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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

genau ansehen mussen,“ bemerkte er. „Sie könnten sich ein großes Verdienst erwerben, wenn Sie inzwischen meine Damen etwas beschützten. Und die Abende verbrächten wir dann gemeinschaftlich und vergnügt.“

„Wenn man nur endlich einmal wüßte, was es mit diesem Max Hillmann für eine Bewandtniß hat!“ dachte Alfred, und frug in anscheinender Verwunderung:

„Ist Herr Hillmann Kaufmann? Ich hielt ihn für einen Musiker von Fach.“

„Hahaha! Wirklich? Das wird Rosa amüsiren, die immer behauptet, er habe etwas von einem Künstler an sich. Nein, da haben Sie sich getäuscht! Er ist ein tüchtiger Kaufmann, jetzt nach Procurist und nächstens Theilhaber meines Geschäftes. Ein lieber, braver Mensch, mit einem Herzen wie ein Kind. Nur so lange er bis über die Ohren im Wagner-Cultus steckt, ist er nicht zu gebrauchen. Ich weiß nicht recht, ob meine Frau ihn damit angesteckt hat, oder er sie. Wenn ich ihn erst wieder in Berlin hinter seinem Pulte habe, ist er ganz vernünftig und zugänglich.“

Alfred zuckte zusammen bei dem leicht hingeworfenen „nächstens“, das ihm von der ganzen Rede allein noch in den Ohren klang. „Nächstens“ bedeutete natürlich: sobald er der Mann meiner Tochter wird! Diese Heirath war jedenfalls eine längst beschlossene, praktische, solide Verbindung auf geschäftlicher Grundlage, und der lange, blonde Max pflückte sein Rosenknöspchen, das sich, allem Anschein nach, nicht ungern von ihm pflücken ließ, mit der größten Gelassenheit und Seelenruhe.

Jetzt stand der Entschluß bei ihm fest, Bayreuth sofort zu verlassen, und in der That traf er am Abend die wenigen Vorkehrungen zur Abreise mit dem Nachtzuge.

Nach Einbruch der Dunkelheit hörte er zahlreiche Wagen unten vor seinen Fenstern vorbeirollen und erinnerte sich, daß jetzt die zum Empfang Geladenen vermutlich nach dem „Wahnfried“ fuhren.

Ob Rosa wohl in der That allein im Hôtel gebliehen war? Er nahm seinen Hut und begab sich, um ein Restaurant für sein Abendessen auszusuchen, auf die Straße. – Richtig, die zwei Fenster im ersten Stock des Hotels waren erleuchtet!

Und welcher Liebende an seiner Stelle hätte da der uralten, ewig neuen Versuchung widerstehen können, nach dem Schatten der Geliebten zu spähen? Vorläufig war jedoch nichts davon zu entdecken. Sie mochte wohl, in ihr Buch vertieft, in der Mitte des Zimmers am Tisch sitzen. Nach einer langen Zeit vergeblichen Harrens wanderte er weiter, verzehrte melancholisch in der Ecke eines lärmenden Wirthshauszimmers sein einsames Mahl und begab sich dann auf den Heimweg.

Sein Blick fiel im Vorübergehen auf das erleuchtete Fenster eines Blumenladens, in dem ein ganzes Bouquet frischer, zarter Moosrosenknöspchen prangte. Mit einem unwillkürlichen raschen Entschluß trat er hinein, kaufte den duftenden Strauß, eilte nach der „Sonne“ und übergab ihn hastig dem lächelnden Portier, mit der Weisung, ihn sofort auf Zimmer Nr. 2 zu Fräulein Jung zu tragen.

„Sie mag errathen, daß es mein Abschiedsgruß ist,“ dachte er dabei. Dann eilte er nach der gegenüberliegenden Seite der Straße. Er erkannte am Schatten, wie sich Jemand in dem erleuchteten Zimmer erhob, wahrscheinlich auf das Klopfen des Portiers hin. – Jetzt mußte sie die Thür geöffnet – jetzt die Blumen in Empfang genommen haben, denn der Portier war schon wieder in dem hellen Thorweg erschienen. Es vergingen einige Minuten, in denen sich der Schatten lebhaft hin- und herbewegte. Dann verdunkelte er auf einmal das Fenster, und jetzt – jetzt konnte Alfred deutlich in dem erleuchteten Rahmen die Umrisse einer schlanken, weiblichen Gestalt wahrnehmen, die nach der dunklen Straße hinaus zu blicken schien. Er verharrte unbeweglich auf seinem Platz, ohne zu wissen, wie lange er so hinaufgeschaut hatte. Endlich wandte sich die Gestalt ab, und er fühlte sich zusammenschauernd allein in der feuchten, kalten Nachtluft.

Hatte er sie jetzt wirklich zum letzten Mal gesehen? In der nächsten Stunde schon sollte ihn eine immer wachsende Entfernung von ihr trennen? Was hinderte ihn denn, ihr morgen noch die Hand zum Abschied zu drücken und dann erst zu scheiden? Es kam ihm plötzlich so sonderbar und auffallend vor, wenn er ohne persönlichen Abschied den Familienkreis verließ, der ihn so freundlich aufgenommen hatte. Er sagte sich, daß es viel männlicher sei, ein letztes Zusammensein mit Rosa, ein mündliches Lebewohl gefaßt und äußerlich ruhig zu ertragen, als feige zu flüchten.

Lange zögerte er am nächsten Vormittag, ehe er den schweren Gang zu dem Abschiedsbesuch antrat. Unten im Thorweg der „Sonne“ stand der dicke Commerzienrath, die Hände in den Taschen, plaudernd mit Max Hillmann zusammen.

„Morgen, morgen, Herr Berger! Nun sagen Sie mir, warum Sie sich gestern nicht wieder blicken ließen? Sie waren doch nicht unwohl? Erbärmlich blaß sehen Sie allerdings aus,“ rief er Alfred besorgt und freundlich entgegen.

„Danke, Herr Commerzienrath, nein, ich bin ganz wohl. Aber ein Brief von zu Hause, den ich gestern erhalten habe, nöthigt mich –“

„Was, Sie haben doch nicht etwa betrübende Nachrichten von Ihrer Familie?“

In diesem Augenblicke öffnete sich in der ersten Etage ein wohlbekanntes Fenster, Fräulein Rosa’s blondes Köpfchen beugte sich aus demselben hervor und nickte freundlich grüßend zu Alfred hinunter, der seinerseits im Hinaufschauen fast den Gruß vergaß.

„Ach, hör’ mal, Röschen, habe ich nicht den Brief von meiner Frau oben bei Euch liegen lassen?“ rief da plötzlich Max Hillmann neben ihm vernehmlich hinauf. „Bitte, sieh doch nach, er muß auf dem Tische liegen,“ versuchte er noch hinzuzufügen, aber das Fenster war jäh zugeschlagen worden und das Gesicht von Fräulein Rosa spurlos verschwunden.

Vor Alfreds Augen flimmerten und tanzten die Häuser des Rennweges bunt durch einander, während er den Commerzienrath sagen hörte:

„Hat Deine Frau heute Morgen geschrieben? Wie geht es dem Jungen? Hat er glücklich seinen Zahn?“

Dann klopfte er Alfred liebevoll auf die Schulter:

„Nein, sagen Sie doch, lieber Berger, haben Sie wirklich etwas Betrübendes von zu Hause gehört? Doch nicht eine Erkrankung –“

„Ganz im Gegentheil, Herr Commerzienrath,“ brach jetzt Alfred endlich mit einem so strahlenden Gesicht los, daß ihn die beiden Herren erstaunt von der Seite ansahen. „Im Gegentheil, ich habe die besten, angenehmsten, erfreulichsten Nachrichten, die ich wünschen kann. Es geht Alles sehr gut, ganz ausgezeichnet, wirklich wundervoll!“

„Desto bester, lieber Freund. Freut mich sehr, zu hören. Aber warum kamen Sie gestern nicht?“

„Weil ich mich verirrt hatte, bester Herr Commerzienrath. Ich begreife jetzt selbst nicht mehr, wie es geschehen konnte, aber ich war in der That auf eine ganz falsche Spur geraten.“

„In dem kleinen Bayreuth verirrt?“ frug Max Hillmann ungläubig.

„Jawohl, in Bayreuth, Herr Hillmann. Können Sie es glauben? Ich weiß gar nicht, wo ich Augen, Kopf und Ohren gehabt haben muß.“

Es war ein behagliches, durch Heiterkeit gewürztes Mahl, das die drei Herren vereinte, während die Damen wegen eines leichten Unwohlseins der Frau Commerzienräthin auf ihren Zimmern blieben, um ihre Kräfte für die letzte Vorstellung zu schonen. Alfred, der heute von Lebenslust und Frohsinn übersprudelte, fand plötzlich großes Wohlgefallen an dem stillen, ernsten Max Hillmann, mit dem er bisher stets nur die unumgänglichsten Höflichkeitsphrasen gewechselt hatte. Namentlich schien er sich für dessen intimere Familienverhältnisse merkwürdig zu interessiren, denn er brachte das Gespräch alle Augenblicke auf „Frau Hillmann“, oder: „Ihr Söhnchen, Herr Hillmann.“

Klopfenden Herzens stand Alfred vor dem Hôtel an dem Wagen, der ihn und die Familie Jung zum letzten Male in das Bühnenweihfestspiel fahren sollte, und erwartete den Moment, da Rosa ihm nicht länger ausweichen konnte. Sie kam hinter der Mama die Treppe herab, versenkten Auges, liebliche Verwirrung auf dem reizenden Gesichte. An ihrer Brust leuchtete aus dem Spitzenschmucke ihres Kleides ein Sträußchen frischer Rosenknospen hervor, die Alfred mit geheimer Freude nur zu wohl erkannte. Welche Fertigkeit haben schöne junge Mädchen darin, mit halbgeschlossenen Lidern zu verharren, den Blick, der sie sucht, standhaft zu vermeiden, und doch vermutlich Alles zu sehen, was um sie vorgeht!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_522.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2024)