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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

seitwärts liegen läßt. Bald wurde es ein einfacher Feldweg. Zwei Wagen konnten einander nur ausbiegen, wenn jeder mit einem Rade empor holpernd den Ackerrand streifte … Dafür stieg aber die Lerche dort jubilirend und in unmittelbarster Nähe der Spaziergänger zum Himmel auf, als sei sie eine Botin der jungen Ehegatten und von ihnen abgesandt, dem Schöpfer ihren Dank zu bringen.

Am Wege lagen große Steine verstreut und Marie setzte sich darauf nieder, um die Veilchen zu ordnen, die sie unterwegs gesammelt hatte. Noch standen die blauen Frühlingsblümchen einzeln und frierend und sorgsam in schützendes Grün gehüllt am Rasenrain, aber Marie besaß das scharfe, echt weibliche Auge für das Kleine und hatte sie dennoch zu finden gewußt … Und da der Stein just eben für zwei groß genug war, so saß der Assessor bald neben ihr.

Aber auch das andere Paar, das vorausgeschritten war, hatte bald einen Platz gefunden, auf dem es mit einander ausruhen konnte.

Zuerst hatte der Vetter gemeint, daß ihn Cousine Marie unverantwortlich vernachlässige, noch mehr als bei seinen verschiedenen Ferienbesuchen während ihres Brautstandes. Aber schon nach einer Viertelstunde war ihm die Vernachlässigung sehr angenehm. Käte plauderte so allerliebst und sah dabei noch allerliebster aus. Auch war es nur seine Schuldigkeit, dem armen Kinde, das niemals „Dritte im Bunde“ war, die Zeit etwas zu vertreiben. … Er erzählte von der lustigen Heidelberger Studienzeit, und der junge Doctor, der mindestens zur Hälfte noch in den Burschenstiefeln steckte, sprach gewohnheitsmäßig dabei ganz commentmäßig, ohne zu bedenken, daß man sich auf solche Weise eben nicht mit jungen Damen zu unterhalten pflegt. … Aber Käte begriff ihn vollkommen. Sie wußte sofort, was „ochsen“ und „Silentium“ heiße, und daß das „Kameel“, von dem ihr Begleiter redete, zweibeinig sei, und verstand ihn überhaupt wie ein „Commilitone“.

„Wo sind die Kinder? Erst haben sie’s so eilig und laufen eine Meile voraus, und nun gehen sie wieder so langsam, daß sie zurückbleiben,“ frug Marie auf dem Nachhausewege. „Sie haben sich doch nicht etwa verkrümelt?“

„Dort sind sie ja – kaum zehn Schritt. Käte strahlt vor Vergnügen über den ersten Courmacher. Ich hoffe wenigstens, daß es der erste ist. … Wenn ich übrigens nur erst wüßte, was ich eigentlich mit dem Wildfang anfangen soll!“

Marie, die sich umgesehen und die Aufmerksamkeit bemerkt hatte, mit welcher der junge Mann seine Partnerin unterhielt, sagte lächelnd:

„Frag den Vetter, der ‚Doctor‘ wird Rath wissen!“

„Treffe ich Dich auf der Fährte?“ lachte laut der Gatte. „Willst Du Heirathen stiften? … Erst jetzt weiß ich bestimmt, daß Du glücklich bist,“ setzte er mit einem verstohlenen Händedruck hinzu. „Was meinst Du dazu, wenn ich das Kind Tante Bertha übergebe?“

„Der Gedanke ist vortrefflich!“

„So läßt sich die Sache vielleicht schon morgen arrangiren?“

„Ich zweifle nicht daran,“ entgegnete Marie mit Ueberzeugung. „Ich werde schon morgen mit Tante Bertha sprechen.“

Mittlerweile war man wieder in die Stadt gelangt. Vor einem stattlichen Kaufladen blieb der Assessor einen Augenblick stehen und frug:

„Wollen wir nicht Fritzens ‚Doctor‘ heute Abend durch eine Maibowle feiern?“

„Gern!“

„Nun, so werde ich ganz hausväterlich selbst Waldmeister und Apfelsinen hier einkaufen. Gehe Du einstweilen mit dem Pärchen dort voraus, um die Gläser zurecht zu stellen.“




5.

„Ich sage Dir, Alter, es sind Ratten zwischen dem Gebälk.“

„Nein, es sind keine Ratten!“

„Was soll’s denn sonst sein?“

„Weiß ich’s? Ratten und Mäuse sind’s aber nicht, wenigstens keine vierbeinigen.“

„Schon seit einigen Tagen hab’ ich’s gehört. Noch erst gestern Abend – Du schnarchtest schon wie eine Baßgeige – hört’ ich deutlich Spectakel von oben herab – es schleppte etwas über den Dielenboden der Zimmer im ersten Stocke. Ich schrie laut auf – Du aber schnarchtest weiter. … Da lief mir die Gänsehaut über den Rücken, und ich steckte den Kopf unter die Decke. Wenn’s keine Ratten und Mäuse sind, so – spukt’s!“

„Unsinn! – Gegen Gespenster, die mit Stiefeln und derb wie Unsereiner umhergehen – hörst Du’s, Alte? wie jetzt eben wieder – hilft am besten die – Polizei.“

„Willst Du sie holen?“

„Erst will ich selbst nachsehen. Warte mit dem Schlafengehen, bis ich zurückkomme, vielleicht muß ich wirklich noch zur Polizei.“

Dabei hatte der würdige Herr Nährkorn, Vicewirth der großen Miethscaserne, in welcher Assessor Kerner seine Familienwohnung gemiethet hatte, die kleine scharfleuchtende Handlaterne angezündet und einen derben Krückstock zur Hand genommen. Der Stock war ursprünglich der handfeste Stiel eines armen, von Wind und Wetter zerzausten Parapluies, denn Herr Nährkorn war eigentlich seines Zeichens ein ehrsamer Schirmmacher und gewissermaßen selbst ein Entoutcas, der es vortrefflich verstand, den Hausbewohnern gegen klingendes Douceur allerlei kleine Dienste zu leisten und sie vor Unannehmlichkeiten und Gefahren, als da sind: Bettler und Vagabonden etc., „zu beschirmen“ … Und so that er auch jetzt nur seine Schuldigkeit, wenn er dem wiederholten unerkärlichen Lärme oben in der Wohnung des neuen, aber abwesenden Herrn Miethers nachzuspüren ging. Selbst der vorsorglichen Gattin, der mit einem Male wieder ganz „gruselig“ wurde, würde es schwerlich gelungen sein, ihn von dem Wagnisse abzuhalten.

(Schluß folgt.)




In der Sommerfrische.

Der Tag ist bereits erschienen, an dem die Sonne in das Zeichen des Krebses getreten ist und den Anfang des Sommers verkündet hat.

Das wohlbekannte reactionäre Wahrzeichen in dem himmlischen Thierkreise scheint zu dieser Zeit auch auf die Menschheit zu wirken und ruft alljährlich eine kleine rückschrittliche Bewegung im Leben der Völker hervor. Die Cultur des neunzehnten Jahrhunderts ist unter Anderem auch dadurch besonders charakteristisch, daß sie die großen Städte ungeahnt schnell wachsen läßt und das platte Land entvölkert. Nur im Beginn des Sommers wird ihr Lauf geändert, auf wenige Wochen entvölkern sich die Städte, eine Völkerwanderung in entgegengesetzter Richtung greift um sich, aus der Gassen bedrückender Enge fliehen Tausende in Gottes freie Natur. Doch diesem Siege des Krebszeichens werden keine Thränen nachgeweint, jubelnd vielmehr begrüßt ihn die Menschheit, denn das ist wahrlich eine „gesunde Reaction“, deren Zeugen wir werden.

Und welche Ziele hat sich dieser buntgemischte Menschenschwarm gesteckt?

Die vornehmsten unter diesen Reiselustigen sind ohne Zweifel die Touristen von Fach. Sie führen sich manchmal sogar als „Weltbummler“ auf, und ihr Reisedrang ist erst dann befriedigt, wenn sie rund um die Erde gesegelt und gefahren sind. Doch mit ihnen können wir uns hier nicht befassen, ihnen genügt nicht ein Sommer zur Ausführung ihrer Pläne. Die übrigen Touristen suchen mit Vorliebe das Hochgebirge auf, die Alpen und die Karpathen sind das Ziel ihrer Wünsche, wo sie auf den höchsten Gipfeln ihre Fahnen aufpflanzen. Die Zahl dieser Herren ist größer, als man gewöhnlich denkt; belehrt uns doch die Statistik, daß allein die deutschen Touristenvereine über 40,000 Mitglieder zählen.

Einem anderen Ziele streben diejenigen entgegen, die aus gesundheitlichen oder Mode-Rücksichten die zahlreichen Orte aufsuchen, an welchen aus den Spalten und Klüften der Erde heilende

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 400. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_400.jpg&oldid=- (Version vom 28.1.2024)