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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

so blieben die Bemühungen des Freundes, der ihn schon am folgenden Tage wieder aufgesucht und sich eifrig bestrebt hatte, ihm die Eindrücke des verflossenen Abends nach Möglichkeit abzuschwächen, ohne Erfolg.

Und weil Rutilius nun selbst überzeugt war, daß die so heiß ersehnte Verbindung mit seiner geliebten Hero nicht nur ihm, sondern auch ihr und ihrem theuren Vater unwiderruflich zum Verderben gereichen würde, so schien es ihm ein Gebot der Pflicht und der Ehre, die unabwendbare Trennung durch keinerlei Zögerungen und Schwankungen fürderhin zu erschweren, sondern alsbald durch einen heldenhaften Entschluß ganz und gar zu verwirklichen. Selbst ein Wiedersehen, ein Abschiednehmen mußte vermieden werden – darin konnte er jetzt seiner Geliebten nur beipflichten. Es galt, die Pfeile, die so tief in die sehnsuchtskranken Herzen sich eingewühlt hatten, rückhaltlos und gewaltsam herauszureißen; nur so war unter dem gnädigen Schutze der Götter vielleicht noch Heilung möglich; wenn nicht für ihn – denn er fühlte, daß ohne Hero das Leben ihm glanz- und farblos sein würde inmitten aller Herrlichkeit dieser Erde – so doch möglicher Weise für sie, die vergessen konnte, die vergessen sollte und mußte, so sehr auch der Jüngling bei diesem Gedanken erbeben mochte.

Er schrieb ihr daher in kurzen Worten, daß auch er den Spruch der Todesgöttin gehört und die Ueberzeugung gewonnen habe, es stelle sich zwischen ihn und Hero der unabänderliche Wille des Fatums: so entsage er denn. Mit welchen Gefühlen, brauche er wohl nicht aus einander zu setzen. Indem er ihr Ruhe wünsche für ihre Seele, thue er ihr zu wissen, daß er fürder in Rom nicht verweilen könne, wo er Gefahr laufe, ihr zu begegnen und so immer von Neuem an das Glück erinnert zu werden, das er für alle Zeiten verloren. Am folgenden Tage schon werde er die Hauptstadt verlassen, ohne sein Ziel zu nennen, damit nicht einmal ihre Gedanken ihm folgen könnten.

Diesen Entschluß führte er mit der Hast eines Menschen aus, der vor sich selber zu fliehen hofft.

Nur von einem einzigen Sclaven begleitet, ritt er in aller Morgenfrühe nordwärts über die milvische Brücke – der Landschaft Etrurien zu, um sich über das altberühmte Pisae nach Gallien zu wenden. Keinen seiner zahlreichen Freunde hatte er vorher noch besucht, mit Ausnahme des Cajus Bononius, dem er Massilia (Marseille) als den Punkt bezeichnete, wo er zunächst für einige Monate Rast zu machen gedachte. Dort besaß er nämlich in der Person eines arpinatischen Ritters einen Gastfreund, der ihn mit offenen Armen aufnehmen würde.

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Cajus Bononius indeß war Tag und Nacht erfüllt von der fieberhaften Begierde, klar zu sehen in der Wirrniß dessen, was er erlebt hatte.

Wenn sich die wundersamen Ereignisse in der Wohnung des chaldäischen Zauberers minder gehäuft, wenn sie – bei all ihrer augenfälligen Wirklichkeit – nicht den Charakter einer gewissen theatralischen Berechnung getragen hätten, so wäre Bononius geneigt gewesen, sich ernsthafter als je mit der Frage zu beschäftigen: Giebt es wirklich eine oberste geistige Potenz, die über den Seelen der Abgeschiedenen waltet, und giebt es Menschen, die vermöge der besonderen Eigenart ihrer seelischen Kräfte im Stande sind, mit dieser Potenz in Wechselwirkung zu treten?

Die Studien, mit denen sich Bononius befaßt hatte, lieferten allerdings nicht das Geringste, was für die Wahrheit einer solchen Hypothese zu sprechen schien; eher im Gegentheil. Dennoch – gerade der vorurtheilsloseste Kopf, der da erfahren, wie oft sich das Unwahrscheinliche als Wahrheit erweist, ist am ersten dazu bereit, Fremdartiges und Widerspruchsvolles unbefangen zu prüfen und ihm nicht ohne Weiteres mit jener wohlfeilen Durchschnittsklugheit die Berechtigung abzusprechen. Nicht das jenseits aller Erfahrung Liegende, nur das logisch Undenkbare wird der wahre Denker zurückweisen.

Olbasanus hätte also bei Cajus Bononius unbestrittenere Erfolge erzielt, wenn er an Stelle der drei überraschenden Wunder nur eins in Scene gesetzt hätte. So aber war jener Instinct, der sich gleich zu Anfang geregt hatte, als Bononius jenes triumphirende Lächeln des Zauberers wahrnahm, rastlos am Werk, und mit dem Eifer des Forschers, der eine weltbewegende Entdeckung zu machen hofft, suchte Bononius nach möglichst einfachen und natürlichen Erklärungsgründen für die verblüffenden Phänomene … Hundertmal glaubte er die Wahrheit schon am Fittich zu fassen, und immer wieder entschlüpfte sie ihm, und die fröhlich aufleuchtende Hoffnung erwies sich als trügerisch.

Zwei Umstände noch kamen hinzu, die ihm zu denken gaben.

Einmal war es selbst mit der umfassendsten Kenntniß aller Naturkräfte nicht zu erklären, daß die Antwort auf die Frage des Lucius Rutilius, den Olbasanus doch gar nicht kannte, so völlig mit der Antwort auf die Fragen der Hero übereinstimmte. Nicht minder befremdlich erschien ihm der zweite Umstand. War dieser Olbasanus wirklich ein Gaukler, der in eigennütziger Absicht sein Opfer betrog, was hätte dann näher gelegen, als ein schließliches Einlenken auf die Wünsche des Lucius Rutilius? Der Chaldäer hätte dem trauernden Jüngling jede Buße auferlegen und, falls es ihm nur um das schnöde Gold zu thun war, eine sehr erhebliche Summe benennen können, durch deren Behändigung an den Vertrauten der Göttin die Lösung von jenem angeblichen Verhängniß möglich geworden wäre. Nichts von alledem. Die Göttin des Olbasanus verharrte mit der unerbittlichen Strenge des Fatums bei dem, was jene Schrift bereits auf den Eingeweiden des Opferthiers ausgesagt. Diese Thatsache stimmte entschieden zu Gunsten des Zauberers. Welches Interesse konnte der Mann verfolgen, wenn er gegen seine bessere Ueberzeugung die Hoffnung eines liebenden Jünglings zerstörte, da doch die Belebung dieser Hoffnung für den Wahrsager ohne Zweifel gewinnreicher zu werden versprach?

Cajus Bononius fand für alle diese Dinge keine Erklärung.

So schritt er eines Tages – es war eine Woche etwa nach erfolgter Abreise des Lucius Rutilius – durch die Alleen des Marsfeldes. Dieser nachmittägliche Gang, einige Stunden, eh’ er sein Mahl genoß, war von Cajus Bononius lange versäumt worden; jetzt, da der Kopf ihm von der ewigen Unrast seiner aufgeregten Gedanken glühte, hatte er die alte Gewohnheit wieder aufgenommen und heute bereits zum vierten Mal die übliche Wanderung an den sogenannten Septen, dem Platze der alten Volksversammlungen, vorüber nach der weithinschattenden Doppelreihe der Ahornbäume angetreten, deren rauschendes Laub sich bereits stark zu färben begann.

Trotz der vorgeschrittenen Jahreszeit war die Luft so mild und weich wie im Frühling. Auf den Reit- und Fahrwegen hatte sich ein glänzendes Leben entfaltet. Vornehme Damen in prunkvollen Sänften ließen sich zwischen den Lorbeerbüschen und Myrthen einhertragen, gefolgt von einem Schwarm buntgekeideter Cavaliere, – denn die stilvolle weiße Toga des alten Römerthums war längst nicht mehr die ausschließliche Tracht dieser Modeherren. Reich gewordene Fabrikanten aus Alexandria rollten im zweirädrigen Cisium, kraushaarige Läufer in grellrothen Gewändern voraus, neben der Prachtkalesche des adelstolzen Senators und dem blitzenden Ponywagen der thurmhoch frisirten Dame der Halbwelt – der „Libertina“, von der uns Ovid gesungen. Auf den Rasenplätzen ward der Ringkampf und das Discuswerfen geübt; aber die Kämpfer betrugen sich fein manierlich – verglichen mit den wilden Tummlern, die hier noch unter Tiberius und Caligula ihre Muskeln gestählt – und der Discus war kleiner geworden, wie für Knaben bestimmt, ein Symbol der fortschreitenden Entartung, die schließlich dem gewaltigen Anprall des sieghaften Germanenthums unterliegen sollte …

Cajus Bononius schritt wie ein Nachtwandler durch all diese prächtige Wirrniß. Auch hier, inmitten der lebensfreudigen, leichtsinnigen Bevölkerung der Weltstadt, ward er des Druckes nicht ledig, der ihm auf Herz und Stirn lastete. Um die Künste des Olbasanus in ihrer Nichtigkeit zu erkennen, hatte er sich an jenem Abend, da er mit Rutilius zusammentraf, auf den Weg gemacht – und die Folge war, daß er jetzt mehr als je in die Netze der Unklarheit sich verstrickt fand! Es lag etwas Tragikomisches in diesem Sachverhalt; ab und zu hatte Bononius so das dumpfe Gefühl, als spiele er vor sich und der achtungswerthen Gesellschaft, die sich hier unter den Ahornbäumen erging, eine etwas klägliche Rolle …

Da mit einem Male rief ihn Jemand bei Namen.

Er wandte sich um.

„Du bist’s, Philippus?“ rief er einem stattlichen, etwa sechsunddreißigjährigen Manne zu, der aus einem Seitenwege zu ihm herantrat. Der Mann trug die Kriegsrüstung eines Centurionen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_283.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2023)