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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

deutscher Frauen, welche sie 1865 nach Leipzig berief, wo kurz vorher der erste „Frauenbildungsverein“ in’s Leben getreten war.

Eine wunderbare Ruhe und Festigkeit blickt aus den Zügen dieser Frau, welche durch ihr ganzes Leben bewiesen hat, daß sie unter allen Verhältnissen Charakterstärke, Gesinnungstreue und Rechtsliebe bewahrte. Louise Otto wurde 1819 zu Meißen geboren. Eine glühende Freiheitsliebe und echten deutschen Sinn bekundete sie seit ihrer Jugend, und ihr warmes Herz für die nothleidenden Schwestern zeigte sich im Jahre 1848, wo sie, als in Sachsen eine Commission zur Organisation der Arbeit zusammentrat, eine Adresse an die Volksvertretung und den betreffenden Minister richtete, in welcher sie auch um Berücksichtigung der Arbeiterinnen bat.

Im Jahre 1849 redigirte sie die erste Frauenzeitung in Sachsen. Ein Jahr früher hatte sie August Peters (als Dichter Elfried v. Taura) kennnen gelernt. Näher trat sie ihm, als er, ein Kämpfer für die Reichsverfassung, zu Rastatt zum Tode verurtheilt war. Nachdem das Urtheil aufgehoben und er in’s Zellengefängniß zu Bruchsal gekommen war, verlobte sich Louise Otto dort mit ihm, in Gegenwart des Aufsehers, durch ein Gitter von dem Geliebten getrennt. Sie blieb der Engel seines Gefängnisses, bis er 1857 die Freiheit erhielt. Ihre Romane und Dichtungen sind bekannt. 1858 erfolgte ihre Vermählung mit A. Peters, mit dem sie die „Mitteldeutsche Volkszeitung“ herausgab, doch löste der Tod das glückliche Ehebündniß schon im Jahre 1864.

Seit 1865 trat Louise Otto-Peters energisch und begeistert füre das Recht der Frau ein. Seit achtzehn Jahren redigirt sie im Verein mit Fräulein Auguste Schmidt, der Mitbegründerin des „Allgemeinen deutschen Frauenvereins“, dessen Organ „Neue Bahnen“ (Verlag von Moritz Schäfer in Leipzig). Als stetige Vorsitzende leitete sie alle Frauentage und Versammlungen mit Gleichmuth und Umsicht.

Wie ein Orchester der verschiedensten Instrumente, welche jedoch harmmonisch im Concert zusammenstimmen, so verschieden sind die Persönlichkeiten der Frauen, welche mit Louise Otto den Vorstand des „Allgemeinen deutschen Frauenvereins“ bilden.

Keinen größeren Gegensatz vermag man sich vorzustellen, als den von Louise Otto mit der kleinen gedrungenen Gestalt und Auguste Schmidt. Diese, eine imposante Figur, mit einem Kopf, dessen ausdrucksvolle, lebhafte Züge und geistsprühende dunkle Augen von ehemaliger außergewöhnlicher Schönheit sprechen, hat eine vollklingende Stimme, deren warmer Brustton Jeden sympathisch berührt. Sie besitzt eine seltene Rednergabe im freien Vortrag, weshalb ihr bei den meisten Frauentagen die Aufgabe zufiel, in der ersten öffentlichen Versammlung durch eine Ansprache gleichsam das Programm der Bestrebungen darzulegen.

Auch in Düsseldorf hielt sie am selben Abend vor einem zahlreich erschienenen Publicum die Begrüßungsrede, aus welcher tief innerliche Ueberzeugung und Begeisterung sprach und geistreiche Diction wie schwungvolle Ausdrucksweise die Zuhörer fesselte. Sie ging von dem Widerstreit zwischen Bildung und Cultur, zwischen Ideal und Wirklichkeit aus und bewies, wie nur wahre Geistes- und Gemüthsbildung im Stande sei, den Kampf um das Dasein mit sittlicher Kruft aufzunehmen. Jeglicher Mangel an Gelegenheit für das weibliche Geschlecht zur Ausbildung für das prakische Leben und für einen Fachberuf sei Veranlassung gewesen, daß im Jahre 1865 ein Häuflein muthiger Frauen zusammengetreten, um den nothleidenden Schwestern, den alleinstehenden Frauen neue Bahnen zu eröffnen, auf denen sie einen festen Boden gewinnen in dem Culturkampf der Gegenwart, dem Ringen um’s Dasein.

Man hatte die Frau von jeher gelehrt, daß ihr Platz nur im Hause, ihr Wirken nur in der Ehe und in der Erziehung der Kinder sei, allein die Veränderungen und Umgestaltungen im socialen und wirthschafllichen Leben durch das Maschinenwesen und erleichterten Völkerverkehr haben dem Hause einen total veränderten Charakter gegeben. Durch die Massenproduction wurde eine Menge Haus- und Handarbeit entbehrlich, die früher das ganze Frauenleben ausgefüllt haben. Die zugleich sich immer mehr steigenden Lebensbedürfnisse machten Einschränkungen nothwendig, welche das Heirathen erschwerten; so wuchs die Zahl der unverheiratheten Frauen, die darauf angewiesen waren, sich selbst zu erhalten, wollten sie nicht sittlich untergehen. Auf welche Weise aber sollten die Frauen erwerben, da sie, im engsten Rahmen des Hauses nur zu mechanischer Arbeit angehalten, nie gelernt hatten, diese zu verwerthen? Ja, sie wurden sogar verhindert, für Geld zu arbeiten, weil dies als eine gesellschaftliche Erniedrigung galt.

Diesem Vorurtheil entgegenzuarbeiten, schrieb der „Allgemeine Frauenverein“ das erlösende Wort auf sein Banner: „Die Arbeit ist eine Pflicht und Ehre für die Frau wie für den Mann“ – und „die Frau ist zu jedem Berufe berechtigt, zu dem sie befähigt ist“.

Um seine Ideale zu verwirklichen, wurde Anregung zur Organisation von Frauenbildungsvereinen gegeben, welche Mädchen-Fortbildungsschulen errichteten und jegliche Frauenarbeit förderten. Dies geschah im Anschluß an die Frauentage, welche, außer mehrmals in Leipzig, dem Hauptsitz des Vereins, in Braunschweig, Kassel, Eisenach, Stuttgart, Gotha, Frankfurt am Main, Hannover, Heidelberg und Lübeck stattgefunden hatten.

Zunächst galt es, durch gründlichere und umfassendere Bildung den Frauen jene Befriedigung zu geben, welche aus dem Bewußtsein fließt, daß unser Dasein einen Zweck haben müsse in der großen Völkerfamilie.

Diese ausgezeichnete Rednerin, die Tochter eines höheren Officiers in Breslau, widmete sich dem Beruf der Lehrerin und Schulvorsteherin. Vom Jahre 1862 an wirkte sie in Leipzig an der Schule des Fräulein von Steyber sieben Jahre und übernahm die Direction derselben nach deren Tode im Jahre 1869. Thakräftig begann sie diese Unterrichtsanstalt nach den jetzigen Bildungsansprüchen zu reformiren und an sie ein Seminar für Lehrerinnen zu schließen, das sich eines Rufes der Vorzüglichkeit erfreut. Das Zusammenwirken mit berufstreuen verschwisterten Verwandten ermöglichte neben der vielclassigen Schule die Aufrechthaltung eines größeren Pensionats von Mädchen, die hier die Grundlage zu einem befriedigenden Leben empfangen.

Unter den Vorstandsmitgliedern des „Deutschen Frauenvereins“ ist Frau Dr. Henriette Goldschmidt geb. Benas eine der begabtesten, geistreichsten Frauen und Rednerinnen, welche gleichfalls durch ihre Eröffnungsreden manchem Frauentag den Erfolg von vornherein gesichert hat. Die zierliche, kleine Frauengestalt mit dem interessanten, ausdrucksvollen Gesicht und den leicht beweglichen Zügen ist die Trägerin energisch durchgeführter Reformbestrebungen für die weibliche Erziehung. In Krotoschin, in der preußischen Provinz Posen, geboren, verheirathete sie sich mit dem Rabbiner Dr. Goldschmidt, an dessen Seite sie erst fünf Jahre in Warschau lebte und seit fünfundzwanzig Jahren in Leipzig ihren Wohnsitz hat. Auch ihre öffentliche Wirksamkeit begann mit der im „Allgemeinen deutschen Frauenverein“. Unabhängig von demselben war sie in Leipzig Mitbegründerin des „Vereins für Familien- und Vokserziehung“.

Vier Volkskindergärten und eine Bildungsanstalt für Kindergärtnerinnen, aus der bereits dreihundert geprüfte Jugendführerinnen hervorgingen, sind der Obhut der Frau Goldschmidt als Vorsitzende des Vereins anvertraut; ihre Hauptaufgabe ist die, eine höhere Lehranstalt für den erziehlichen Beruf des Weibes zu schaffen. Zur Verwirklichung dieses Gedankens begründete sie im Verein mit hochangesehenen Männern der Wissenschaft das „Lyceum für Damen“ in Leipzig, das einzige in Deutschland, das mit Volkskindergärten in Verbindung steht, welche den jungen Damen Gelegenheit geben, sich für den erziehlichen Beruf vorzubereiten. In diesem Lyceum findet auch die Kunst ihre Lehrstätte; in dem Modellircursus ist schon Hervorragendes geleistet worden.

Die hohe Begabung für die Redekunst verschaffte Frau Dr. Goldschmidt Einladungen nach Kassel, Braunschweig, Bremen, Lübeck, Stettin, Mannheim, Mainz etc., wo sie Vorträge hielt, welche für die Frauenbewegung von großem Nutzen waren und in denen sie unter Anderem für die Kindergartenschule plaidirte, in ihrer Bedeutung für den Fortbildungsunterricht der weiblichen Jugend.

Außer in zahlreichen Brochuren faßte sie ihre Ansichten zusammen in dem Buche: „Ideen über weibliche Erziehung“ (Reißner, Leipzig). Auch auf dem Düsseldorfer Frauentage hielt Frau Dr. Goldschmidt einen Vortrag über die Reform der weiblichen Erziehung, der um so mehr zündete, als man fühlte, daß Alles, was die Rednerin so scharfsinnig wie logisch darlegte, auch von ihr im Leben und Wirken bethätigt worden war.

Fräulein Marie Calm aus Kassel ist den Lesern der „Gartenlaube“ als begabte Schriftstellerin bekannt, sie schrieb unter Anderem auch für junge Mädchen „Blick in’s Leben“", „Weibliches Wirken“,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 719. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_719.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)