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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Gleichzeitig muß ein erster Vorrath von den nußartigen Früchten eines gewissen Baumes beschafft werden, der so recht des Kautschuks wegen ebenso häufig wie die Hevea vorzukommen scheint; denn diese Früchte spielen, wie wir sehen werden, eine sehr wichtige Rolle bei der ersten Behandlung des Kautschuks.

Die Ernte selbst wird in verschiedener Weise ausgeübt, selbst innerhalb des einen Gebietes, welches wir zunächst und hauptsächlich im Auge haben, nämlich der brasilianischen Provinz Para. Der rationelle Sammler verfährt wie folgt: früh Morgens zwischen fünf und sechs Uhr zieht er aus, bewaffnet mit einem kleinen Beil, dessen Schärfe etwa einen Zoll lang ist. Er macht bei seinen Bäumen die Runde und bringt jedem dritten in bequemer Höhe etwa zwanzig leichte Hiebe mit dem kleinen Beil bei, die eben die Rinde durchdringen. Unter jeden Einschnitt befestigt er vermittels der zähen Thonerde eines der kleinen Gefäße, um den Milchsaft aufzufangen, der Tropfen um Tropfen herausquillt. Hat er mit Hülfe von Frau und Kindern dreißig bis vierzig Bäume auf diese Weise angezapft, was immerhin mehrere Stunden in Anspruch nimmt, so ist es Zeit zum zweiten Theil der Arbeit zu schreiten, zum Einsammeln. Nicht als ob die Schalen sobald überzulaufen drohten; aber einerseits haben sich die Wunden schon zum Theil mit angetrocknetem Safte zugesetzt; andererseits erfordert die Rücksicht auf die Güte des zu erzielenden Fabrikats diese Eile.

Diesmal wird statt des Beils ein keiner Holzeimer mitgenommen. Frau und Kinder nehmen die Schalen ab und entleeren sie in den Eimer; jede einzelne enthält vielleicht ein Liqueurglas voll Saft. Die Haut, welche sich etwa unter dem Einschnitt auf der Rinde des Baumes oder am Rande der Muschel angesetzt hat, streifen sie ab und kleben sie von außen gegen den Eimer. Inzwischen reinigt der Mann die Wunde und klebt ein neues Gefäß darunter für die zweite Ernte des Tages. Der gewonnene Saft aber wird sogleich zur Hütte gebracht und weiter verarbeitet.

Alsdann wird ein Feuer von Reisig angezündet und, wenn es recht lustig brennt, eine Anzahl der vorher erwähnten Nüsse darauf geworfen. Nun stülpt man über das Feuer ein trichterförmiges Gefäß von Thon, im Nothfall einen Topf, dessen Boden ein Loch hat, und die eigentliche Arbeit kann beginnen. Der Seringueiro setzt sich, den Eimer zur Seite, vor das Feuer, ergreift ein keulenförmiges, einem Waschholz ähnliches Holz, taucht es in den Kautschuksaft und dreht es geschickt in dem heißen Rauch hin und her, der aus dem Trichter quillt. In einer halben Minute hat sich der Saft in eine fette Haut von röthlicher Farbe verwandelt. Die Keule wird wieder eingetaucht und eine zweite Schicht über der ersten angetrocknet, und so geht es weiter, bis das Kautschuk eine gewisse Dicke erreicht hat; dann kommt ein zweites, drittes Holz an die Reihe, bis der Saft verarbeitet worden ist. Zu erwähnen ist hier, daß der Rauch jener Nüsse die Eigenschaft hat, das im Saft enthaltene Harz rasch zu trocknen und seine werthvollen Bestandtheile besonders kräftig zu entwickeln.

Wenn her ganze Vorrath so getrocknet ist, werden die Kautschukmassen auf den Hölzern aufgeschnitten, abgestreift und an freier Luft zum völligen Austrocknen aufgehängt, welches Austrocknen mehrere Tage in Anspruch nimmt. Dann ist die Verkaufswaare hergestellt, die der Händler dem Seringueiro je nach der augenblicklichen Nachfrage zu höherem oder niedrigerem Preise abkauft.

Nach Beendigung des eben beschriebenen Verfahrens wird die zweite Ernte eingesammelt und ebenso verarbeitet, unter besonders günstigen Verhältnissen vielleicht auch eine dritte.

Aber wir vergaßen die an den Eimer geklebten Häutchen. Sie werden um das Ende eines Stabes gelegt, das eine über das andere, und ebenso geräuchert, wie der frische Saft. Wenn ein Klumpen fertig ist, taucht man ihn ein- oder zweimal in Saft und setzt ihn so von neuem dem Rauche aus. Er gewinnt dadurch ungefähr das Aussehen der echten Waare und geht als solche von einem Betrogenen zum anderen.

Am zweiten Tage kommt das zweite, am dritten das dritte Drittheil der Bäume an die Reihe, und am vierten kann man ohne Schaden für den Baum wieder von vorn anfangen. So treibt es der Sammler die Erntezeit hindurch. Versagt ein Baum, so sind andere in der Nähe, und im Nothfall zieht man weiter und siedelt sich an günstigerer Stelle von neuem an.

Diesem rationellen Sammler gegenüber steht der nicht rationelle, der leider vielleicht zahlreicher gefunden wird, als jener; er haut die jungen Bäume um und spaltet ihre Rinde nach allen Richtungen, um schnell viel Milch zu erzielen; er ruiniert die Bäume und erzielt stets ein minderwertiges Product.

An einigen Productionsorten soll der mühsamen Gewinnung des Kautschuk gegenüber nicht ohne Erfolg ein einfacheres Verfahren angewendet worden sein, bei dem man den Saft in flachen Gruben schichtenweise über einander zu großen flachen Kuchen trocknen läßt.

Aber kommen wir zu unserem Seringueiro zurück! Wir haben seine Arbeit kennen gelernt; wir wollen ihn jetzt auch beim Handel beobachten.

Kaum hat die Ernte begonnen, da erscheint eines Tags auf dem nahen Fluß oder Canal, oder zwischen den Bäumen auf dem übergetretenen Wasser ein seltsames Fahrzeug. Es ist zur Hälfte überdeckt, und unter dem Dach steht der Eigenthümer, vielleicht mit einem Gehülfen, und hat rings um sich her die bunteste Sammlung von Verkaufsgegenständen ausgebreitet. Wein, Champagner, Bier, Seidenwaaren, Schmucksachen, eingemachte Früchte und Gemüse, Werkzeuge, Baumwollstoffe, Raketen und andere Feuerwerskörper, Táfia, Nürnberger Spielwaaren, Kaffee, Thee, Kuchen, Pulver und Blei, Fischereigeräthe, Spiegel, Decken, fertige Damengarderobe, kurz alles, was dem leichtlebigen Mestizen nur aufgeschwatzt werden kann, findet man da neben einander aufgebaut. In der festen Truhe im Winkel aber liegt Gold und Silber in Münzen; denn während der Seringazeit will der Mestize auch spielen. Das Boot fährt von einer Hütte zur andern, und der Padron preist seine Waare an.

„Sieh, dieses seidene Tuch wird Deiner Frau gut stehen,“ meint er zum Seringueiro, „besonders mit dieser goldenen Kette.“

„Ja,“ sagt der Seringueiro, „das ist aber wohl theuer? Wie viel Seringa mußt Du dafür haben?“

„O, das ist nicht so schlimm; je nach dem Preis; geht er in die Höhe, so giebst Du wenig, fällt er, so giebst Du etwas mehr; sobald der Marktpreis festgestellt ist, komme ich zur Abrechnung, und Du bezahlst, was recht ist.“

So wird der Handel abgeschlossen. Der Seringueiro nimmt Besitz von einem Topf mit Conserven, einigen bunten Seidenzeugen für seine Frau etc.; der Händler schreibt seinen Namen in sein Buch und zieht weiter. Welchen Betrag er seinem Kunden zur Last schreibt, nun, das ist seine Sache. Der Seringueiro kümmert sich nicht viel darum, und Andere geht’s ja nichts an. Es sind so viele Bäume da; der Saft fließt gut – wozu sorgen? In einer Woche kann man viel Seringa machen.

So kommt ein Boot nach dem anderen; jeder Händler hat seine Weise, dem kindlichen Mestizen klar zu machen, was er haben muß. Die Hütten füllen sich mit Damengarderobestücken, die, zwischen den Pfosten aufgehängt, der Hütte das Ansehen einer öffentlichen Wasch- und Trockenanstalt geben. Der Boden um die Hütte bedeckt sich mit Blechbüchsen, Flaschen, Feuerwerksrückständen u. dergl. m.; denn für Feuerwerk und Illumination hat der Mestize eine ganz besondere Leidenschaft. Abends, nachdem des Tages Last und Hitze getragen sind, ladet bald Dieser, bald Jener Freunde und Nachbarn in seine mit bunten Lampions geschmückte Hütte, damit sie ihm an einem Abend in Leckerbissen und feinen Getränken verzehren helfen, was die Arbeit mehrerer Wochen eingebracht hat. Da geht es dann munter genug zu, aber vollständig ist die Freude nur, wenn es ringsum von Raketen und Schwärmern blitzt und knattert.

Der Händler berechnet immer die Seringa recht hoch, um Vertrauen zu erwecken, aber seine Waaren berechnet er natürlich noch viel höher. Und merkwürdig! Die so geschlossenen Geschäfte führen selten zu ernstlichen Zwistigkeiten. Einerseits unterstützen die Händler, die wie Raubvögel das ganze Gebiet durchstreichen, sich gegenseitig im Auffinden „fauler Kunden“, die sich etwa drücken möchten, und andererseits hat der Mestize meist noch eine unverdorbene Ehrlichkeit, die in ihm den Gedanken an Vertragsbruch nicht leicht aufkommen läßt.

Der Händler führt seine Seringa nach Belem, der Hauptstadt der Provinz, wo natürlich, was auf den ersten Blick wunderbar erscheinen könnte, der Preis niedriger steht als im Walde; denn da wird nicht mehr gegen einseitig abgeschätzte Waare, sondern gegen Geld mit bestimmtem Curs gehandelt. Von Belem geht das Kautschuk in alle Welt hinaus, um an den verschiedenen Fabrikationsorten zu jenen tausend und abertausend Gegenständen verarbeitet zu werden, die theils dem täglichen Leben, theils der Technik, theils der Wissenschaft dienen. Wir

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_010.jpg&oldid=- (Version vom 3.1.2023)