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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

einem Wurzelloche, bis es, sich sicher glaubend, aus seinem Winkel hervorkommt. Leichtfüßig und flüchtig durchmißt es die Umgebung. Bewundernswürdig entfaltet es seine Kletterkunst auf den Stauden und Sträuchern des Niederwaldes, besonders des Haselgebüschs, bis in das schwankendste Gezweig hinauf.

In seiner Wachperiode liebt es die Gesellschaft von Seinesgleichen, und der aufmerksame Beobachter des Waldlebens belauscht dann in der Abenddämmerung oder im Mondschein eine Anzahl dieser allerliebsten Naturturner. Unter einem Haselbusche eines von dem Thierchen besonders besuchten Waldortes gelang es uns manchmal, das Thun und Treiben vereinigter Haselmäuse zu beobachten. Wie die Schatten bewegter Blätter im Mondschein, so huschen diese Zwerge über den Beobachter dahin, und hier und dort heben sich die niedlichen Silhouetten ihrer Figuren gegen den klaren Abend- oder Nachthimmel ab. Noch im vorigen Sommer belauschten wir das anmuthige Treiben einer Familie Haselmäuse, welches wir in der anseitigen Illustration möglichst lebenstreu wiederzugeben versuchten.

Unweit der Försterwohnung auf dem Waldorte „Stoppelberg“ bei Wetzlar hatte sich an dem Wurzelstocke eines großen Haselstrauches ein Haselmauspaar eine Familienwohnung gegründet und seine Jungen erzogen. Eichhörnchen en miniature gleichend, kletterte, hüpfte und spielte das Völkchen auf dem Schauplatze seiner Kindheit umher. Im Nu war das eine Mäuschen wie ein vom Winde bewegtes Blättchen im Schlupfloch des Nestes verschwunden. Da setzte sich das andere, ein Männchen machend, mit schiefgeneigtem Köpfchen mit den großen, wie dunke Perlen glänzenden Augen auf die Warte eines schwanken Zweiges, um sogleich dem wieder zum Vorschein kommenden Gespielen entgegen zu springen und das neckische Spiel mit reizend aufgehobenem Vorderpfötchen wieder zu beginnen. Bisweilen jagte das Paar um den Wurzelstock herum oder die Zweige des Haselstrauchs hinauf.

Nach solchen Touren pflegt sich die Familie zu putzen. Dabei sitzen die Kleinen bisweilen wie junge, eben erst ausgeflogene Vögelchen dicht gedrängt auf einem Zweige oder auf einer Wurzel und putzen sich ihre allerliebsten Gesichtchen, aus welchen schon kleine Schnurren hervorsprießen, mit den weißen feinen fingerartigen Zehen. Die Alten thun es den Jungen im Putzgeschäft zuvor, wobei sie manchmal selbst die Hinterfüße als Bürste zum Kämmen und ordnen des Pelzes gebrauchen.

Nicht minder anziehend als das Spiel gestaltet sich das Ernährungsgeschäft. Die Haselmaus weiß mit ihren feinen Nagezähnen Haselnüsse und Knospen wahrhaft künstlich durch eine verhältnißmäßig kleine Nagestelle auszuhöhlen. Dabei bleiben Nüsse wie Knospen an ihren Haftstellen hängen, sodaß es einer genaueren Untersuchung bedarf, um solche Pflanzenbestandtheile als angebohrte oder ausgehöhlte zu erkennen. An solchen Knospen stehen die Hüllen sternförmig aus einander, der zarteren inneren Theile vollkommen beraubt, während die Haselnüsse unter der unberührten grüngelben Hülse ein selten über fünf bis sechs Millimeter breites Nageloch in der unteren Spitze der Schale zeigen.

Wie oft haben wir das Nagegeschäft an unseren in Käfigen gehaltenen Haselmäusen belauscht! Es macht sich hörbar als ein im schnellsten Tempo erfolgendes leises Tremuliren und währt oft Stunden lang vom Abend bis zur Morgendämmerung. Der auffallende Umstand, daß unsere zahmen Haselmäuse ohne Unterschied wohl anfangs die Schale von Haselnüssen annagten, aber nie durchbrachen, sodaß wir den Thierchen die von der Schale befreiten Nüsse reichen mußten, die Wahrnehmung ferner, daß unsere Pfleglinge getrocknete Haselnüsse, Mandeln und Kerne von Welschnüssen in ihre Wassergefäße trugen, sowie daß sie vorzugsweise gern die genannten Nahrungsbestandtheile fraßen, wenn diese vorher in Flüssigkeit erweicht wurden – dies Alles bewies, daß die Thiere in der Natur gewiß die Nüsse in weicherem, noch nicht ganz gezeitigtem Zustande lieben und angehen. Und in der That verzehrt die Haselmaus im Freien vorzugsweise die noch nicht reifen Nüsse.

An unseren Thierchen beobachteten wir des Interessanten so viel, daß der uns hier gewährte Raum nicht ausreicht, alle geheimen Züge ihres Thuns und Treibens zu schildern. Nur die hervorragendsten und theilweise noch unbekannten mögen hier Erwähnung finden. So erweist sich die Behauptung, unser Thierchen tränke weder Wasser noch Milch, als irrthümlich. Mit hörbarem Schmatzen genossen unsere gefangen gehaltenen Mäuschen die Milch, und am Wassernäpfchen waren die Thierchen ebenso oft zu bemerken. Obgleich die keine Haselmaus in Bezug auf Temperament und seelisches Wesen das entschiedenste Gegentheil von ihren großen Verwandten ist, also nicht im Geringsten boshaft, listig oder stürmisch, sondern im Gegentheil sanft und höchst friedlich erscheint, so gelingt es doch nur sehr allmählich einem behutsamen, freundlichen Pfleger, den furchtsamen und scheuen Pflegling wahrhaft zu zähmen. Keines unserer gefangenen Thiere brachten wir dahin, daß es sich im Käfige mit der Hand hätte aufnehmen und offen davontragen lassen. Die Mäuschen duldeten zwar eine vorsichtige, stetige Annäherung des Gesichtes oder der Hand bis zum Gitter ihres Behälters, bei jeder weiteren, noch so leisen Annäherung aber flüchteten sie in ihre Verstecke.

Wenden wir jetzt unsere Aufmerksamkeit dem Winterschlafe der kleinen Haselmaus zu! Durch vieljährige Beobachtung ihres Freilebens haben wir im Gegensatz zu anderen Schriftstellern gefunden, daß sie nicht vereint mit mehreren von Ihresgleichen, sondern stets allein gewöhnlich in einem Kugelnestchen, zuweilen auch in einer Wurzelhöhlung ihren Winterschlaf hält.

Dieses Winternestchen ist der näheren Betrachtung werth; denn es stellt ein wahres Kunstwerk dar. Im weitesten Durchmesser sammt seiner Umhüllung nicht mehr als sechs bis sieben Centimeter haltend, bildet es bei fünfzehn Centimeter starker Wandung eine regelrechte niedrige Kugel. Diese ist inwendig aus zarten Bandgrashalmen oder auch Bastschnürchen von weichem Holze geformt, welche nach außen durch etwas breiteres, stärkeres Material derselben Art ersetzt werden. Ueber diesen horizontal und vertical geführten Halmen- und Schnürenanlagen sind Blätter, gemeinlich von der Haselstaude, dicht- und glattanliegend mit dem Speichel der Maus ausgekittet; das zeigt insbesondere der oft an den Blättern und Halmen noch deutlich sichtbare, eingetrocknete und wie Schneckenschleim glänzende Speichel. Dieses Winternest fertigt die Maus in der Regel in der Laub- oder Moosdecke des Waldbodens auf einer rostartigen Unterlage von Gras, Moos oder Blättern.

Hier liegt die Maus nun, selbst zu einer Pelzkugel zusammengerollt, die unwirthliche Zeit des Jahres über in tiefem Schlafe erstarrt. Schon bei eintretender Kühle des October verkittet sich die Schläferin in ihrem Kugelneste und erwacht erst bei milderem Wetter des April.

Gewiß reizt es den wahren Forschertrieb nicht wenig, das Wesen dieses Zustandes zu erkennen. Aber gewiß auch ist es auffallend, daß bis jetzt diesem hochinteressanten Gegenstande nicht der nachhaltige Ernst und Fleiß gründlicher Untersuchung entgegengebracht wurde. Wohl sind einzelne gute Versuche an typischen Schläfern angestellt worden; allein diese stehen vereinzelt da, weil sie nicht ergänzt und erweitert wurden. Wir können selbstredend diesen Gegenstand hier nur seinen Hauptgrundzügen nach skizziren und erlauben uns im Uebrigen auf unser eben bei Th. Fischer in Kassel erscheinendes Werk: „Thiere der Heimath“ hinzuweisen.

Zieht man in Betracht, daß unsere Fledermäuse, diese meist ausgesprochenen Winterschläfer, aus Mangel ihrer ausschließlichen Insectennahrung an die Winterruhe gebunden sind, so begegnet man von vornherein einem scheinbaren Räthsel, warum Thiere aus der Gruppe der Nager, wie Murmelthiere, Siebenschläfer, Ziesel, Hamster und Haselmaus, in diesen Zustand gerathen, da sie doch mit den anderen Nagern an keine einseitige Nahrung gebunden sind. Sobald aber in das eigentliche Wesen dieser Schläfer, in die Summe ihrer Lebensbethätigungen, ihr ganzes Thun und Treiben aufmerksam und gründlich eingegangen wird, löst sich der angedeutete Widerspruch.

Es muß eine andere Ursache der Erscheinung der wahren Erstarrung zu Grunde liegen, und wir finden sie in dem äußerst erregten, reizbaren Wesen der Schlafmäuse. Ihr außerordentlich empfindliches Nervensystem, dessen hohe Spannung sich in ihrem ganzen Thun und Treiben während der Wachperiode kundgiebt, erzeugt zuletzt die gegentheilige Erscheinung, eine Lethargie, in welche der thierische Organismus zur Herstellung eines Gleichgewichts in der gestörten Harmonie der Lebenskräfte übergehen muß. Und in der That, das ganze Wesen der Erstarrung bringt uns die Kehrseite des Zustandes von wachen Thieren zur Erscheinung. Wie wir bei der Schlafmaus im wachen Zustande die größte Spannung der Lebenskräfte, den erregtesten Puls und

eine lebhafte Respiration mit hochgradiger Wärme, kurz die sprechenden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_046.jpg&oldid=- (Version vom 18.1.2023)