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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

und ächzt sofort heimlich: „Hier könntest Du nie froh werden; hier waltet ein unsauberer Geist; hier weht ungesunde Luft.“ Wer aber aus München in die Vorstadt Giesing pilgerte und vor dem kleinen, mitten im Garten gelegenen, rings von Grün umrankten Landhause stand, das Hermann Schmid mit seiner Gattin und Pflegetochter bewohnte, dem winkte Alles einladend, anheimelnd, und in den engen Zimmern mit ihrer schlichten Einrichtung war’s so traulich, daß man gern blieb, je länger, je lieber.

Der Hausherr kam dem Gast mit unbeschreiblicher Jovialität entgegen, und ein gutes, anregendes Gespräch war augenblicklich in Fluß. Wer eine Freude mitzutheilen kam, konnte der Mitfreude sicher sein, wer Sorgen und Bekümmernisse auszuschütten hatte, fand ernste Theilnahme, milden Trostzuspruch und Aufrichtung. In der Nähe des Mannes ward Einem immer wohl, ob man ihn in seinem abgeschiedenen Heim oder auf geräuschvoller Straße traf oder ein Stündchen im Weinkeller mit ihm verbrachte. Nur einmal wurde mir weh bei der Begegnung mit ihm; das war am 7. März dieses seines Todesjahres. Der Frühling schien ungewöhnlich zeitig in die Isarstadt einziehen zu wollen; die Sonntagsglocken durchklangen die warme, helle Morgenluft; ich kam aus Paris, hatte den gütigen alten Herrn seit fünf Jahren nicht gesehen und in München erfahren, er sei schwer krank gewesen und wohl kaum schon wieder sprechbar. Dessen ungeachtet wagte ich’s, da ich mich nur wenige Tage aufhalten konnte, in Giesing anzuklopfen. Die Pflegetochter des Patienten empfing mich; er war zum ersten Mal außer Bett, und da er hörte, meine Frau, die ihn noch nicht persönlich kannte, sei mit mir, ließ er uns eintreten. Das Fräulein bereitete mich vor, ich würde den Papa sehr verändert finden. Am Fenster mit der Aussicht auf den Balcon saß er in dem sonnedurchschimmerten Arbeitszimmer. Das Herz stand mir einen Moment still: statt der lebensvollen, rührigen Gestalt, die ich in der Erinnerung trug, streckte mir ein welker Greis mit eingefallenen, schlaffen Wangen die abgemagerten Hände matt aus dem hohen Lehnstuhl entgegen, und das müde Lächeln fiel ihm schwer. Sein Bart war schneeweiß geworden. Wie strengte ihn jedes liebe Wort an, das er meiner Frau sagte! Er kämpfte beständig mit Athemnoth. Wiewohl wir seine Hoffnung nicht theilen konnten, suchten wir sie dennoch zu unterstützen, indem wir die Zuversicht aussprachen, daß ein Sommeraufenthalt in den Tiroler Bergen, an denen er so sehr hing, ihm die volle Genesung bringen werde. Vielleicht wollte er wieder in’s Etschthal nach Schloß Lebenberg bei Meran, wo es ihm stets ungemein gefallen, wo er häufig Stoff zu Arbeiten für den Winter gesammelt und auch seinen fünfbändigen Roman „Mütze und Krone“ 1869 zu Ende geführt. Im Rath des Schicksals aber war anders über Schmid’s thätigen Geist beschlossen.

Ein Vorgefühl davon mußte ihn plötzlich bei unserem Aufbruch ergreifen; denn als ich seine Lippen zum Abschied berührte, traf mich ein langer Blick aus den glanzberaubten Augen; dann wendete er mit einer Thräne den Kopf; die Lider schlossen sich; wir eilten hinaus, um unsere eigene Erschütterung nicht zu verrathen und die ausgesprochene Sommerzuversicht nicht Lügen zu strafen. Schmid's Lebensflamme war aufgezehrt; am 19. October verglühte ihr letzter Funke.

Von seinen beliebt gewordenen Werken sind noch zu nennen: „Friedel und Oswald“ (3 Bände, 1866), „Die Türken in München“ (2 Bände, 1872), „Concordia“ (1874) und „Der Bauernrebell“ (1876). Die Genugthuung, die ihm bei unserem ersten Zusammentreffen fehlte, sich nach Verdienst anerkannt zu sehen, erlebte er wenigstens im letzten Jahrzehnt seines Wirkens, wo er auch zugleich festeren Fuß auf der Bühne faßte; denn hatte er 1866 das Amt des Dramaturgen am Münchener Actientheater mit Verdruß niedergelegt, weil Offenbach’s Operetten die Herrschaft über das Repertoire gewannen, so wurde er nach dem Bankerott des Theaters entschädigt. König Ludwig erwarb es und legte die artistische Leitung in Schmid’s Hand; nun konnte der Dichter seinen sittlichen Geist walten lassen, eine wahrhafte Volksbühne herstellen und echte Volksstücke schreiben wie „Der Tatzelwurm“, „Die Auswanderer“, „Vineta“, und andere, die auch außerhalb Münchens fortleben.

Wieviel sein Landesfürst von Schmid hielt, bewies er vor vier Jahren durch Verleihung des Kronordens, mit dem in Baiern der persönliche Adel verbunden ist. Auf den inneren Adel, der dem Verewigten von der Natur in’s Dasein mitgegeben worden und zur Erscheinung kam in Allem, was er dachte, sprach und schrieb, übte diese äußere Auszeichnung des Dichters keinen Einfluß. Er blieb nach wie vor der Mensch und Denker, wie er als „ein Erzähler der ‚Gartenlaube‘“ im Jahrgange 1867 unseren Lesern in Bild und Wort dargestellt worden ist, und so hielt er auch bis an sein Ende fest an seinem Lieblingsspruche:

„Die Kraft ist Schicksal – unser ist der Wille!“




Weihnachtswanderung.
(Zu dem Bilde auf Seite 853.)

Vom bewölkten Himmel schwebt
Aschefahler Dämmrungsschleier;
In der Stadt, die um mich lebt,
Wirkt das Volk die Weihnachtsfeier.
Aus den weißen Dächermassen
Lockt und winkt ein Summen, Klingen,
Will mich in die hellen Gassen
Noch ein kurzes Stündchen zwingen.

Wohl: mir steht der Baum geschmückt,
Dran die Früchte golden reifen,
Und ich mag so gern beglückt
Als ein Weihnachtswandrer schweifen.
Aus der Enge steig’ ich nieder,
Daß mein Herz sich mög’ erweitern,
An der Lust der Menschenbrüder
Sich die eigne Lust verbreitern.

Märchenwonne, Weihnachtsglanz!
Welch ein Drängen, eifrig Regen!
Im Gewühl verloren ganz,
Wall’ ich über feuchten Wegen.
Durch die Lichtfluth, rings zu schauen,
Tauch’ ich, ein verklärter Schwimmer,
Und aus Augen, braunen, blauen,
Trink’ ich heißer Wünsche Schimmer.

Weiter treibt’s und weiter fort,
Kinderlachen führt mich munter.
Aus den Fenstern hier und dort
Strahlt schon Christbaumglanz herunter.
Enger wird’s; die Füße tragen
Bald den Träumer sonder Willen,
Wo der Vorstadt Häuser ragen,
Die verschneiten, winterstillen.

Bei der Brücke wach’ ich auf:
Ist die Weihnachtswelt zu Ende?
Drüben über’m Grabenlauf
Wärmt ein Weib die frost’gen Hände –
Tannen kauft man, wo im Becken
Röthlich dort die Kohlen glos’ten:
Bis in’s nächt’ge Feld erstrecken
Sich der Weihnacht letzte Posten.

Dann beginnt das kahle Land;
Schnee und Dämmrung, weit zurücke!
Und mich zieht’s, wie eine Hand,
Fort von der belebten Brücke:
In das frostig ernste Schweigen
Tret’ ich ein mit leisem Schauer.
Was bewegt dich, Herz, so eigen
In dem Feld voll Tod und Trauer

Abgeschieden hält mein Fuß;
Ferne summt der Weihnachstrubel;
Gleich versagter Freuden Gruß
Klingt herüber Kinderjubel.
Mich ergreift ein fremdes Sehnen;
Melancholisch krächzen Raben – –
Und mir wird zu Muth, wie Jenen,
Welche keine Weihnacht haben.

Victor Blüthgen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 852. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_852.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)