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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

verunziertes Geschirr. „Ist das Essen gar? Es giebt freilich nur ein altes Huhn mit Reis und Safran; aber am dritten Feiertag kann man sich daran genügen lassen. Und es ist gut, so wir das Mahl bald auf die Seite bringen; denn nach der Nachmittagsbetstunde mußt Du im Staat sein, Hanne, auf daß Du rechtzeitig zum Maienfest kommst.“

„Ja,“ rief der Papiermüller vom Hausflur her, wo er wegen alter Lumpen mit ein paar struppigen Kerlen feilschte, „und heute besonders darfst Du Dich nicht versäumen.“

Johanne lachte hochfahrend auf bei diesen Worten und drehte mit dem Scheuerwisch die kunstgerechte Flamme aus die große Fleischschüssel.

„Wo steckt Hermann, daß er die Lumpen fortschafft?“ fragte der Papiermüller ungeduldig. „Gewißlich ist er wieder auf dem Glockenthurm. Ich werde ihm derohalb einmal den Kopf waschen.“

Jetzt verließ Johanne ihre Zinnteller und nahm sich der Lumpen an, während Herr Henning seinen alten Vater aus der Stube auf den Hausflur rief, um mit ihm zu berathen, wie viel Heller den Händlern zu zahlen seien. Auch Frau Henningin trat hinzu, als die Lumpen in einen Korb geschüttet wurden.

„Solche Feldbinden,“ seufzte sie, auf einen großen scharlachnen Lappen deutend, den das Benjaminlein herauszog, „hatte das Pappenheim’sche Volk, das unsere Stadt brandschatzte. Damals wurden alle Spartöpfe geleert. – Da ist auch ein Stück von einem blau gestärkten Kragen, wie die vom Merode’schen Regiment trugen, deren Obrist mit fünf Soldaten bei unserem Superintendenten Schuckeln einrückte und ihn zur Rede setzte wegen seiner Strafpredigt gegen das zuchtlose Soldatenvolk. Ist aber von Seiner Hochehrwürden niederdisputiret worden. Und sieh! das ist ein Stückchen von einer gelben Feldbinde, wie sie die Evangelischen um die Schultern geschlungen hatten, die mit dem Gustavus Adolphus unsere gute Stadt heimsuchten.“

Der Großvater schaute nachdenklich auf die Lumpen. „Da liegen die feindlichen Farben nun so friedlich bei einander, und die sie einst in bitterem Hader gegen einander trugen, sind längst des Todes verfahren. Der alte Schrammhans, wie sie den zersäbelten Pappenheim nannten, und unser Löwe von Mitternacht an einem Tage. Und über ein Kleines werden ihre Feldbinden weißes Papier und ihre Thaten darauf verzeichnet sein zu Nutz kommender Geschlechter. Das ist Welt.“

„Die Lumpen riechen wie Moder,“ sagte Johanne, „ich graue mich davor.“

„Man darf sich vor keiner Arbeit scheuen,“ rügte der Papiermüller.

„Du sollst Dich nicht damit befassen, Hannchen,“ tönte eine frische Stimme dazwischen, und Hermann sprang in den Hausflur. Es war ein schlanker Bursch, oben aus dem groben Röcklein, unten aus den Stiefeln herausgewachsen; er trug keine Kappe, und das blonde Haar war ihm sonder Kunst über der Stirn und im Nacken mit einem Schnitt gestutzt. Aber wenn Gewandschneider und Haarkräusler ihn im Stich gelassen hatten, so war Mutter Natur desto fürsorglicher gewesen. Sie hatte ihm eine kräftige und doch biegsame Gestalt gegeben, treuherzige blaue Augen, blitzende Zahnreihen, und die dicken Haarwellen auf der freien Stirn ihm ebenso anmuthig geringelt wie den flaumigen Bart um die lächelnden Lippen.

„Hermann, wo hast Du gesteckt?“ fragte ärgerlich Frau Henningin.

Er wurde roth. „Ich habe dem alten Fabian läuten helfen.“

„Immer, wenn man Dich braucht, sitzest Du auf dem Thurm,“ fuhr ihn der Papiermüller an. „Bist Du doch wie an die Glocken gebannt.“

„Es ist meine einzige Freude,“ erwiderte Hermann bescheiden.

„Glockenklang ist mir die lieblichste Musika.“

„Als ob in dieser Welt ein solcher armer Hiob Zeit hätte, einer lieblichen Musika, die gerade nach seinem Gelüst ist, zu lauschen!“ strafte der Papiermüller. „Lies lieber die Lumpen aus.“

Aber da stürmten noch zwei Kinder herein.

„Nein; erst hilft er mir meine Maie ausschmücken,“ bat der achtjährige Bastian. „Schlag zwei Uhr ziehen alle Jungenschulen aus.“ Er drängte ihm eine frische Birke und einen Korb voll purpurner Pfingstrosen und goldgelber Butterblumen mit grünen Herzchen auf, die an die Zweige gebunden werden sollten, und Christel, die zehnjährige Tochter, trug Johannens blau und silbernes Wockenband als Zierrath herbei.

„Ich möchte von ihm das Gebet für den dritten Pfingstfeiertag gelesen haben,“ sagte der Großvater. „Ihr wäret Alle in der Kirche; bei mir thun’s die Füße und die Augen nicht mehr.“ Und er nahm das Gesangbuch von der Kannrücke, wo es seinen Platz hatte neben einem mit Pfauenfedern aufgeputzten Glaskrug, auf dem Doctor Martin Luther abconterfeit war.

„Nein, schläfere das Benjaminlein ein,“ befahl Frau Henningin, „dieweil ich die Speisen anrichte.“ Sie reichte dem schlanken Burschen den Mantel hin.

Hermann sah von Einem zum Anderen, rathlos, wo zuerst zu beginnen sei. Mit einem scheuen Blick streifte er den dargereichten Kindermantel. Da trat Johanne dazwischen. Trotz ihrer feinen Gestalt hatte sie einen festen Schritt; sie hob das nußbraune Köpflein selbstbewußt in die Luft. „Zuerst hilft er mir die Lumpen fortschaffen!“ sprach sie mit einer Entschiedenheit, die man dem kleinen erdbeerrothen Mund nicht zugetraut hätte. „Und wenn ich zum Tanz gehen soll und Ihr könnt nicht mitgehen, so muß Hermann mich hinbringen und heim geleiten, wie es immer gehalten wurde, seitdem Bruder Zacharias gen Frankfurt auf die Wanderschaft gezogen ist.“

„Aber Du sollst ja heute mit dem Brauherrn Fischer gehen,“ klagte die Mutter.

„Ich gehe nicht mit Fischer’s Nicolaus,“ erwiderte schnippisch Johanne.

„Warum nicht?“ fragte der Papiermüller. „Er ist der Sohn des Mannes, der unserer Stadt zu ewigem Ruhm verholfen, dieweil er das Weizenbier erfunden hat, und wandelt würdig in den Fußstapfen seines Vaters weiter.“

Frau Henningin schlug die Hände zusammen. „Und was würde die Muhme Schmidtin sagen, die dem Fischer versprochen hat, Dich ihm als Tänzerin zuzuführen?“

„Sie wird inne werden, daß die Hanne Henningin sich nichts befehlen läßt,“ antwortete Johanne.

„Ich ginge auch nicht mit ihm,“ meinte Christel. „Wenn er Abends vom Bier nach Hause geht, wankt er hin und her, gleich einem Heuwagen, und gestern hat ihn der Vetter Rathsbrunnenmeister wieder nach Hause führen müssen. Gelt, Hanne?“

„Und im Weißebach hat er auch schon gelegen bei unseren Enten,“ lachte Bastian. „Nicht wahr, Hanne?“

Und Benjaminlein, das auf dem Arm der Mutter saß, krähte vergnügt mit, da es seine Geschwister lachen sah, und zauste die Mutter an der gebrannten Spitze, die ihre steif gestärkte schwarzseidene Haube gleich einem Heiligenschein umgab.

Der Papiermüller lächelte, und nickte gewichtig mit dem Kopfe. „Ja, unser braves Weizenbier ist stark. Es war sogar stärker und schlauer als der Pappenheim’sche Obrist mit seinem ganzen Stabe. Es hat ihn so herabgebracht, daß er die Schuldverschreibung der Stadt über zweitausend Thaler, welche er der Bürgerschaft durch gräuliche Drohungen abgepreßt hatte, vergaß und im Gasthof ,zum güldenen Schwanen’ liegen ließ, auf daß ein hochweiser Rath selbige verbrennen konnte. Es ist dem Nicolaus nicht zu verdenken, wenn er seinem Gebräu die gebührende Ehre erweist. Ein Räuschlein hat noch keinem Freier geschadet.“

Aber Johanne hörte nicht. Sie hatte mit Hermann den Lumpenkorb ergriffen und die Thür zu der Mühle geöffnet, um ihr neues Futter zuzutragen. Das Brausen des Baches, der darunter hintoste, verschlang die Worte.

„Armer Junge,“ sagte sie zu ihm, als sie allein in dem Raume waren, da heut die Mühlburschen feierten, „Allen mußt Du dienen, und Niemand dankt es Dir.“

Er sah mit einer fast andächtigen Innigkeit in ihre schimmernden rehbraunen Augen. „Ich habe die Gutthat zu vergelten, welche Deine Eltern an mir übten, da sie mich als armes Waisenkind in ihr Haus nahmen, und Gott weiß, daß ich allezeit mit Freuden thue, was ich Euch an den Augen absehen kann. Am liebsten freilich arbeite ich für Dich,“ schloß er schüchtern.

Sie schüttelte weise das Köpfchen. „Man muß sein Herz nicht allezeit auf der Zunge haben, nicht, wenn es vor Freude hüpft, nicht, wenn es wehleidig schlägt,“ belehrte sie ihren Schützling, der sie um zwei Kopfeslängen überragte. „Du hältst etwas auf mich, weil ich gut gegen Dich bin, nicht leide, daß Du das Benjaminlein wiegst, und Dir von dem weiten Wamms des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 742. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_742.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)