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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

vom Schlachtfelde her tragen (als sie von den Sclavenjägern überfallen wurden und auf Tod und Leben um ihre Freiheit kämpften) und deren Hälse die Schaba wund reibt (eine schwere, nachschleppende Holzgabel, in welche der Hals des Gefangenen gesteckt wird), dann die armen, halbverdursteten und halbverhungerten Weiber mit ihren nackten Kindern, die sich kaum mehr fortschleppen können und durch Peitschenhiebe immer wieder aufgetrieben werden … keine Feder kann diesen Anblick beschreiben, Worte drücken ihn nicht aus. Mir hat er wochenlang wie ein grausiges Bild des Schreckens und Entsetzens vor der Seele gestanden.“[1]

So Brehm, und wir citiren aus Rücksicht für den weiblichen Leserkreis dieser Blätter noch nicht einmal die entsetzlichsten und abscheulichsten Stellen seiner Schilderung.

Im Ganzen bestehen diese haarsträubenden, grausigen Zustände noch heute, nur wird die Sache seit den letzten Decennien heimlicher betrieben, und die Sclavenjäger und ihre Helfershelfer sind mehr auf ihrer Hut und wagen sich nicht mehr über Dongola und Wadi-Halfa (also über den zweiten Katarakt) hinaus, wo alsdann der bis dahin öffentlich betriebene Handel zum Schmuggelhandel wird. Kartum ist nach wie vor der Centralpunkt dafür und der Weg des Klägers in Kartum bis zum Richter in Kairo ist weit.

Denn das darf man zur Steuer der Wahrheit und zugleich zur Ehre der ägyptischen Regierung, besonders seit dem Regierungsantritt des Exkhediv Ismaïl (im Jahre 1863) nicht verschweigen, daß von jener Zeit an wenigstens die öffentlichen Sclavenmärkte in Unter- und Mittelägypten, speciell in Kairo, aufgehoben sind, und daß man sogar gegen diejenigen Händler, die nicht vorsichtig genug waren und zu viel Lärm von ihrem Geschäft machten, polizeilich einschritt und ihnen ihre „Waare“ confiscirte, allerdings nicht, um die Unglücklichen in Freiheit zu setzen, sondern nur um die männlichen Sclaven in die Armee einzureihen und die weiblichen „anderweitig“ unterzubringen.

Auch auf den berüchtigten jährlichen Messen zu Tanta im Delta, wohin Hunderttausende strömen, wurde der sonst auf freien Plätzen vor der Stadt abgehaltene Sclavenmarkt verboten, aber in besonderen Zelten, für deren Besuch man ein kleines Eintrittsgeld erhob, fortgesetzt. Auch streute man der Regierung Sand in die Augen durch Errichtung von sogenannten Gesindebureaux, wo man pro forma die betreffenden Personen miethete, aber de facto kaufte, und es fanden sich stets gewissenlose Beamte, die diesem Unwesen gegen gute Bestechung durch die Finger sahen.

Thatsächlich ist also von Seiten der ägyptischen Regierung bis jetzt so gut wie nichts geschehen, um dem verruchten Gewerbe ein Ende zu machen, denn auch die verschiedenen, mit lauter Reclame und großen Kosten von ihr in’s Werk gesetzten militärischen Expeditionen nach dem Süden haben keine irgendwie greifbare Frucht getragen.

Alles, was man darüber in europäischen Zeitungen ab und zu veröffentlichte, beruht entweder geradezu auf Unwahrheit, oder doch auf starker Uebertreibung und Schwindel. Wie wäre es auch anders möglich, wo der Landesherr selbst (obwohl der Khediv Tewfik „bis jetzt“ nur eine legitime Gattin hat) für seinen Harem und Hofhalt Sclaven, Sclavinnen und Eunuchen in Menge besitzt, und wo alle Paschas und überhaupt alle diejenigen, die nur das Geld dazu aufwenden können, diesem Beispiel folgen?

Von oben her und aus eigenem Antrieb ist mithin für diese große Sache der Humanität nichts zu erwarten, aber in einem ganz anderen Lichte erscheint sie, wenn die Engländer sich derselben thatkräftig annehmen. Sind sie jetzt wirklich die Herren im Nillande, und das sind sie, denn sie gebieten nach allen Richtungen hin, haben an der Spitze sämmtlicher Verwaltungszweige die Ihrigen eingesetzt, sie überwachen, leiten und controlliren Alles und halten dabei die Hand an den Degen, um jedweder Maßregel den gebührenden Nachdruck zu verleihen – dann tritt auch die moralische Nöthigung ernst und gebieterisch an sie heran, nicht auf halbem Wege stehen zu bleiben und es nicht, wie es die ägyptische Regierung bisher immer gethan, bei schönen Worten und Verheißungen und unbedeutenden Palliativmitteln bewenden zu lassen, sondern das Uebel bei der Wurzel zu fassen und mit Stumpf und Stiel auszurotten. Das hieße ihrer civilisatorischen Mission die leuchtende Krone aufsetzen, und die ungetheilten Sympathien des christlichen Europas würden sie darin nicht allein stützen und ermuthigen, sondern ihnen auch da zu Theil werden, wo sich jetzt noch politische Bedenken erheben wegen ihres Auftretens in Aegypten, das (wir verhehlen dies nicht) auf eine gänzliche Annexion hinweist. Um diesen Preis, für den uns im Interesse der Humanität nichts zu hoch dünkt, aber auch nur um diesen, mag dann früher oder später das Nilland gern vollständig englisch werden!

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Leider sind diese erfreulichen Aussichten, so weit sie wenigstens die sofortige friedliche Entwickelung der politischen und socialen Verhältnisse in Aegypten betreffen, in jüngster Zeit wieder sehr in die Ferne gerückt und vielleicht für die nächste Zukunft ganz in Frage gestellt. Der Mahdi (der falsche Prophet), der schon vor drei oder vier Jahren sein abenteuerliches Treiben im östlichen Sudan und in Dar-fur begann, das die ägyptische Regierung damals mit gewohnter orientalischer Lässigkeit unterschätzte, ist nämlich mit seinen Anhängern, die nach vielen Tausenden, ja, wie Manche behaupten, nach Hunderttausenden zählen, zu einer solchen Macht angewachsen, daß er jetzt das Nilland selbst bedroht und das eigentliche Aegypten durch seinen bloßen Namen in Schrecken setzt.

Nach der kürzlich erfolgten Niederlage der englisch-ägyptischen Truppen unter Hicks Pascha, die natürlich auch den Lesern dieses Blattes in ihren Einzelnheiten, so weit dieselben bis jetzt nach Europa gelangten, bekannt ist, scheinen die Actien des Mahdi augenblicklich sehr günstig zu stehen, aber man darf der Bewegung auch keine allzu große oder gar phantastische Tragweite zuschreiben und namentlich nicht schon jetzt für Kairo und Unterägypten fürchten, wie in manchen Zeitungen von Unkundigen versichert wird.[2] In gerader Linie beträgt die Entfernung von jenem Kriegsschauplatze bis Kairo wenigstens die doppelte Länge von ganz Italien, und wegen der Krümmungen des Nils (denn nur an diesem hinab wäre ein Vormarsch überhaupt denkbar) wenigstens das Vierfache; vor der Hand ist also höchstens Kartum in Gefahr, denn Obeïd, die Hauptstadt Kordofans, wird wohl schon gefallen sein.

Kartum ist die südliche Grenz- und zugleich Hauptstadt Nubiens, die mit Massaua, an der diesseitigen Küste des Rothen Meeres, ungefähr auf demselben Breitengrade liegt und durch gute Karawanenstraßen mit ihr verbunden ist. Dort (das heißt zunächst in Kartum und eventuell auch in Massaua) könnte es möglicher Weise bald zu einem neuen Zusammenstoß kommen, schon weil Massaua der ewige Zankapfel zwischen Abessinien und Aegypten ist und die Abessinier deshalb mit dem Mahdi gemeinsame Sache machen dürften, wie es theilweise ja schon geschehen ist.

Die Hauptstütze hat der Mahdi bis jetzt nur in Dar-fur gefunden, jener großen Länderstrecke zwischen Wadai und Kordofan, deren Bevölkerung von jeher das aufgezwungene ägyptische Joch mit Widerwillen getragen. Jetzt rächen sich die unklugen Annexionsgelüste des Ex-Khediv Ismaïl in schrecklicher Weise, ähnlich wie die unselige Expedition nach Abessinien im Jahre 1876.

Eine weitere Hauptstütze des falschen Propheten ist mittlerweile ganz in Rauch aufgegangen, nämlich Arabi Pascha, von dem jetzt längst erwiesen ist, daß er ein Zusammengehen mit dem Mahdi im Sinne hatte. Wäre Arabi’s Revolutionsplan gelungen, so hätte alsdann diese Doppelbewegung im Norden und Süden für Aegypten wohl verhängnißvoll werden können; nach seiner Vernichtung indeß ist die eigentliche Gefahr, speciell für Mittel- und Unterägypten, verschwunden oder doch dergestalt verringert, daß man ihr jedenfalls, freilich nach hart bezahltem Lehrgeld, mit Erfolg wird begegnen können.

Das englische Element ist gleichfalls ein günstiger Hebel für die Unternehmungen des Mahdi, und zwar deswegen, weil es überall verhaßt ist, und dieser Haß führt dem Agitator, der wohlweislich das beliebte geflügelte Wort „Aegypten für die Aegypter“


  1. „Reiseskizzen aus Nordost-Afrika“ (Aegypten, Nubien, Kordofan etc.) von Dr. Alfred Brehm, ein umfang- und lehrreiches und zugleich sehr unterhaltendes dreibändiges Werk, das kaum noch antiquarisch zu haben ist und das wohl eine neue Auflage verdiente. Es ist eine wahre Fundgrube für die nähere Kenntniß jener Länder, und fast alle neueren Schriftsteller (ich selbst, woraus ich gar kein Hehl mache) haben mehr oder weniger daraus geschöpft.
  2. Ein namhaftes rheinisches Blatt sprach sogar schon, und das ganz ernsthaft, von einem nahe bevorstehendem Angriffe des Mahdi auf das Nildelta!
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 831. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_831.jpg&oldid=- (Version vom 28.1.2024)