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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Der jährliche Ertrag der Cave von Carrara beträgt nicht weniger als etwa 220,000 Tonnellate, gleich 2,200,000 Centner Marmor, theils in rohen Blöcken, theils gesägt und verarbeitet. Dieses kolossale Ouantum repräsentirt einen Werth von etwa 10 Millionen Franken und wird zu Lande und Wasser nach allen Himmelsrichtungen aufgeführt. Nur die Ausfuhr nach Amerika hat, in Folge des dortigen hohen Eingangszolls, in den letzten Jahren bedeutend nachgelassen.

Wiewohl das Gebirg nicht nur weißen Marmor, sondern auch farbigen und bunten enthält, so ist doch die Production der letzteren verschwindend gering gegenüber den ungeheuren Massen weißen Marmors, welche in den Cave von Carrara gebrochen werden. Man unterscheidet hier mehrere Qualitäten, je nachdem der Marmor sich zur Verarbeitung eignet und äußeren Einflüssen zu widerstehen vermag. Die erste Stelle nimmt der Marmo statuario ein, der wieder nach Glanz und Feinkörnigkeit in drei Qualitäten geschieden wird; dann folgt der Bianco-Chiaro, auch ein vorzüglicher Marmor von herrlich weißem Glanze, doch schon minder brauchbar, als der erste, um die Wunder der Bildhauerkunst hervorzuzaubern. Ihm schließt sich der Venato oder geäderte Marmor und der Ordinario oder gewöhnliche an.

Der Marmo statuario ist von vorzüglich seiner Structur und einem so reinen, glänzenden Weiß, daß man sich fast geblendet fühlt bei Betrachtung eines frischgebrochenen, von der Sonne grell beschienenen Stückes: er ist weiß, wie frischgefallener Schnee. Er findet sich in großen Knoten im Gebirge und ist von intensiv gefärbtem Gestein umgeben, welches die Marmorgräber mit dem Ausdrucke „Madremacchia“ oder Mutterfleck bezeichnen; dieser Mutterfleck ist nichts anderes, als alle Art von Unreinigkeit, welche, ursprünglich im Kalkstein enthalten, sich in Folge des Krysiallisationsprocesses abgesondert und zusammengefunden hat und in ihrem Innern den reinen Marmor von absoluter Weiße, ohne den kleinsten Flecken enthält.

Wenn daher die Cavatori oder Marmorgräber einen Block Marmo statuario von beträchtlicher Größe losgebrochen haben, so hüten sie sich, die Madremacchia völlig abzulösen; sondern sie lassen dleselbe daran haften, damit so der etwaige Käufer sich von der absoluten Reinheit des Inneren und der ausgezeichneten Qualität des Marmors überzeugen kann. Der Laie steht allerdings überrascht vor einem solchen ihm als Marmor bester Güte-bezeichneten Blocke, wenn er ihn theilweise mit großen häßlichen, schwarzen Flecken bedeckt sieht.

In nur etwa dreißig Gruben wird dieser Marmor gefunden, während die bei Weitem meisten Cave den Marmo Bianco-Chiaro und die anderen Qualitäten produciren.

Sehr lohnend ist ein Gang durch die Berge, welche die wichtigsten Gruben enthalten, und in dieser Beziehung bietet am meisten das Thal von Torano, so genannt nach dem von Carrara etwa vierzig Minuten entfernten Dorfe Torano und durchflossen vom Bache Carrione, dessen Wasser unterwegs viele Sägen zu treiben hat, in welchen rastlos das Eisen durch die Riesenblöcke knirscht. Die tiefgefurchte Straße und die zum Transporte des Marmors erbaute, oben schon erwähnte Eisenbahn bilden den besten Wegweiser: denn hier münden die steilen Abstürze von allen Seiten ein, auf welchen die losgelösten Blöcke zu Thal kommen. – Schon lange vor Sonnenaufgang eilen die kraftvollen Männer zu ihren betreffenden Gruben, und um fünf Uhr früh beginnt gewöhnlich die schwere Arbeit in den Cave, um bis drei Uhr fortgesetzt zu werden. Wahrlich ein saures Brod, das manchen Schweißtropfen kostet, der von den gebräunten Stirnen der Arbeiter rinnt; ernst und schweigsam verrichten dieselben ihre Arbeit, welche nicht nur die ganze körperliche Kraft in Anspruch nimmt und oftmals auf’s Höchste anstrengt, sondern auch unausgesetzte Aufmerksamkeit und Vorsicht erfordert, da zuweilen eine kleine Unachtsamkeit sowohl das eigene Leben, wie auch das der Gefährten bedrohen kann.

Und wirklich kommen täglich unter jenen Tausenden von Arbeitern Unglücksfälle vor, sodaß Arm- und Beinbrüche nichts Seltenes sind, in der Regel obenein mit schweren Complicationen verbunden, mit starken Anschwellungen der verletzten Glieder, da sie in den meisten Fällen von dem zermalmenden Gewichte der Marmorblöcke herrühren; durchschnittlich fallen Jahr aus Jahr ein circa zwanzig Menschenleben der gefährlichen Arbeit zum Opfer. Nicht nur in den Gruben selbst, sondern auch auf dem Transporte sind diese traurigen Folgen meist ungenügender Vorsicht häufig und mancher in der Vollkraft stehende Mann wird mitten in seinem Wirken von einem plötzlichen Tode ereilt.

Der Tagelohn des gewöhnlichen Arbeiters beträgt drei Franken und mehr, die intelligenteren und mit der Beaufsichtigung ihrer Cameraden und Anordnung der auszuführenden Verrichtungen betrauten Leute erhalten bis zu sechs Franken. Wenn über die regelmäßige Zeit hinaus gearbeitet wird, so werden zwei, drei Stunden mit eineinhalb Franken bezahlt. Das ist nicht viel, wenn man die theueren Preise der Lebensmittel in Betracht zieht. Denn wenn auch das Territorium von Carrara reich ist an Wein, Oel und Früchten und den Vortheil einer reichlichen Bewässerung besitzt, so genügt doch die Production an Korn kaum zur Hälfte für den Bedarf der Bevölkerung, weshalb eine starke Einfuhr stattfindet. Die Zahl der Landwirthschaft treibenden Bewohner ist gering, weil eben Alle größeren Verdienst bei Bearbeitung des Marmors suchen, und so wird der Acker spät, in Hast und Eile bebaut von denjenigen, deren Hauptbeschäftigung in den Bergen zu suchen ist. Ueberdies erwächst den Leuten eine nicht zu unterschätzende Mehrausgabe für Kleidung und besonders für Schuhwerk, welches auf unglaubliche Weise in den Gruben und auf dem scharfkantigen Gesteine ruinirt wird. Alles dies in Erwägung gezogen, ist der Tagelohn eines „Cavatore“ (Grubenarbeiters) wahrlich nicht zu hoch bemessen.

Die Marmorgruben sind ausnahmslos „al ciel aperto“, unter freiem Himmel, angelegt, ohne Herstellung von Schachten und Tunnels. Der Meißel und Hammer für Losbrechen und das Pulver für Lossprengen der Blöcke sind die Hauptfactoren bei der Arbeit in den Gruben. Von allen Seiten hört man den Schlag des Hammers, rastlos fällt er auf den Meißel nieder; doch oft wird dieses eintönige Geräusch unterbrochen durch langgezogene Hornsignale; dies ist das Zeichen, daß eine Mine angezündet werden soll, und nun heißt es, sich möglichst aus dem wahrscheinlichen Bereiche ihrer Wirkung entfernen. Mit fürchterlichem Knalle, dem ein dröhnendes Echo der Berge nachfolgt, springt die Mine; Felsstücke werden emporgeschleudert und rollen unaufhaltsam in die Tiefe, in ihrem Gefolge das kleinere Gestein. Der Marmorblock verfolgt unbeirrt seinen Weg bergab, bis die Steilheit des Berges sich verflacht.

„Hurtig mit Donnergepolter entrollet der tückische Marmor.“

Die Stelle, wo der Block liegen geblieben ist, dient ihm vorlaufig als Ruhestätte; er ist, wie der Cavatore sich ausdrückt, „al poggio“ („am Berge“) angekommen. Dort wird er einigermaßen hergerichtet, er wird in Form gebracht, meist viereckig behauen und vom schlechten Gesteine befreit: mit einem Worte, er macht hier schon einigermaßen Toilette, um sich würdig der noch tief unter ihm liegenden Welt zu präsentiren.

Der so hergerichtete Block wird nun mit Hebestangen und Brecheisen behutsam bis zur gebahnten Straße weiter bewegt. Wo die Steigung des Abhanges alsdann wieder eine so starke wird, daß man befürchten könnte, der Block würde durch seine eigene Schwere zur Tiefe gezogen und sowohl unten Unheil anrichten, wie auch selbst im Sturze beschädigt werden, ist abermals die größte Vorsicht geboten; er wird sorgsam mit starken Seilen umwunden und, an diesen gehalten, allmählich herabgelassen. Das ist ein gefährliches Stück Arbeit, denn oft müssen seinen Weg hemmende Steine bei Seite geschafft und ihm Luft gemacht werden. Zu diesem Behufe steigen Arbeiter mit Brecheisen hinab und beseitigen die Hindernisse; das darf nur behutsam und unter beständiger Aufmerksamkeit der den Block an den Seilen Haltenden geschehen, um dem Zerquetschtwerden der unten Befindlichen vorzubeugen.

Die Bahn, auf welcher die Blöcke theils geschoben, theils rutschend und zurückgehalten aus einer Grube zur fahrbaren Straße oder zur Eisenbahn gefördert werden, heißt die „Lizza“, die Arbeiter, welchen diese Aufgabe obliegt, die „Lizzatori“. Je schwerer der betreffende Block und je tiefer im Gebirge die Grube liegt, desto zeitraubender und gefährlicher ist selbstverständlich die Arbeit, und man kann sich kaum einen Begriff machen von der Mühe, welche das Zuthalschaffen eines Blockes von mehreren hundert Centnern Gewicht verursacht; eine schwere Verantwortlichkeit ruht auf den Schultern der Aufseher, deren Anordnungen sich die Arbeiter unbedingt zu fügen haben.

Solche besonders werthvolle Blöcke bleiben in vielen Fällen hier am Fuße des Berges ruhen, bis sie einen Käufer gefunden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 458. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_458.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2024)