe –“

„Dein Leben für meine Truhe?“ unterbrach er sie vorwurfsvoll und legte zärtlich seinen Arm in den ihrigen.

„War es nicht um Euch?“ schluchzte sie. Ein plötzliches Zittern befiel sie; sie lehnte selbstvergessen den Kopf an seine Schulter und brach in heftiges Weinen aus. „Um Euch!“

„O,“ flüsterte er und umschlang sie innig, „bei so viel Kraft so viel zartes Empfinden! Mädchen, ich bin ein Schiffer, dem aus Meergras und Wasserfäden ein Schatz entgegen funkelt, das Gold versunkener Fregatten. Sieh' hier meine Hand! Lege die Deinige hinein – und ich habe den Schatz gehoben.“

„Eure Hand?“ fragte sie und blickte die dargereichte mit noch nassen Augen ernst und prüfend an. „Es ist eine bleiche, edle Hand; sie sieht aus, als habe sie an dunklen Abenden oft,

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