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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

später, meldet sie: „Radowitz ist hier eingetroffen, der König von Preußen sendet ihn, bei Klemens sich Rath zu erholen, um kräftig einzugreifen.“ Da kam der König von Preußen an den richtigen Mann und vor die rechte Schmiede, wahrhaftig! „Es gilt zu retten, wenn es überhaupt noch möglich.“ Merkst Du was? „Das arme Deutschland steht bereits in Feuer und Flammen.“ Hm, wir haben den Brand mitangesehen und können bezeugen, daß das Feuer ein ungefährliches Strohfeuer und die Flammen sehr zahm gewesen. „Am 7. März erfuhren wir, daß Aufstände in Frankfurt (?), Karlsruhe (?) und Stuttgart (?) stattgefunden haben, man wolle den deutschen Bund auflösen, die Könige fortjagen; überall Aufwallung und Tollheit.“ Wenn diese Phantasiegebilde der Frau Fürstin Wirklichkeiten gewesen wären, warum griff denn der große Stabilitätstheoretiker und Absolutismuspraktiker Metternich nicht „kräftig“ ein? Weil er froh sein mußte, daß die erwähnte „Hydra“, welche sich gar bald leibhaftig in Wien sehen ließ, mit ihren Tatzen nur nach seiner Ministerschaft und nicht nach seinem Kopfe griff.

Wie es bei dem wiener Märzkrach zu- und herging, weiß jedermann. Neues von Wichtigkeit weiß auch die Fürstin Melanie über die Vorgänge jener Tage nicht beizutragen. Dagegen dies und das, wodurch das eine oder andere in hellere Beleuchtung gerückt wird. Mitunter auch Komisches, obzwar dasselbe für die Tagebuchschreiberin selbst keineswegs komisch war. So, wenn am Abend vom 12. März in den Salons der Staatskanzlei in großer Gesellschaft eine Dame, „die nicht immer verstand, was sie sprach“, die Frau Felicie Esterhazy, zur Fürstin Metternich sagte: „Ist es denn wahr, daß ihr morgen weggeht?“ – „Warum?“ – „Nun, man sagt uns, wir sollen Kerzen kaufen, um morgen zu illuminiren, weil ein großes Ereigniß stattfinden wird“ .... Das „große Ereigniß“, der Sturz Metternichs, fand wirklich am Abend des folgenden Tages statt und die zutrauliche Frau Felicie Esterhazy konnte ihre Kerzen anzünden. Es war in der elften Abendstunde vom 13. März, als in der Hofburg Metternich seine Haus-, Hof- und Staatskanzlerschaft in die Hände des geängstigten und rathlosen Erzherzogs Ludwig niederlegte, und er vollzog, wie man zugeben muß, wenn man gerecht sein will, diesen Akt nicht ohne Würde.

Mit begreiflicher Bitterkeit hat sich seine Gemahlin so darüber ausgelassen: „Klemens hat seine Demission gegeben. Als der Erzherzog Ludwig die von Seite der Studenten, Professoren, der Bürgerschaft und Gott weiß von wem noch in rohester Weise vorgebrachten Forderungen angehört hatte und bei den in sein Vorgemach eingedrungenen Leuten die drohende Haltung der einen, die furchtbare Angst der anderen wahrnahm, brachte er es über sich, dem Manne, welcher nahezu fünfzig Jahre hindurch die festeste Stütze der Monarchie gewesen, zu sagen, es seien Anzeichen vorhanden, welche darauf hindeuteten, daß die Sicherheit der Residenz von seiner Abdankung abhänge.“ Hierauf berichtet sie – in den Einzelnheiten geschichtlich nicht ganz genau und korrekt – den Abdankungsakt und fügt hinzu: „Ich kann gar nicht sagen, was ich an diesem Tage an Undank und Schlechtigkeit erfuhr. Ich habe nie viel von den Menschen gehalten, aber ich gestehe, daß ich mir sie nicht so niedrig vorgestellt hatte. Wie die Ratten ein untergehendes Schiff verlassen, wurden wir von vielen beängstigten Freunden geflohen. Wie schmolz die Zahl der Treugebliebenen zusammen gegenüber der Menge, die im Momente der Gefahr uns den Rücken kehrte!“ Und darüber verwundert sich die Frau Fürstin! Hatte ich nicht recht, von ihrer Naivetät zu sprechen?

Metternich schob natürlich die Schuld des Märzkraches anderen zu. „Gott sei Dank,“ sagte er zu seiner Frau, „daß ich mit alledem, was vorgeht, nichts mehr zu thun habe. Der Umsturz des Bestehenden ist unausweichlich“ – (also jetzt kam ihm diese Einsicht?) - „ich hätte nichts verhindern können, weil ich allein stehe und von niemand unterstützt werde.“ Am Tage darauf, am 14. März, schrieb er an den König von Preußen: „Ich habe mich vom Geschäftsleben in der festen Ueberzeugung zurückgezogen, daß ich dem Kampfe, den ich redlich auf dem socialen Felde bestanden habe, nicht ferner gewachsen sei.“ Das hätte er schon lange vorher merken können. In demselben Schreiben äußert er seine „lebendigsten Wünsche für das Wohl des gemeinsamen deutschen Vaterlandes“. Wie? Man traut fürwahr seinen Augen kaum. Dieser Mann, der sein Lebenlang ein Feind des deutschen Vaterlandes und dem Deutschland nur ein „geographischer Begriff“ gewesen war, er, welcher sich 1814-15 mit Talleyrand, Wellington und Castlereagh gegen Deutschland verschworen und verbündet, in Gemeinschaft mit dem Zaren Alexander die Zurücknahme des Elsaßes verhindert, die elende Mißgeburt des deutschen Bundes in erster Linie mitverschuldet, dann die nationale Einheitsidee wie ein Verbrechen verfolgt und alles gethan hatte, um jeden Versuch zur Verwirklichung derselben im Keime zu ersticken, – dieser Mensch erdreistete sich jetzt, vom gemeinsamen deutschen Vaterland zu reden oder zu schreiben! Da kann man wahrlich sagen: „Literae non erubescunt.“[1]

Ueber die Flucht Metternichs und seiner Familie, worüber so viele Fabeln umgingen, sind wir jetzt wohl endgiltig unterrichtet. „Klemens fand sich bestimmt,“ erzählt die Fürstin, „die Staatskanzlei zu verlassen, um niemandem unbequem zu sein. Wir gingen zu Taaffe. Unsere Kinder schickten wir zu Helene Esterhazy. Hügel und Josika verhalfen uns, zu unsern Nachbarn über die Bastei zu kommen. Vom kaiserlichen Hof erfuhren wir nichts; nur die regierende Kaiserin schrieb an Klemens mit der Anfrage, ob Kaiser Ferdinand abdanken sollte.“ Aber dem gestürzten Allmächtigen von vorgestern drängte sich alsbald die Wahrnehmung auf, daß gar vielen Leuten seine Anwesenheit in Wien „unbequem“ wäre. „Bei Taaffe sagte man uns, daß die Rädelsführer Klemens in der Stadt aufsuchten. Die Lage begann für die gastfreundlichen Taaffe so unheimlich zu werden, unsere Verlassenheit war so allgemein, daß wir daran denken mußten, uns von Wien zu entfernen.“ Der Fürst Liechtenstein stellte dem abgetretenen Staatskanzler sein Schloß Feldsberg, etwa 8 Wegstunden von Wien entfernt, zur Verfügung. „Karl Hügel und der gute Rechberg“ - (der nachmalige Minister) - „der doch niemals von uns besonders begünstigt worden war, standen uns beide gleich muthvoll und treu zur Seite. Hügel blieb bei uns und traf alle möglichen Vorsichtsmaßregeln, Rechberg blieb bei den Kindern. Nachdem wir bei Taaffe gespeist, fuhren wir in einem Fiaker fort. Hügel und ich saßen an den Wagenthüren, Klemens in der Mitte. Wir wurden nicht einen Augenblick aufgehalten, obgleich man mit der größten Aufmerksamkeit die im Wagen Sitzenden beobachtete und man uns vielleicht erkannt hatte.“ (Die „Hydra“ führte sich also ganz manierlich auf.) „Wir kamen glücklich in die Jägerzeile, wo wir bei Karl Liechtenstein ausstiegen. Man gab uns einen Wagen, und so fuhr ich und Klemens fort. Hügel auf dem Kutschbock, während meine Kinder unter dem Schutze Rechbergs die Eisenbahn benützten. Welch ein Augenblick! Diese Abreise, diese Flucht, und warum? Was hatten wir gethan? Hatten wir das verdient?“ Hätten Sie, Frau Fürstin, die Kerkerwände vom Spielberg, von Kufstein, von Munkacz, von Venedig, von Mantua um Antwort angegangen, die hätten sie Ihnen geben können. Und aber diese Anfrage war nicht einmal nöthig. Die Frau Fürstin brauchte ja nur den Schrei des Frohlockens zu beachten, welcher bei der Nachricht von Metternichs Sturz durch Deutschland, durch die ganze civilisirte Welt ging, um zu erfahren, „was wir gethan hatten“.

Der gestürzte Minister hat in einer „Autobiographischen Denkschrift“ (Nachgel. Papiere, VII, II, 617 fg.) über seinen „Rücktritt“ Aufklärungen gegeben, welche diesen Rücktritt und seine Laufbahn überhaupt im allerschönsten Licht erscheinen lassen sollen. Wir haben uns mit dieser Apologie hier nicht zu beschäftigen und erwähnen derselben nur, weil sie eine den Fluchtbericht der Fürstin

vervollständigende Notiz enthält. Sie lautet: „Nach einem mehrtägigen Aufenthalt in Feldsberg habe ich die Fahrt mit dem Bahnzng über Olmütz nach Prag und auf der Poststraße über Teplitz nach Dresden fortgesetzt. Von Dresden habe ich mich auf der Eisenbahn in bequemen Tagreisen über Hannover nach Minden und von dort mittelst der Post nach Arnheim in Holland begeben. Nach einem achttägigen Aufenthalt daselbst habe ich die Reise über Amsterdam und den Haag nach London fortgesetzt.“ Hier konnte er sich mit dem in Weiberkleidern aus Paris entflohenen Guizot über die Vergänglichkeit der menschlichen Dinge im allgemeinen und über die „großer“ Staatsmännerschaften im besonderen unterhalten. Auch über diese Konversationen der beiden Propheten des Konservativismus wird wohl kein Protokoll

  1. „Die Buchstaben erröthen nicht.“ D. Red.     
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_027.jpg&oldid=- (Version vom 25.5.2020)