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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Altstadt. Sie wurde im vorigen Jahrhundert für eine der schönsten Straßen Europas gehalten, warum, ist uns heute unverständlich. Die Gebäude sehen vernachlässigt aus, aber der Historiker und Antiquar treibt sich gern in dieser Gegend umher. Dort steht, etwas in die Straße vorspringend, das Haus des schottischen Reformators John Knox. Aus dem Eckfenster des ersten Stockes predigte er oft seinen in High-Street versammelten Anhängern. Es wäre der Mühe werth, die Außentreppe hinaufzusteigen, in die kleinen düsteren Zimmer einzutreten und einen Augenblick auf dem Stuhle des fanatischen Geistlichen auszuruhen, welche Ehre jedem Besucher angeboten wird, aber unser Weg führt uns vorüber. Unser Ziel ist Holyrood Palace, welcher High-Street im Osten abschließt.

Der Palast hat weder eine hervorragende Lage wie Edinburgh Castle, noch besitzt er den Zauber des Alters, wie das Schloß zu Linlithgow. Es ist ein keineswegs imposantes viereckiges Gebäude in ebener Lage, welches erst in der zweiten Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts errichtet wurde. Ein alter, auf dieser Stelle stehender Palast brannte im Jahre 1542 nieder. Das Schloß, welches nach dem Brande wieder aufgebaut wurde, bewohnten Lord Darnley und die Königin nach ihrer Rückkehr aus Frankreich. Ein großer Theil desselben wurde im Jahre 1650 ein Raub der Flammen. Glücklicher Weise blieben die Privatgemächer der Maria Stuart und ihres Gemahls verschont. Beim Neubau wurden sie dem jetzigen Gebäude einverleibt und bilden die Nordwestecke des heutigen Schlosses. Von dem inneren rechteckigen Hofe führt eine Treppe in die Zimmer Darnley’s, in denen nur Eins den phantasievollen Reisenden anzieht: eine schmale offene Thür. Durch diesen Ausgang blickt man auf die berüchtigte steinerne Wendeltreppe, welche in Verbindung mit dem Maria Stuart als Schlafgemach dienenden Raume steht. Auf den schmalen, halb in Dunkel gehüllten Stufen drang Darnley an der Spitze einiger Freunde in die Zimmer der Königin, um ihren Geheimsecretär zu ermorden.

Die Gemächer Maria Stuart’s liegen einen Stock höher. Es sind vier unregelmäßig gebaute Zimmer von ungleicher Größe. Zuerst gelangen wir in das halbdunke Audienzzimmer. Hinter der Thür wird uns auf den Dielen ein großer Fleck gezeigt mit dem Hinzufügen, daß sich hier Rizzio verblutet habe. Der zweite Raum war das Schlafgemach der Königin. In demselben steht noch das vermoderte, zerfetzte Himmelbett Maria’s und einige alte Möbel. Auf der Ostseite mündet die vorher erwähnte Wendeltreppe. Einen Schritt von ihr entfernt, auf der Nordseite, gelangt man durch eine niedrige Thür in ein schmales hohes Zimmer. Hier speiste die Königin mit Rizzio und einigen Freunden an dem Abend, welchen Darnley zur Ausführung seines Verbrechens erwählt hatte. Unbemerkt waren die Mörder in das Schlafgemach gelangt und drangen plötzlich in das enge Zimmer. Der Italiener klammerte sich voller Todesfurcht an das Kleid der Königin. Darnley suchte ihn aus dem Zimmer zu reißen, um ihn vor den Gemächern seiner Gemahlin zu tödten. Aber in der Ungeduld der Mordgier versetzte ihm Einer einen Dolchstoß, worauf auch die Uebrigen über Rizzio herfielen. Halb entseelt ward er durch das Schlafzimmer und das Audienzzimmer geschleppt und sank, aus dreiundfünfzig Wunden blutend, in der Nähe der Treppe todt zusammen. Die vierte, unregelmäßig gebaute Kammer benutzte die Königin als Ankleidezimmer. Es ist ein nüchterner, in keiner Beziehung merkwürdiger Raum.

Man verläßt den Palast gern, wie alle Stuart-Schlösser. Denn fast jedes erweckt schmerzliche, niederdrückende Erinnerungen, welche kein erhebender Gedanke erträglich machen kann. Ueberall unmännliche Gewaltthat oder feige Hinterlist eines rohen, gesetzlosen Adels! Wir athmen auf, wenn wir wieder das offene Land vor uns erblicken, welches der Schnellzug mit uns durchbraust. Noch einmal haben wir Gelegenheit, Linlithgow Castle rechts von uns auf dem Hügel zu sehen. Jetzt eilen wir über das Schlachtfeld, auf welchem der volksthümliche Held Schottlands, William Wallace, die entscheidende Niederlage erlitt, die ihr letztes trauriges Nachspiel in der Hinrichtung des edlen Patrioten fand. Oben links, für das bloße Auge kaum erkennbar, steht ein kleines weißes Denkmal an der Stelle, von welcher er, angesichts des prächtigen Meerbusens und der hochragenden Berge, den Kampf gegen den englischen König leitete.

Nun liegt das Schlachtfeld von Falkirk vor uns. Hier besiegte „Prinz Charlie“, der junge Prätendent, zum letzten Male die englischen Truppen. Schon fliegen wir an Bannockburn vorüber, wo Robert Bruce die Truppen Eduard’s II. vernichtete. Das Schloß, welches wir in diesem Augenblicke auf steiler Höhe schimmern sehen, ist Stirling Castle. Auf jener luftigen Höhe hat Maria Stuart oft residirt und einige ungetrübte Stunden verlebt. Aber da das Schloß keine besonders werthvolle Erinnerung an die Königin birgt, lassen wir uns vom Dampfroß weiter durch stille Thäler, an hohen Bergen vorüber tragen und gelangen nach mehrstündiger Fahrt an die Ufer des Loch Leven. Der weite, schöne See wird im Süden von einer Bergreihe begrenzt, im Norden breitet sich die Ebene von Kinroß aus. Ungefähr eine Viertelstunde vom Ufer entfernt liegt eine keine Insel, über deren Baumkronen ein viereckiger Thurm, an den sich verfallenes Gemäuer lehnt, ein wenig hervorragt. Dort wurde Maria Stuart gefangen gehalten, nachdem sie im Jahre 1567 in die Gewalt der aufständischen Lairds gefallen war. In einem Thurmzimmer verlebte sie neun Monate, Tag und Nacht bewacht, bitter gekränkt und mit erfinderischer Lust erniedrigt von der Mutter des Regenten, welche einstens die Gunst Jakob’s V., des Vaters der Maria Stuart, genossen hatte.

Nach einem Versuche Maria’s, in den Kleidern einer Waschfrau zu entkommen, bei dem sie von den Bootsleuten erkannt und gezwungen worden war, in den Thurm zurückzukehren, gelang es endlich George Douglas, die Schlüssel des Schlosses an sich zu bringen und mit der Königin in der Nacht des 2. Mai 1568 über den See zu entfliehen. Die Schlüssel, welche er in den Loch Leven warf, sowie ein Elfenbeinscepter der Königin wurden im Anfange dieses Jahrhunderts auf dem Boden des Sees wiedergefunden und werden in der Residenz des Grafen von Morton aufbewahrt.

Während wir am Ufer des Sees sitzen, ist die Nacht hereingebrochen. In den Häusern blitzen die Lichter und am Himmel die Sterne auf. Wie die Dunkelheit sich auf die plätschernden Wellen senkt und die stille Außenwelt weniger und weniger das Gemüth beschäftigt, ziehen um so lebensvollere Bilder aus dem ferneren Schicksale der freudlosen Fürstin an dem inneren Auge vorbei. Bald nachdem sie Loch Leven Castle verlassen hatte, trieb sie eine unglückliche Schlacht über die Grenzen ihres Reiches. Den schottischen vertauschte sie mit einem englischen Kerker. Indem unser Blick nach der finsteren dunkelnden Masse ihres ersten Gefängnisses hinüberschweift, steht eine andere Ruine, Hunderte von Meilen entfernt, vor unserer Seele: Fotheringhay Castle in Northhamptonshire.

Wilhelm Hasbach.




Der Letzte von Hohen-Realta.

„Aus dem dunkeln Geklüft und zerriss’nen Gestein
Was stürzet dort siegend hervor?
Es ist der gewaltige, freie Rhein,
Der sprengte das Felsenthor.“

Wer kennt nicht wenigstens vom Hörensagen jene großartige Alpenschlucht, welche anderthalb Stunden lang, von über tausend Fuß hohen Felswänden eingeengt, das angestaunte Kleinod des an Naturschönheiten so reichen Cantons Graubünden bildet? Wer kennt nicht die Via mala, den „bösen Weg“, auf dessen Grunde der jugendliche Rhein bald ruhig seine schimmernden Wellen spielen läßt, bald, durch Schmelzwasser der Berge aufgeregt, mit wildem Getose dahinbraust? Einst zogen hier die Kriegsheere verschiedener Nationen über den sich aufthürmenden Alpenkamm, und mühsam beförderten hier die Säumer ihre Waaren, gegen Raubritter die Sicherheit des Handels und Wandels mit Geld oder bewaffneter Faust, je nach der Zeiten Lauf, erringend. Und wo am Eingang zu dieser finsteren Schlucht das liebliche Domleschgerthal seine Reize entfaltet, blinkten vor Zeiten von den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 650. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_650.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2024)