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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

ungewohnten Anstrengung, und doch hatte er mit diesen wunden, schmerzenden Händen das Ruder weitergeführt, wie Rainer mit seinen harten Fäusten.

„Raimund, soeben kommt aus dem Dorfe die Meldung, daß auch im oberen Laufe des Stromes das Wasser zu sinken beginnt,“ sagte Paul herantretend. „Wir haben nichts mehr zu fürchten, der Umschlag der Witterung ist ein vollständiger.“

Er wies nach den Bergen, die sich immer mehr entschleierten. Soeben tauchte auch das schneegekrönte Haupt der Geisterspitze hervor aus den Wolken und blickte nieder auf all das Unheil, das sie angerichtet hatte. Sie hatte einst jenen Sturm herabgeschickt, der die Flammen von Haus zu Haus trug und Werdenfels in Asche legte, sie hatte auch diesmal die Gletscherströme herabgesandt, die ihm Verderben drohten. Aber jetzt lag das Dorf sicher und unversehrt, die Fluthen deckten nur die reichen Besitzungen des Herrn von Werdenfels, und in diesen Fluthen erlosch der letzte Widerschein jenes Brandes, erlosch das alte, drohende Flammenzeichen mit all seinem Bann und Fluch.

Vom Dorfe her tönte das Abendläuten. Die Glocken, die seit Tagesanbruch so schauerlich gestürmt und um Hülfe gerufen hatten, setzten wieder ein mit dem alten feierlichen Klange, sie mahnten zum Danke.

Die Werdenfelser sahen es alle, wie ihr Gutsherr, der gefürchtete, verfehmte Felsenecker, als der Erste auf die Kniee niedersank und sein Haupt beugte, wie seine Braut und selbst Paul und Lily seinem Beispiel folgten, da folgten sie alle, es blieb kein Einziger zurück, als Gregor Vilmut in ihre Mitte trat. Voll und mächtig zogen die Glockenklänge durch die Luft und einten sich mit dem Rauschen des jetzt gebändigten und bezwungenen Elementes. Sonst war kein Laut vernehmbar. Selbst der Priester schwieg, als er die Hände emporhob, die blutig und zerrissen noch die Spuren der schweren Rettungsarbeit trugen, und mit diesen Händen segnete er die knieende Gemeinde.




Es war Sommer geworden, und in dem hellen Sonnenschein eines Junitages flatterte die Fahne lustig von dem Dache des Schlosses Werdenfels, das heute seinen Herrn und seine Herrin erwartete.

Die Trauung Raimund’s und Anna’s war in aller Stille vollzogen worden, und die Neuvermählten hatten die ersten Wochen ihrer Ehe in Felseneck zugebracht. Heute aber wurden sie von dort zurückerwartet, und Werdenfels hatte einen großartigen Empfang vorbereitet. In Ehrenpforten, Laubgewinden und Fahnen war wirklich Unerhörtes geleistet, und die ganze Dorfschaft war auf den Beinen, um ihren Gutsherrn und dessen junge Gemahlin zu begrüßen.

Auch das Schloß hatte sich zum feierlichen Empfange gerüstet. Baron Paul war schon in aller Frühe von Buchdorf herübergekommen, um die Anstalten selbst zu leiten, und seine Braut, die bisher in Rosenberg unter dem Schutze von Fräulein Hofer geblieben war, und nun zu ihrer Schwester nach Werdenfels übersiedeln sollte, befand sich ebenfalls seit einigen Stunden dort.

Auch Justizrath Freising hatte sich eingefunden, zur geheimen Verwunderung Paul’s, der sich dies plötzliche Auftauchen des rechtsgelehrten Herrn nicht recht erklären konnte, aber dieser war nun einmal da und wollte gleichfalls seinen „hochgeehrten Clienten“ begrüßen, und einstweilen unterhielt er sich sehr angelegentlich mit Fräulein Hofer, die Lily begleitet hatte.

Mit jener Begrüßung hatte es indessen seine eigene Bewandniß. Seit jenem Abenteuer auf der Bergstraße befand sich der Justizrath wieder im Banne jener Empfindung, die er nun schon fünfmal durchgemacht hatte, allerdings immer mit verschiedenen Objecten.

Seine Besuche in Rosenberg wurden immer häufiger, und seine früheren Streitigkeiten mit Fräulein Hofer verwandelten sich immer mehr in die vollkommenste Uebereinstimmung. Emma mußte endlich einsehen, daß sie der nunmehrige Gegenstand dieser Besuche und Aufmerksamkeiten war. Ob nun Lily mit ihrer übermüthigen Behauptung doch nicht so ganz Unrecht hatte, oder ob die glücklich geretteten Acten einen geheimen magnetischen Rapport herstellten, genug, die Dame zeigte sich nicht ganz unzugänglich, und die Hoffnungen des Justizraths flammten hell auf.

Er fuhr mit dem verhängnißvollen Frack und dem üblichen Bouquet zum dritten Male als Freier nach Rosenberg. „Jetzt oder nie!“ dachte er, als er die Gitterthür öffnete – und erfuhr von dem alten Ignaz, daß Fräulein Hofer sich mit ihrer Schutzbefohlenen in Werdenfels befand, wo man heute den Freiherrn und dessen Gemahlin erwartete.

Der arme Freising stand wie vom Donner gerührt. Im ersten Augenblicke war er wirklich geneigt, an ein Fatum zu glauben, das ihn zur Ehelosigkeit verdammte, dann aber faßte er einen heroischen Entschluß. Umzukehren und das Bouquet verwelken zu lassen, wäre ihm als die schlimmste aller Vorbedeutungen erschienen, und seit der wunderbaren Einmischung der Geisterspitze in seine Angelegenheiten war er keineswegs mehr ein so ausgemachter Freigeist. Er beschloß deshalb, das tückische Schicksal zu zwingen, befahl dem Kutscher umzuwenden und fuhr gleichfalls nach Werdenfels, wo er sich ganz unbefangen als Theilnehmer an dem Empfange vorstellte.

Die Schloßterrasse trug den reichsten Blumenschmuck, und auch die Gebüsche des Schloßberges prangten im frischen Grün, aber die Gärten, die Werdenfels sonst wie ein blühender duftender Kranz umgaben, waren verschwunden. Monate der Arbeit hatten die Zerstörungen einer einzigen Stunde nicht tilgen können, und wenn auch ein Theil der alten Bäume noch stand und man alles aufgeboten hatte, um wenigstens in der unmittelbaren Umgebung des Schlosses die Spuren der Verwüstung zu beseitigen, die stundenweiten, mit fürstlicher Verschwendung geschaffenen Parkanlagen mit ihrer seltenen, kostbaren Flora waren unwiederbringlich dahin.

Drüben in der Niederung sah es noch trostloser aus. Die Fluren deckte Schlamm und Geröll, aus dem entwurzelte Bäume und riesige Felssteine emporragten. Die verheerenden Muhren hatten sich hoch aufgethürmt und in ihrer zähen, undurchdringlichen Schicht lagen Wiesen und Felder begraben. Das einst so reiche Gebiet von Werdenfels war zur Wüste geworden, und wenn es wirklich noch zu retten war, so blieb sein Ertrag doch auf Jahre hinaus verloren für den Gutsherrn.

Um so freundlicher lag das Dorf da, inmitten seiner Wiesen und Gärten, hier war auch nicht ein Fußbreit verloren gegangen, und in seinem Festgewande nahm es sich heute doppelt stattlich aus.

Der Haushofmeister musterte noch einmal die Dienerschaft, die in voller Gala auf der Terrasse versammelt war, und trat dann zu Arnold, der soeben aus dem Schlosse kam.

Arnold, in seiner Eigenschaft als Kammerdiener und Vertrauter seines jungen Herrn, hielt es natürlich unter seiner Würde, sich den anderen Dienern anzuschließen. Der Haushofmeister hatte diese Ausnahmestellung auch stets anerkannt und behandelte ihn fast als seines Gleichen.

„Jetzt ist alles bereit,“ sagte er. „In einer halben Stunde können die Herrschaften hier sein, der Empfang im Dorfe wird freilich einige Zeit beanspruchen.“

„Vermuthlich, denn er wird großartig,“ versetzte Arnold mit Genugthuung. „Jetzt freilich wissen sie sich nicht zu lassen vor Dankbarkeit und möchten ihren Gutsherrn in den Himmel erheben, und was für Niederträchtigkeiten haben sie früher gegen ihn ausgeübt!“

„Ja, unsere Werdenfelser haben harte Köpfe, aber ich denke, der Herr wird trotzdem jetzt mit ihnen fertig werden.“

„Das glaube ich auch. Der gnädige Herr Onkel“ – Arnold hielt diese Bezeichnung hartnäckig fest, wenn er von dem Freiherrn sprach – „haben eine ganz wunderbare Art, die Menschen nur mit den Augen zu maltraitiren. Es ist gar nicht nöthig, daß er den Mund öffnet, man hat vollständig genug an dem Blick.“

„Nun, an der That hat er es auch nicht fehlen lassen. Die Fahrt, die er damals beim Hochwasser mit dem Herrn Pfarrer unternahm, thut ihm Keiner so leicht nach. Sogar der junge Baron blieb am Ufer.“

„Natürlich blieb er!“ sagte Arnold würdevoll. „Der Chef der Familie hat überall den Vortritt. Wir sind die jüngere Linie, wir stehen zurück – selbst in der Gefahr.“

„Wie steht es denn eigentlich mit der Hochzeit?“ erkundigte sich der Haushofmeister, der in der Feststimmung des heutigen Tages ungewöhnlich gesprächig war. „Sie soll wohl erst in einem Jahre stattfinden.“

„Im nächsten Frühjahr. Unter uns gesagt, die jungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_466.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2024)