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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)


No. 38.   1883.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis Bogen. 0 Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Ueber Klippen.

Erzählung von Friedrich Friedrich.
(Fortsetzung.)

„Herr Richter, ein jeder Mensch handelt nach seinem Sinn,“ fuhr der Bauer fort. „Hier aber ist’s Brauch gewesen, daß die Kinder den Eltern gehorchen, und so soll’s hier bleiben. Fügt die Moidl sich nicht, so zerreißt sie das Band zwischen mir und ihr, nicht ich.“

„Wolltet Ihr sie deshalb enterben?“ fiel der Richter ein.

Um den Mund des Bauern zuckte es. Ueber sein ernstes, hartes Gesicht flog es wie ein spöttisches Lächeln.

„Ich braucht’ sie nicht zu enterben,“ entgegnete er, „dies Gehöft hab’ ich von meinem Vater ererbt, es ist mein Eigenthum, ich kann darüber verfügen, so lang’ ich leb’, ich kann es auch verschenken oder gegen ein Leibgeding verkaufen. Ich bin kein Rechtsgelehrter, aber ich mein’, das müßte gelten, denn es hat immer gegolten.“

Dem Richter riß die Geduld, er hatte nicht geglaubt, daß der starre Sinn des Mannes so weit gehen könne.

„Es würde nach dem Gesetze gelten,“ sprach er, „aber es giebt noch Etwas, was über dem Gesetze steht. Ein gutes Andenken würdet Ihr Euch dadurch nicht erkaufen, und wir Alle trachten darnach, daß unser Andenken auch noch über unser Grab hinaus reicht!“

„Das muß ein Jeder mit sich selbst und seinem Gewissen abmachen,“ gab der Bauer zur Antwort.

„Ihr habt Recht,“ entgegnete der Richter, indem er sich erhob. „Vergeßt das nicht und denkt auch daran, daß unser Gewissen uns täuschen kann. Ihr habt Zeit, Euch Alles reiflich zu überlegen.“

Der Bauer blieb in seiner kalten Ruhe.

„Ich brauch’ keine Zeit,“ sprach er. „Mein Entschluß steht fest. Wie das Holz der Bäume, die hier oben wachsen, fester und zäher ist, als das derjenigen, welche unten im Thal aufschießen, so ist’s auch mit den Menschen: hier geht oft ein Sturm, während es unten ruhig ist; hier ist noch Winter, wenn unten der Frühling gekommen ist – das macht fester.“

Der Richter antwortete hierauf nicht. Der Bauer hatte Recht, aber er dachte nicht daran, daß auch der Sinn und das Herz seiner Tochter sich hier oben gefestigt hatten.

„Ihr werdet nicht vergessen, daß Ihr nur ein Kind habt,“ sprach er, indem er dem Bauer die Hand reichte.

„Ich weiß es,“ gab der Oberburgsteiner ruhig zur Antwort.

Moidl sah von ihrer Kammer aus den Richter fortgehen. Sie brauchte ihn nicht zu fragen, was er ausgerichtet hätte, sein langsamer Gang verrieth es ihr. Sie war aber auch nicht enttäuscht, denn sie kannte den harten und festen Sinn ihres Vaters.




Hansel hatte nur wenige Tage bedurft, um sich von der langen Haft zu erholen. Mit voller Kraft nahm er die Arbeit wieder auf. Und die frische Bergluft war es nicht allein, die ihn stärkte. In ihm rief es laut bei Tag und Nacht: „Jetzt wissen Alle, daß die Moidl Dich liebt!“ Und er wollte zeigen, daß er sie verdiene.

Seine Mutter hatte durch den Richter erfahren, daß der Oberburgsteiner gegen ihn sei, und sie kannte den zähen Sinn des Bauern.

„Gieb die Moidl auf,“ sprach sie zu ihm, als sie allein mit ihm im Zimmer war. „Ich glaub’, daß es Deinem Herzen nicht leicht wird, aber den Sinn ihres Vaters beugst Du nimmer.“

„Mutter, er beugt aber auch mein Herz nicht,“ entgegnete Hansel. „Er ist alt und ich bin jung, da halt ich’s aus.“

„Darüber kannst Du auch alt werden,“ warf seine Mutter besorgt ein.

„Dann werd’ ich’s!“ rief Hansel. „Die Moidl hat mein Wort, das halt’ ich. Sieh’, Mutter, als ich dort unten in der Zelle saß und keine Beschäftigung hatte, um mir die Zeit zu vertreiben, als ich manche Nacht da lag, ohne schlafen zu können, da hatte ich Zeit, über Vieles nachzudenken. Wohl hundert Mal hab’ ich mir die Frage vorgelegt, was ich thun solle, wenn ich wieder frei sei, aber immer hab ich mir gesagt, daß mein Herz keiner Andern gehören könne, als der Moidl! Und ihr gehört’s.“

Am folgenden Tage, als er bei der Arbeit war, brachte ihm ein Knabe einen Brief.

„Wer hat Dir den Brief gegeben?“ fragte er.

„Die Moidl,“ erwiderte der Knabe und lächelte verschmitzt. „Es soll Niemand erfahren.“

„Die Moidl!“ rief Hansel erfreut, während ihm das Blut in die Wangen schoß. „Sollst Du ihr Antwort bringen?“

„Nein.“

„Dann nimm dies hier,“ fuhr Hansel fort, indem er dem Knaben ein Geldstück gab. „Und nun schweig’ gegen Jeden.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 609. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_609.jpg&oldid=- (Version vom 9.1.2024)