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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Silenbauches[1] durch fremde Kräfte erfolgen, denn die Honigträger sind in den späteren Stadien ihres Körperumfanges nicht mehr im Stande, weitere Wege, geschweige bis zu den entfernten Honigquellen zurückzulegen.

Die nächste Frage war nun natürlich, woher die Ameisen ihre bedeutenden Honigvorräthe holen, und diese Frage war nicht ohne einige Umständlichkeit zu beantworten, da sie nächtliche Thiere sind, bei Tage ihr Nest gar nicht verlassen, ja sogar durch die Strahlen der heißen Augustsonne binnen wenigen Minuten getödtet wurden, als man sie denselben aussetzte. McCook mußte deshalb ein bestimmtes Nest Tag und Nacht überwachen und fand dann, daß der Auszug der Arbeiter bald nach Sonnenuntergang begann, sich geradenwegs nach dem über fünfzig Fuß von dem Neste entfernten Stamm einer niedrigen Eiche richtete, und denselben in circa siebenzehn Minuten erreichte. Diese Buscheiche, welche im „Garten der Götter“ vielfach kleine Bestände bildet, gehört einer Varietät von Quercus undulata an. Bei Laternenlicht sah er die Ameisen den Stamm ersteigen, von Zweig zu Zweig eilen und sich bei Gruppen von kleinen Gallen sammeln, die sie eifrig absuchten.

Es handelt sich dabei aber nicht, wie anfangs erwartet wurde, um die Ausbeutung etwa auf diesen Gallen lebender Blattlausheerden, sondern die jungen grünen Auswüchse zeigten sich vielmehr mit stecknadelkopfgroßen Ausschwitzungen von Zuckersaft bedeckt, welchen die Ameisen gierig aufleckten, während die älteren hart gewordenen, rothbräunlichen Gallen solche Ausschwitzungen nicht weiter darboten. Der Rückzug der ersten Ameisen von dem Erntefelde begann bereits kurz vor Mitternacht, aber es kam die vierte bis fünfte Morgenstunde heran, bevor die letzten Auszügler das Nest, in welchem sie sich dann den ganzen Tag verborgen hielten, wieder erreicht hatten. Höchst wahrscheinlich wird ein Theil des Tages damit zugebracht, den im Ueberflusse aufgenommenen Honig wieder emporzuwürgen, um theils die jungen, unentwickelten Larven, sowie die Königin damit zu füttern, theils die schon halbgefüllten Honigameisen damit vollends anzufüllen.

Es kann wohl kaum ein Zweifel darüber bestehen, daß der Zweck dieser Anfüllung lebendiger Behälter thatsächlich darauf hinausgeht, sich für die Zeiten des Mangels einen Zehrvorrath aufzuspeichern, der jeden Augenblick zur Verfügung steht; denn die Honigameise läßt, bei dem geringsten Druck ihres Leibes sofort ein kleines Tröpfchen Honig aus ihrem Munde hervortreten, den sie jederzeit bereit ist, ihren hungrigen Nestgenossen mitzutheilen (Fig. 3). Die Königin, die jungen Weibchen, die Männchen, die zahlreichen jungen Larven in den überfüllten Kinderstuben sind beständig auf die ihnen von den Arbeitern übermittelte Nahrung angewiesen. McCook hat dann auch einzelnen Nestern vier Monate lang alle Nahrungszufuhr mit Ausnahme von reinem Wasser abgeschnitten, und fand nach Verlauf dieser Zeit die Arbeiter alle sehr munter und wohlgenährt, die Honigträger zwar deutlich, wenn auch nicht in dem erwarteten Maße, ihres Inhalts beraubt.

Das Benehmen der Arbeiter ist den Honigträgern gegenüber für gewöhnlich sehr zärtlich, dennoch erfreuen sich die letzteren ihrer Hülfsbereitschaft nicht in dem Maße, wie man eigentlich erwarten möchte. Sie müssen sich in ihrer unbequemen hängenden Stellung den Körper mit den freien Vorderfüßen selbst reinigen, und von der Decke herabgefallene Exemplare, die sich nicht selbst wieder auf die Füße helfen konnten, blieben monatelang in ihrer hülflosen Lage. Während bei einer Störung der Nester die Ameisen aller anderen Arten ihren hülflosen Schutzbefohlenen, den Maden und Puppen, die größte Sorgfalt zu widmen pflegen, vernachlässigten die Arbeiter der in Rede stehenden Art die Honigträger bei solcher Veranlassung ganz und gar. Nur einmal sah McCook, wie ein Arbeiter eine Honigameise unterhalb einer künstlich gemachten Spalte emporzog (Fig. 4 b). Wurde ein ausgehobenes Nest an irgend einer Stelle ausgeschüttet, so beeilten sich die Arbeiter, neue Gänge anzulegen, wobei sie sich so wenig um die Honigträger kümmerten, daß sie diese beinahe unter der aufgewühlten Erde begruben. Wurden dagegen bei der Störung eines Nestes Honigameisen derartig verwundet, daß ihr Hinterleib von dem übrigen Körper getrennt war, so ließen die Arbeiter Larven und Puppen im Stiche und fielen mitten in dem allgemeinen Wirrwarr über die eröffnete Honigquelle her, um sie aufzulecken. In merkwürdigen Gegensatze hierzu stand ihr Benehmen den eines natürlichen Todes verstorbenen Honigträgern gegenüber. Sie trennten dann den runden Hinterleib des bequemeren Fortrollens wegen von den anderen Gliedmaßen, begruben aber beide sorgfältig auf dem gemeinschaftlichen Friedhofe, den sie gleich vielen anderen Ameisenarten außerhalb ihres Nestes unterhalten. Ob ein strenger Brauch der Unverletzlichkeit der Honigträger, ob Erfahrungen über die Schädlichkeit des Honigs solcher eines natürlichen Todes verstorbenen „Behälter“ sie zu diesem Thun veranlassen, muß natürlich unentschieden bleiben. Uebrigens haben sie auch die Gewohnheit, einen Honig, den sie als schädlich oder ekelhaft erkannt haben, z. B. einen mit Carmin gefärbten Honig, der zu Controlversuchen dienen sollte, mit Erde zu überschütten, anscheinend damit nicht andere, weniger erfahrene Mitglieder des Nestes davon genießen.

Von ihren sonstigen Gewohnheiten verdient noch hervorgehoben zu werden, daß die Königin, welche ungefähr die Länge einer Honigameise (ohne deren Leibesumfang) erreicht, wie bei anderen Ameisenarten beständig von einer Leibgarde aus zehn bis zwanzig Arbeitern umgeben ist, die sie mit großer Aufmerksamkeit bewachen (Fig. 4 a). Bei einer Gelegenheit, als sie aus ihrem großen, gewöhnlich am äußersten Ende des Nestes belegenen Staatsgemache entwischt war, um sich wieder einmal die Oberwelt anzusehen, beobachtete McCook, wie sie von einem großen Arbeiter mit Gewalt wieder in den Nesteingang hineingezerrt wurde.

Außer dem schon erwähnten Gebrauche der Honigträger als Dessert, preßt man ihre Leiber in verschiedenen Gegenden auch aus, um den so gewonnenen Honig zum Versüßen der Speisen, als äußerliches und innerliches Arzneimittel, ja sogar auch zur Bereitung eines berauschenden Getränkes durch Gährung (nach Art des aus Bienenhonig bereiteten Meth) zu gebrauchen.

In der That besitzt der Ameisenhonig fast denselben angenehmen Geschmack wie Bienenhonig, ja derselbe gewinnt sogar noch durch ein gewisses säuerliches Aroma an Wohlgeschmack. Er erscheint seiner Consistenz nach etwas dünner als Bienenhonig und ist nach Dr. Wetherell’s Analyse als eine Auflösung von reinem, unkrystallisirtem Traubenzucker in Wasser zu betrachten. Ein von Dr. Loew ausgegangener Vorschlag, die Honigameisen ebenso wie die Honigbienen zu züchten, verspricht jedoch nach McCook’s Erhebungen kaum einen lohnenden Erfolg. Er fand nämlich, daß selbst die größten Nester höchstens gegen sechshundert Honigameisen enthielten, während fast die doppelte Anzahl nöthig wäre, um ein einziges Pfund ausgelassenen Honig zu liefern. Außerdem dürfte den meisten Personen ein aus lebenden Insecten (und zumal aus Ameisen!) gepreßter Honig kaum als eine besonders verlockende Speise erscheinen. Den Indianern Mexicos, Neu-Mexicos und Colorados dürfte mithin das Monopol der Ameisenhoniggewinnung auch fernerhin ungeschmälert verbleiben.

Zum Schlusse haben wir noch zu erwähnen, daß vor etwa drei Jahren auch zu Adelaide in Australien eine Honigameise entdeckt worden ist, welche 1880 Sir John Lubbock von Gerald Waller zugesandt erhielt, worauf sie Camptonotus inflatus getauft wurde. In Fig. 5 sehen wir vergrößerte Bilder der nordamerikanischen und der australischen Art neben einander. Bei aller äußeren Aehnlichkeit sind sie indessen nicht näher mit einander verwandt, gehören vielmehr zu ganz verschiedenen Abtheilungen des Ameisengeschlechts. Es kann demnach kein Zweifel darüber bestehen, daß der Instinct derselben, einzelne unter ihnen durch Ueberfüllung mit Honig in lebendige Vorrathstöpfe zu verwandeln, bei beiden so weit von einander entfernt lebenden Arten unabhängig von einander entstanden sein muß. Die Art und Weise, wie dies geschehen sein kann, macht dem Begreifen wenig Schwierigkeiten, denn auch bei anderen Ameisen trifft man gelegentlich Arbeiter, die mit überfüllten Kröpfen von dem Melken ihrer Milchkühe (Blattläuse) zurückkehren, den Ueberschuß aber gewöhnlich unmittelbar zur Ernährung der Brut etc. verwenden. Bei den Honigameisen fände sich also nur der Unterschied, daß die größeren Arbeiter immer mehr Honig aufnehmen, der ihnen zuletzt von ihren Cameraden zugetragen wird, bis der Kropf kugelrund aufgeschwollen ist und die übrigen Eingeweide in einen kleinen Winkel zusammengedrängt hat. Mancher Süßschnabel möchte das Loos, sich auf diese Weise für das Wohlergehen seiner Mitbürger opfern zu können, wohl nicht gar zu sauer finden, zumal er bei jeder Fütterung der Anderen den Wohlgeschmack von Neuem mitkostet.




  1. Silenus, der Erzieher und Begleiter des Weingottes Bacchus wird gewöhnlich mit dickem Bauch und kahlem Haupt auf einem Esel reitend abgebildet. Anm. d. Red.     
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_178.jpg&oldid=- (Version vom 24.12.2023)