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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

mit dem Milchbezuge bringen, und zwar wurde die Ursache auf eine Eutererkrankung der Kühe zurückgeführt.

Die Tuberkelkeime der Kuh können sich, insbesondere wenn die Krankheit auf die Milchdrüse übergreift, der Milch beimischen und so Tuberkulose erzeugend wirken. Darum ist immer daran festzuhalten, daß nicht jede erste beste Milchkuh als Ammenkuh brauchbar ist. Manchen Krankheitskeim, der als ererbt gilt, hat sich das Kind mit der Mutter- oder Kuhmilch erst angesogen. Von der Ernährung des Säuglings hängt die Kräftigkeit seiner Constitution für’s ganze Leben ab; wird doch Niemand ein Kind von einer schwindsüchtigen Mutter oder Amme stillen lassen.

Aber mit derselben Sorgfalt sollten die Eltern und Aerzte über die Gesundheit der nährenden Kühe wachen und ängstlich die Milch kraftloser und kranker Thiere ausschließen. Einer schwächlichen und dürftigen Frauenmilch ist eine als Specialität methodisch producirte, von nur ausgezeichneten Kühen gemolkene Kindermilch als Nahrungsmittel des Säuglings sogar vorzuziehen.

Durch eine richtige Futtermischung und durch strenge Auswahl der Thiere ist es möglich, eine fehlerlose Säuglingsmilch zu erzielen. Der Landwirth, der seine Milch als Marktwaare verwerthet, wird, wenn er buttert, bei der Fütterung darauf bedacht sein, möglichst den Buttergehalt selbst auf Kosten der übrigen Bestandtheile zu steigern, und, wenn er die ganze Milch verkauft, wird er bei der Auswahl der Thiere darauf sehen, Kühe mit möglichst reichlichem Milchertrag in seinem Stall zu haben. Deshalb bevorzugt er die Holländer, Oldenburger, Dessauer, kurz die Niederungsrassen, welche täglich 18 bis 20 Liter und mehr Milch geben. Aber diese Milch ist wässeriger und weniger gehaltreich, die Thiere magern bei der übertriebenen Milchabsonderung leicht ab und leiden erfahrungsgemäß häufiger, als Kühe sogenannter Höhen- oder Gebirgsrassen, an Tuberkulose.

Es kommt deshalb bei der Auswahl des Viehbestandes für einen Säuglings-Kuhstall nicht auf besonders milchreiche, sondern auf besonders gesunde Kühe an, nicht darauf, daß die Milchmenge groß, sondern daß die Milchqualität eine vorzügliche und für den besondern Zweck eine besonders geeignete ist. Die verbreiteste Krankheit des Rindes ist die Tuberkulose; die sichere Erkenntniß dieser Krankheit am einzelnen Thier ist im Beginn oft sehr schwierig. Es ist deshalb am sichersten, von vornherein auf eine gesunde Rasse zu sehen.

Die gesundesten und lebenskräftigsten Rindviehrassen stellt aber, wie schon bemerkt, das Gebirgsvieh. Schon das Vieh der Mittelgebirge, vom Harz, von der Rhön, von Oberbaiern, vom Pinzgau, vor Allem aber das Schweizer, insbesondere das bunte Simmenthaler und das einfarbige Allgäuer, ist kräftig und kerngesund. Diese Gebirgsviehrassen sind zwar weniger ertragsreich und geben nur 10 bis 12 Liter Milch täglich, aber dafür sind sie auch nahezu frei von Tuberkulose.

Nach den im Vorstehenden geschilderten Grundsätzen sind in den letzten zehn Jahren in mehreren großen Städten hygienische Milchställe errichtet worden.

Unsere Abbildung zeigt die in Dresden seit sechs Jahren bestehende Milchcuranstalt des früheren Rittergutsbesitzers Otto Wille, Bautznerstraße 71. Dieselbe steht unter der fortlaufenden Controle zweier Aerzte, eines Professors der Thierarzneischule und eines Chemikers. Der Stall selbst ist nicht in einem engen Hofe eingebaut, sondern frei im Garten gelegen, in einem eigenen Gebäude. Dasselbe hat, um im Winter allzu starke Abkühlung zu verhüten, ein doppeltes Dach, welches in der Mitte einen kuppelartigen Aufbau mit ringsum laufenden Ventilationsfenstern trägt. Die Mitte des 18 Meter langen und 16 Meter breiten Stallraumes nimmt ein erhöhtes freies Rundtheil ein, zu welchem Stufen führen und in dessen Centrum ein kühler Springbrunnen plätschert. Rings im Kreise um diese Plattform laufen die Stände der Thiere so, daß diese mit dem Kopf nach innen stehen. Die Höhe des Stalles beträgt über den Ständen 4 Meter, über dem Kuppelbau 6 Meter, der Luftinhalt 1096 Meter, sodaß bei vollständiger Besetzung des Stalles mit 34 Kühen 44 Cubikmeter, bei dem durchschnittlichen Bestand von 25 Kühen 44 Cubikmeter Luftraum auf den Kopf kommen, ein für die Gesundheit der Thiere so günstiges Verhältniß, wie es in keinem anderen Kuhstall erreicht sein dürtfte.

Die Wärme im Stalle hat hei einer Außentemperatur von –6° R. noch 11° betragen, bei 0° : 12°, bei 2 bis 4° : 13 bis 14°, bei 8 bis 18° : 15; bei fortdauernder äußerer Sommerwärme von 24 bis 25° stieg die Stalltemperatur auf 20 bis 22°, konnte aber durch Inbetriebsetzung der Ventilation mittelst des angestellten großen Aeolus dauernd auf 15° erniedrigt werden. Man kann den Thieren in der Stadt ihre heimathliche Alpenluft ja nicht ersetzen, aber bei dieser ununterbrochenen Ventilation ist die Temperatur und Beschaffenheit der Luft im Stall stets eine gesunde und angenehme, es stößt Einem beim Eintritt nicht, wie sonst gewöhnlich, der Dunst und Stank der heißen stagnierenden Stallluft entgegen.

Der Fußboden des Stalles ist cementirt, und alle unreinen Flüssigkeiten fließen sofort in die Abzugscanäle ab, der Dünger wird sofort entfernt und der beschmutzte Stand alsbald erneuert. Die Fliegen, sonst eine wahre Plage der Thiere, werden hier nicht durch Mistgeruch angelockt, sondern durch die fortwährende Lufterneuerung verscheucht.

Auf die Reinlichkeit und Hautpflege der Kühe wird besondere Aufmerksamkeit verwendet, die schönen kräftigen Gebirgskühe werden gestriegelt wie die Pferde, ihr Fell sieht glatt und glänzend aus und läßt keinen angetrockneten Schmutz bemerken. In den Stall aufgenommen werden nur junge, etwa drei- und vierjährige Kühe, die das erste oder zweite Kalb tragen. Länger als drei bis höchstens vier Jahre bleiben dieselben nicht im Stalle, sondern werden dann abgemolken und verkauft. Jede neuangekaufte Kuh macht eine vierwöchentliche Quarantäne durch, sie bleibt erst zwei Wochen im Filialstall, dann noch zwei Wochen innerhalb des Gehöftes im getrennten Beistall. Jede neumelkende Kuh liefert zunächst eine stoffarme, etwas abführend wirkende Milch; die Milch solcher Kühe wird erst nach vierzehn Tagen zu der für die Säuglinge bestimmten Mischmilch mitbenutzt, und auch dann wird noch darauf geachtet, daß nicht die Milch vieler neumelkender Kühe gleichzeitig eingeschüttet wird. Die Melkdauer der Kühe erstreckt sich auf 36 bis 37 Wochen. Das Zulassen der Kühe und die neue Zucht geschieht im Gehöft selbst. Tragende Kühe liefern höchstens bis zum Ende des vierten Monats noch gut brauchbare Milch, dann stehen sie 8 Wochen „trocken“ im Stall; sie bekommen in dieser Zwischenzeit kein Kraftfutter, sondern trockenes, wie die andern. Im letzten Vierteljahr waren 23 Kühe 91 Tage (2093 Kuhtage) anwesend; davon waren nur 19 Stück täglich milchend (1726 Milchtage), und hiervoll gab jedes Stück 9,9 Liter Milch täglich.

Eine stets gleichmäßige Ordnung und pünktliche Regelmäßigkeit herrscht in der Fütterung, Tränkung und Melkung. Die Mellzeit ist früh 1/4 4 bis 4 Uhr und Nachmittags 1/2 4 Uhr, also nur zweimal am Tage, wobei wohl die Milchmenge, dafür aber auch der Unterschied in der Morgen- und Abendmilch geringer wird, als bei dreimaligem Melken. Die gemolkene Milch kommt sofort in die abgesonderte, dem Stall angebaute kühle Milchkammer. Dort wird die Milch sämmtlicher Kühe gemischt, und diese Mischmilch ist daher von einer großen Gleichmäßigkeit der Zusammensetzung. Sie ist von vorzüglichem Geschmack und hält sich beim Aufbewahren besser als jede andere. Es wird früh und Nachmittags, und zwar stets nur frischgemolkene Milch abgegeben. Dieselbe wird in Glasflaschen, deren Korke mit besonderen Marken verklebt sind, um jeden Betrug auf dem Wege auszuschließen, gefüllt und in gut federnden Wagen, sodaß sie nicht arg geschüttelt werden kann, in die Wohnungen der Abnehmer gefahren, wobei auf eine pünktliche Zustellung besonders geachtet wird, weil jede Verspätung die ängstlichen Mütter mit Sorge erfüllen würde. Der Preis der Milch ist 50 Pfennig für das Liter; er erscheint nicht unangemessen, wenn man die Kostspieligkeit der Anlage inmitten der Stadt und des jeden Gewinn durch die producirte Milchmenge ausschließenden Betriebes erwägt. Die Milch ist immer noch fast noch einmal so billig, als das Nestle’sche Kindermehl und billiger als das Halten einer Amme.

Die öffentliche Controle der Milchanstalt geschieht, außer durch die Commission, auch durch das abnehmende Publicum selbst, und das bietet die volle Garantie, daß in dem Betrieb nie die mühevolle und peinliche Gewissenhaftigkeit, welche nothwendig ist, nachlasse. Die Mütter folgen gern der Einladung, selbst in den Stall zu kommen, und überwachen mit scharfem Auge alle Einrichtungen und Vorkehrungen, aber sie sind auch die dankbarsten Lobredner der Anstalt für das Gedeihen ihrer kleinen Lieblinge. Außer dem allgemeinen Urtheil der Aerzte ist die sich immer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 604. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_604.jpg&oldid=- (Version vom 17.9.2023)