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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

„Liegt Dir so viel daran, daß ich Rosenberg verlasse?“

Vilmut zuckte ungeduldig die Achseln.

„Welche thörichte Empfindlichkeit! Mir liegt daran, Dich diesen ungewissen Verhältnissen zu entziehen, damit Du endlich einen festen und bestimmten Zukunftsplan fassen kannst. Ich dächte, das müßte Dir selbst erwünscht sein, aber Du scheinst keine Eile damit zu haben.“

„Wenigstens will ich nichts übereilen. Freising selbst räth mir, noch zu warten, da das Landgut den geforderten Preis werth ist, und im schlimmsten Falle haftet es für jene Schuld. Ich habe fast noch ein Jahr Zeit zur Tilgung derselben.“

„Und so lange willst Du natürlich in der Nähe von Werdenfels bleiben?“ fragte Gregor mit scharfer Betonung.

„Ja!“

Es war nur ein einziges Wort, aber es lag eine so stolze und entschiedene Abwehr darin, daß Vilmut sich auf die Lippen biß.

„Du machst es mir so deutlich klar, daß ich keinen Einfluß mehr auf Deine Entschlüsse habe,“ bemerkte er. „Auch jenen eigenthümlichen Besuch in der Försterei hast Du ohne mein Wissen unternommen, und ich werde vermuthlich nicht erfahren, was ihn veranlaßte.“

„Nein, Gregor, denn es ist eine Angelegenheit, die nur mich allein betrifft.“

„Und vielleicht auch den Herrn von Felseneck, der gerade an jenem Tage nach seinem Bergschlosse fuhr. Doch sei es darum, ich errathe, was Du mir verschweigst. Ueber eine andere Angelegenheit aber wirst Du die Güte haben, mir Auskunft zu geben. Ist es wahr, daß Baron Werdenfels, dem Du Deine Hand versagt hast, trotzdem in regelmäßiger Verbindung mit Rosenberg steht, daß fast keine Woche vergeht, wo er Dir nicht schreibt?“

„Also auch das hast Du erfahren?“ fragte Anna. „Freilich, was erfährst Du nicht! Ueber jene Correspondenz aber bist Du doch im Irrthum. Paul Werdenfels hat mir noch keine einzige Zeile geschrieben, seine sämmtlichen Briefe sind an Lily gerichtet.“

„An Lily?“ wiederholte Gregor mit einer Ueberraschung, als sei es undenkbar, daß Jemand sich die Mühe nehmen könnte, an das junge Mädchen zu schreiben. „Und Du weißt um diese Correspondenz, Du duldest sie?“

„Ich habe sie gestattet unter der Bedingung, daß ich die Briefe lese, und das geschieht auch regelmäßig. Ich,“ hier wurde die Stimme Anna’s wärmer und inniger, „ich möchte dem jungen Manne Ersatz geben für den Jugendtraum, den ich ihm zerstören mußte. Es hat ihm wehe gethan, ich weiß es, aber ich hoffe und wünsche, daß er diesen Ersatz in meiner Schwester finden wird.“

„Also Du hoffst das! Nun weiter – weiter!“

„Noch hat sich Baron Paul nicht erklärt, aber seine einstige Schwärmerei für mich ist überwunden, das sehe ich aus seinen Briefen. Er liebt Lily bereits, vielleicht noch ohne es zu wissen, und sie hängt an ihm mit ihrem ganzen kleinen Herzen. Sie werden und müssen sich finden, und ich kann und will diese aufkeimende Neigung nicht hindern.“

„Das sind ja überraschende Neuigkeiten!“ sagte Vilmut in herbem Tone. „Und Du hast eine derartige Verantwortung auf Dich genommen, ohne mich auch nur zu fragen? Hast Du vergessen, daß ich Lily’s Vormund bin und daß ich meine Einwilligung zu einer derartigen Verbindung verweigern werde?“

Die junge Frau erhob sich mit einer raschen Bewegung, und es legte sich wie ein Schatten auf ihre Züge.

„Und weshalb? Etwa weil Paul den Namen des Freiherrn trägt? Geht Dein Haß so weit?“

„Weil auch dieser Paul ein Werdenfels ist und weil ich nicht will, daß eine meiner Schutzbefohlenen dem Geschlechte angehört, das in seinem Hochmuthe nicht einmal den Priester ehrt und achtet. Der Vertreter der jüngeren Linie steht an Gottlosigkeit dem Chef des Hauses nicht nach, er ist der gelehrige Schüler seines Meisters. Du hast es ja mit angehört, als er mir seine Zukunftspläne hinsichtlich Buchdorfs entwickelte. Denkst Du, ich werde es jemals dulden, daß Lily einem solchen Manne die Hand reicht?“

„Willst Du auch sie Deiner starren Unduldsamkeit opfern, wie Du mich einst geopfert hast?“ rief Anna mit aufwallender Heftigkeit.

„Dich?“ fragte Gregor eisig. „Als ob Du Dich überhaupt je hättest opfern lassen! Als ob irgend etwas auf der Welt Dich von Werdenfels gerissen hätte, wenn es nicht seine Schuld gewesen wäre. Das allein band Deinen Willen und bindet ihn noch. Mir hättest Du Trotz geboten an seiner Seite.“

„Vielleicht! Aber die Fessel, die mich band, existirt nicht für Lily, und wenn Paul Werdenfels wirklich ihre Hand verlangt, so werde ich sie mit vollem Vertrauen in die seinige legen, trotzdem er Dein Gegner ist. Es liegt mehr Tüchtiges und Edles in seiner Natur, als Du ahnst, ich habe Proben davon. Auch Deine vormundschaftliche Gewalt hat ihre Grenzen, wenn ich mich offen und rückhaltslos auf die Seite des jungen Paares stelle, und das werde ich thun.“

In Vilmut’s Augen zuckte es wieder auf, es war jene unstäte Flamme, die in einem Momente zugleich aufflackerte und erlosch.

„Das heißt mit anderen Worten, Du willst mir gleichfalls den Krieg erklären? Ich habe es gewußt, daß wir schließlich dahin gelangen würden, von dem Augenblicke an, wo Werdenfels von seinem Felsenschlosse zurückkehrte. Seitdem bist Du nicht dieselbe mehr, Du hast Dich Schritt für Schritt wieder dem Zaubernetze genähert, mit dem er Dich schon einmal umstrickte. Denkst Du, ich habe sie nicht gesehen, die geheime Angst, die Dich Tag und Nacht verzehrt, seit Du hörtest, daß er in Gefahr schwebt? Denkst Du, ich weiß es nicht, was Dich nach der Försterei führte? Du hast warnen, bitten wollen, ihn der Gefahr entreißen. Es scheint vergebens gewesen zu sein; denn er ist noch in Werdenfels und hat auf einmal Lust bekommen, den strengen Herrn und Gebieter zu spielen.“

„Ja, es war vergebens.“ sagte die junge Frau mit stolzer, glühender Genugthuung. „Raimund ist muthiger als ich. Er bleibt und wird Euch Allen die Spitze bieten.“

Vilmut lachte, es war ein grelles, höhnisches Lachen, das den Ohren wehe that.

„Du bewunderst ihn wohl neuerdings noch als einen Helden? Es gab eine Zeit, wo man diesen Raimund in Deiner Gegenwart nicht einmal nennen durfte, wo schon sein bloßer Name Dich erbleichen und verstummen machte. Das hat sich geändert, der Name ist Dir sehr geläufig geworden, und wenn Du die Hand Deiner Schwester ergreifst und er die seines Neffen, um sie in einander zu legen, so könnten sich auch ein Paar andere Hände finden!“

Anna’s Auge sank zu Boden, sie dachte an jene Begegnung, an ihr schauderndes Zurückweichen und Raimund’s finsteres Abwenden, und schwer und langsam sagte sie:

„Nein, die finden sich nie!“

Gregor trat zu ihr, und jetzt war es seine Hand, die die ihrige ergriff und die zarten Finger mit so heftigem Druck preßte, als sollten sie zerbrechen. Sein Auge bohrte sich förmlich in das ihrige, und seine Stimme klang dumpf und heiser, als raube ihm irgend etwas den Athem.

„Das hoffe ich! Du darfst diesem Werdenfels nicht angehören! Das habe ich Dir damals zugerufen, als ich zuerst die Beziehungen zwischen Euch entdeckte, und das wiederhole ich Dir jetzt. Noch ist seine Schuld ungesühnt, und sie fällt auf Dich, wenn Du es wagst, dem Schuldigen zu folgen, Ihr werdet Beide daran zu Grunde gehen! Der Lehrer, der ehemalige Vormund hat die Macht über Dich verloren, nun denn, so gehorche dem Worte des Priesters, der Dir sagt: Du sollst jenem Manne nicht angehören!“

Es wehte etwas wie düstere, unheilvolle Prophezeiung aus diesen Worten, Anna zog langsam ihre Hand aus der seinigen und trat etwas zurück, aber es lag keine Furcht und keine Nachgiebigkeit in ihrer Haltung, vielmehr eine unbeugsame Entschlossenheit.

„Die Zeit meines blinden Gehorsams ist vorüber, Gregor! Wenn ich die Vergangenheit überwinden könnte, Du würdest mich nicht daran hindern, und auch Dein Priesterwort würde mich nicht schrecken. Ich kann es nicht, und Raimund weiß, daß ich es nicht kann, deshalb bleibt er mir fern. Aber wenn ich mein eigenes Glück nicht vertheidigen durfte, für das meiner Schwester werde ich kämpfen. Versuchst Du, es zu zerstören, so wirst Du mich an Lily's Seite finden. Sie soll nicht auch elend werden, wie ich und Raimund es geworden sind – durch Dich!“

Und ohne ihm Zeit zu einer Antwort zu lassen, wandte sie sich ab und verließ das Gemach.

Gregor machte unwillkürlich eine Bewegung, als wolle er sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 334. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_334.jpg&oldid=- (Version vom 15.12.2023)