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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)


„Heute auch nicht. Es war mir nur so um’s Herz, Dich wieder einmal zu sehen und sprechen zu hören.“

„Das freut mich, das freut mich. So – da sitzt der Stift fest. Nun hat’s weiter keine Gefahr mehr.“

„Aber sputen sich Deine Uhren komisch!“ rief das Mädchen lachend. „Es ist, als ob sie um die Zeit wettlaufen wollten.“ „Sie sind die Zeit,“ meinte er, „mit jedem Pendelschlag grenzen sie ein Stückchen Ewigkeit ab. Könnte man’s nur dahin bringen, daß sie so genau gingen wie die liebe Sonne, nach der sie sich richten sollen. Aber sie haben alle ihre Nücken. – Von wo kommst Du?“

„Vom Kirchhofe, Onkelchen.“

„Vom Kirchhofe – immer vom Kirchhofe!“ knurrte er. „Was will denn ein so frisches junges Ding immer bei den Todten?“

Helene seufzte.

„Wenn’s da seinen Bräutigam hat …“

„Ah! das ist ein trauriges Erlebniß – schreibt sich schon tief genug in’s Gedächtniß ein. Muß man denn immer stacheln?“

Das Mädchen schwieg und senke die Augen.

„Ich denke mir,“ fuhr er fort, ein kleines Rad putzend, „wenn Einer eine tiefe Wunde empfangen hat, die lebensgefährlich war, so soll er sie ausheilen lassen, so gut es gehen will, und nicht immer wieder geflissentlich aufreißen, um sich neuen Schmerz zu verursachen. Es dauert so schon lange genug, bis sie sich schließt. Wenn sie sich aber mit der Zeit schließt, so ist’s doch wohl ein Zeichen, daß das nach der Natur der Dinge so sein soll. Ich rede wahrlich dem Leichtsinn nicht das Wort, hab’ selbst ein schweres Gemüth und stoße nur langsam ab, was darauf drückt. Wenn man den Tag über immer schweigsam bei der Arbeit sitzt, über sein handwerksmäßiges Thun nicht viel nachzudenken hat und selten zerstreut wird – Du kannst Dir’s denken. Und ich habe eine Frau begraben, von der ich in alle Wege nur Liebes erfahren, und zwei Kinder, die reiche Hoffnung gaben. Ich hab’ mir’s nicht abgewehrt – bei Leibe nicht. Recht versenkt hab’ ich mich in meinen Schmerz und Kummer, und wohl auch gemeint, nie mehr gesund werden zu können. Aber gewaltsam widersetzt hab’ ich mich der Heilung nicht und dem Leben sein Recht gelassen. So bin ich denn wieder in’s Gleichgewicht gekommen. Wenn das einem alten Menschen gelingt, der schon im Absterben ist und von der Welt nicht mehr viel zu erwarten hat, wie viel mehr eignet es sich für einen jungen und kräftigen, dem sie noch mit allen ihren Herrlichkeiten offen steht! Warum soll der mit allen seinen Gedanken immer nur zurück zu dem Verlorenen? Das ist ein gemachtes Wesen, dem ich nicht das Wort reden kann.“

In ihr Gesicht schoß die Röthe.

„Glaubst Du denn, daß ich unwahr gegen mich bin?“ fragte sie.

„Hm – hm!“ brummte er. „Ein klein wenig doch. Es mag Dir selbst nicht recht klar werden. Ich kenne Dich ja von frühester Kindheit an, Lenchen. Ist das wahr? Du bist in Deines Vaters Hause ein so munteres Dingelchen gewesen, als nur eines in der Welt herumspringen kann, und das Unglück, das Dich durch seinen Tod traf und Deine Verhältnisse gar sehr veränderte, hat Dich um Deinen natürlichen Frohsinn nicht bringen können. Ich habe Dich ja alle die Zeit immer unter Augen gehabt, bis die Frau Consul Dich in ihr Haus nahm. Du hast damals einen starken Willen bewiesen, Dir selbst durchzuhelfen, und ich meine, der würde sich auch jetzt bewähren, wenn Du Deinem Herzen Ruhe lassen könntest. Ist es denn wirklich ganz gebrochen? Das wirst Du dem alten Onkel doch nicht einreden.“

„Ich will’s auch nicht,“ sagte sie, den Kopf noch tiefer senkend, in trotzigem Tone.

„Nun also! Da gehst Du nun schon fast zwei Jahre lang in tiefster Trauer –“

„Das ist der Wunsch meiner Wohlthäterin, Onkel.“

„Ja so! Die Frau Consul schreibt’s vor.“ Er hob die große Brille von der Nase und legte sie auf den Tisch.

„Sie schreibt’s nicht vor,“ antwortete das Mädchen. „Aber ich weiß, daß sie sich’s gar nicht anders vorstellen kann, als mich in Trauerkeidern zu sehen. Und warum soll ich der alten schwergeprüften Frau, die so engelgut ist, nicht diese rein äußerliche Beruhigung gewähren? Ich selbst … ja, wie weißt Du denn, daß ich nicht einem herzlichen Bedürfnisse folge?“

Sie wagte dabei doch nicht aufzublicken. Es mochte ihr durch den Sinn gehen, was eben nur auf dem Friedhofe verhandelt war. Hätte er das mit angehört!

Onkel Grün ließ sich auch gar nicht irre machen. Er hatte nun auch seinen grünen Schirm abgelegt und den Stuhl herumgewendet, und sah sie nun mit seinem freundlichen alten Gesichte etwas ungläubig an, doch immer nickend, als ob er ganz einverstanden wäre.

„Ja, ja,“ sagte er, „sie haben Dich tüchtig eingesponnen und sprechen Dir’s täglich vor, daß Du die Flügelchen gar nicht mehr brauchst. Und wenn Du hübsch artig bist und an ihren Fäden nicht zerrst, so thun sie Dir alles Erdenkliche zu Liebe, tragen Dich auf Händen und verhätscheln Dich. Aber gieb nur Acht: Was Du jetzt meinst freiwillig zu geben, werden sie bald glauben als eine Pflicht fordern zu dürfen. Sein und Schein wird für Dein Gefühl immer mehr aus einander gehen, und das erträgst Du nicht ohne schwere Einbuße. Darum rathe ich bei Zeiten: prüfe die Flügelchen und schwinge Dich auf!“

Er hatte ihre beiden Hände gefaßt und betrachtete sie abwechselnd. Von der rechten hatte sie den schwarzen Handschuh abgenommen, und die Grübchen in der zarten Rundung schimmerten röthlich. Der Gegensatz schien ihm recht in die Augen zu springen, und auch sie merkte wohl, daß er einen schalkhaften Hintergedanken hatte. Sie lächelte, da er gar nicht fertig werden konnte, sein Spiel zu wiederholen, und seufzte dann recht wehmüthig.

„Du meinst es gut mit mir,“ sagte sie nach einer Weile und stand auf. „Aber mir ist nicht mehr zu helfen. Ich kann doch nicht, wie ich will, und – ich weiß auch nicht einmal, was ich will. Wenn ich mich nur einmal recht aussprechen dürfte! Aber das darf ich nicht – selbst Dir gegenüber nicht. Es ist mir, als ob ich den guten Menschen schweres Unrecht thäte, die mich in ihrer Art so lieb haben und recht auf Händen tragen. Laß mich’s nur still mit mir ausmachen: es ist schon dafür gesorgt, daß ich innerlich nicht allzu schwarz werde.“

Dabei faßte sie seinen weißen Kopf und küßte ihm die Stirn.

„Und nun von etwas Anderem, Onkelchen!“

(Fortsetzung folgt.)




Im Kampf um’s Recht.

Ein Zeitbild aus Siebenbürgen.

Das Märchen vom Dornröschen kommt dem unwillkürlich in den Sinn, der in den letzten Jahren, seit Deutschlands Blicke mehr nach Osten schweifen, das allmähliche Aufdämmern der Kenntniß jener Länder und jener Völker verfolgte. Jahrhunderte lang hatte die Dornhecke um die Kenntniß des deutschen Lebens in Siebenbürgen gewuchert, starr, undurchdringlich schien sie zu sein – da kamen die Ritter vom Geist, den alten Bann zu brechen, und es gelang.

Leider geschah dies erst, nachdem namentlich bei dem Sachsenvolke Siebenbürgens die in Jahrhunderten aufgebauten und in unaufhörlichen Kämpfen befestigten nationalen Zustände, die Grundsäulen seines Glückes, mit dem Todesstoße bedroht wurden. Wohl hatten in früheren Jahrzehnten viele junge Männer aus Ungarn und Siebenbürgen auf deutschen Hochschulen ihre Studien vollendet und Kunde gebracht von Land und Leuten ihrer Heimath; auch Deutsche der Zips und Siebenbürgens waren zahlreich darunter. Damals litt jedoch der Deutsche noch an der Schwäche der Bevorzugung alles Fremden, das ungarische Wesen imponirte ihm, und da beide damals einen gemeinsamen Feind hatten: das Metternich’sche System, so war eine innige Verbindung beider ganz natürlich. Daher kam es auch, daß man mit den Magyaren auf die Deutschen der Zips und Siebenbürgens oft geringschätzig hinblickte.

So blieben diese stammverwandten Völker uns fremd. Den deutschen Augen ging erst ein Licht über die wahren Verhältnisse im Leben und Wesen derselben auf, als die Magyaren in Folge

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 644. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_644.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2024)