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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Fluß, eigentlich der allein europäische Strom ist. Und dennoch muß sie sich zurücksehnen nach den tannendunkeln Schluchten des Schwarzwaldes, wo ihre Wiege stand, nach den malerischen Höhenzügen, die sie begleiteten, nach den alterthümlichen deutschen Städten, die sich in ihren Wellen spiegeln, sie muß sich zurücksehnen nach den sauberen Weilern, schmucken Dörfern und stattlichen Klöstern, die, auf der Stelle uralter Befestigungen stehend, weit in's Land schauen. Oder könnte sie die schöne Kaiserstadt mit dem Stephansdome und den milden Höhen im Hintergrunde vergessen? Schon wenn sie die Leithaberge im Nacken hat, besonders aber wenn sie an Ofen-Pesth vorüber ist, hört die Herrlichkeit plötzlich auf. Dann muß sie sich zwischen niedrigen Sandufern, von rauschendem Schilf umsäumt, durch kahle, trostlose Steppen winden und mit trägen, matten Armen bewaldete sumpfige Inseln umschlingen.

Wer kann es der schönen, blauen Donau verdenken, daß sie dabei launig und wetterwendisch wird! Noch gestern glaubte der Schiffer die Fahrrinne zu kennen, und heute ist Alles verändert und der Fluß hat in seinem Bette allerlei tolle Streiche angerichtet. An der Grenze von Ungarn gegen die Balkanländer treten die Gebirge, welche die Donau so lange geflohen hatten, dräuend von beiden Seiten an sie heran, zwängen den herrlichen Strom, der sich bis zu 1000, ja bis zu 1500 Meter ausbreiten durfte, in ein 60 bis 100 Meter schmales Bett, jagen den unwilligen, strudelnden, zornigen Fluß 130 Kilometer lang über Felsbänke und Riffe und lassen ihn in schäumenden Wasserfällen tosen und rauschen.

Ist er endlich den Bedrängnissen von links und rechts entronnen, welche die Geographen „das Eiserne Thor“ nennen, dann thut sich vor ihm ein fruchtbares Land auf, welches sich von dem Balkan bis zu den transsylvanischen Alpen dehnt. Aber seine Kraft ist erschöpft. Er hat sich ausgetobt. Nun breitet er sich behaglich, vielarmig in schilf- und rohrreichen Niederungen aus, um endlich die gewaltigen Wassermassen, welche ihm die Alpen, die Karpathen und der Balkan zugesendet haben, in drei Armen, die wieder Sprossen entsenden, müde und schläfrig in das Schwarze Meer zu drängen. Die nördlichste ist die Kilia-Mündung. Ihr Bett nimmt zwei Drittel der gesammten Wassermasse des Stromes auf. Die mittlere heißt Sulina-Mündung. Sie entsendet kaum ein Zwölftel der Wassermenge in das Meer, aber sie ist seit beinahe fünfundzwanzig Jahren die allein von Schiffen befahrene. Der südlichste wird die St. Georgs-Mündung genannt. Sie ist wie die Kilia-Mündung versandet, und auch der mittleren droht fortwährend die Gefahr der Versandung.

Die von den Mündungsarmen eingeschlossenen Inseln, die einen Umfang von mehr als 2000 Quadratkilometer haben, sind mit drei Meter hohem Grase bewachsen und ein Paradies für Wasservögel, Wölfe und Büffel. Ein Fluß, der in seinem Mittellaufe manchmal sein Bett ändert, der am Eisernen Thore nur von kleinen Schiffen befahren werden kann, weshalb vor der Stromenge alle Waaren umgeladen werden müssen, ein Fluß endlich, dessen Mündungsarme entweder versandet sind oder nur mit Mühe für Schiffe fahrbar erhalten werden können: ein solcher Fluß kann nur dann eine bedeutende Handelsstraße werden, wenn die Menschen ihm hier den Fahrweg sicher vorzeichnen, dort sein Bett eindämmen, an einer andern Stelle die Felsen und Riffe sprengen und an der Mündung sein Bett reinigen und austiefen. Wer diese Hindernisse nicht kennt, der glaubt, daß ein so großer gewaltiger Strom, der mit seinem Flußadernetz halb Europa bedeckt, eine natürliche Fahrstraße von Süddeutschland bis in die Balkanländer, bis nach Südrußland, Constantinopel und bis zu den Küsten von Kleinasien bildet.

Wer aber diese Hindernisse kennt, der fragt sich erstaunt: weshalb ist denn der Strom nicht regulirt worden? Größere, schwerere Arbeiten wurden in ärmeren Ländern, unter ungünstigeren Himmelsstrichen ausgeführt und sind für die Bewohner eine Quelle wirthschaftlichen Segens geworden. Bedenkt man aber, welche Völker an dem Mittel- und Unterlaufe des Stromes wohnen, dann löst sich das Räthsel leicht. Da ist jene Musterkarte von Völkern, Stämmen, Nationen und Natiönchen angesessen, welche Oesterreich-Ungarn mit einem politischen Bande umschlingt. Unter einem entnervenden absolut-clericalen Regimente ist ihnen alle Energie, alle kräftige Initiative abhanden gekommen. Was sie noch an Leihenschaft und Feuer besitzen, das verpuffen sie in bitterem, innerem Hader und Streit. Der Mittel- und Unterlauf des zum Segenspenden geschaffenen Stroms ist seit Jahrtausenden der Schauplatz blutiger, grausamer Kriege, der Tummelplatz halbcivilisirter Völker.

Noch trauriger gestalteten sich die Verhaltnisse an der Mündung, als Rußland im Namen der Humanität, der Civilisation und des Christenthums Anfangs dieses Jahrhunderts wieder einmal einen Krieg gegen die nicht minder civilisirte Türkei führte und das Donaudelta in seinen Besitz brachte. Da versandeten die Arme gänzlich, die Schifffahrt stockte. Zunächst wurde Oesterreich in seinen Unternehmungen gehemmt, aber auch England, Frankreich, Italien litten darunter. Denn die Schiffe dieser Nationen hätten gern die heimischen Erzeugnisse aus dem Schwarzen Meere in die Donau-Mündungen hinein- und den Strom hinaufgeführt. Die Westmächte hatten daher das größte Interesse an der Schiffbarkeit der Donau-Mündungen und der Freiheit der Schifffahrt in dem Donaudelta, während Oesterreich und Deutschland, welche ihre Waaren den Strom hinabsenden, sich mehr Vortheil von der Regulirung des Mittellaufes und der Entfernung der Hindernisse am Eisernen Thor versprechen mußten.

Da kam der Krimkrieg und versetzte dem Czarenreiche einen so furchtbaren Stoß, daß es erst vierzehn Jahre später wieder ein energisches Lebenszeichen von sich gab. Im Pariser Frieden (1856) widmete man der Schifffahrt auf der Donau eine ganz besondere Aufmerksamkeit. Die Interessen der europäischen Staaten brachten es mit sich, daß man zwei Commissionen ernannte. Die eine, die europäische Donauschifffahrts-Commission, welche aus Delegirten von Frankreich, England, Oesterreich, Preußen, Rußland, Sardinien und der Türkei bestand, sollte sich mit der Herstellung der Schiffbarkeit und der Freiheit des Verkehrs der Donau-Mündungen bis Isaktscha beschäftigen; der anderen, der Permanenten Commission der Donau-Uferstaaten, welche sich aus Abgeordneten von Oesterreich, Baiern, Württemberg, der Türkei, sowie aus Commissarien für die Moldau, Walachei und Serbien zusammensetzte, war die Beseitigung der Schifffahrts-Hindernisse von Isaktscha aufwärts und die Ausarbeitung von Schifffahrts- und Strompolizei-Vorschriften übertragen. Es ist nach dem, was wir oben über die natürlichen Interessen der Mächte gesagt haben, leicht verständlich, weshalb in derselben nur die Uferstaaten vertreten waren, und wenn man sich erinnert, daß damals die Moldau, die Walachei und Serbien noch abhängig von der Türkei waren, ebenso leicht begreiflich, daß diese Staaten nicht die Rechte der anderen Uferstaaten besaßen. – Um Rußland jeden ungebührlichen Einfluß zu entziehen, drängte man es von den Donau-Mündungen zurück und schlug den Strich, welchen das nordische Reich räumen mußte, zur Moldau, sodaß das Donaudelta wieder in türkische Hände gelangte.

Die europäische Commission ging mit Eifer an’s Werk. Frankreich und England sahen den Aufschwung voraus, den ihr Handel mit dem türkischen Reiche nehmen mußte, wenn die Erzeugnisse ihres Gewerbefleißes die Donaustraße hinauf ihren Einzug in die nördlichen Balkanländer hielten. Die Donau-Mündungen wurden untersucht. Man beschloß die Sulina-Mündung zu reguliren, obwohl sie, wie schon erwähnt, nicht die wasserreichste ist. Die Baggerungsarbeiten wurden mit der größten Eile und Umsicht in Angriff genommen, zwei Molen, der eine 1412, der andere 915 Meter lang, mit einem Kostenaufwand von beinahe zwei Millionen Mark gebaut, auch Uferdämme sowie Leuchttürme errichtet. Die Türkei beeilte sich, ihre Verbündeten auf die thatkräftigste Weise zu unterstützen. In kurzer Zeit waren die Arbeiten beendet. Sogleich kamen englische und französische Kaufleute und überschwemmten das Land mit ihren Waaren. Der Nachbar der Türkei, Oesterreich, mußte zusehen, wie er täglich mehr und mehr von den Märkten verdrängt wurde. Denn die Uferstaatencommission that gar nichts für die Beseitigung der Hindernisse von Isaktscha aufwärts. Sie erließ im Jahre 1858 eine Donauschifffahrtsacte, welche die Freiheit der Donauschifffahrt erklärte und alle bestehenden Privilegien aufhob. Von da ab hüllte sie sich in Schweigen. Im Jahre 1865, nach dem Erlasse des Acte public, welcher alle Werke zur Schiffbarmachung der Donau unter den Schutz des Vökerrechtes stellte, schlief sie ein und war aus ihrem Schlummer nicht mehr zu erwecken.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_243.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2023)