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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


aufgenommen worden sein. Aber man wird schwerlich fehlgehen mit der Vermuthung, die beiden Herren seien zu dem Schlusse gelangt, die ganze Welt müßte verrückt geworden sein und sie allein wären noch bei Verstand.

Leider befällt uns, wir können es nicht verhehlen, ein starker Zweifel an dem Bei-Verstand-Sein der Beiden, wenn wir die selbstgerechten „Mémoires“ Guizots und die selbstgefälligen Aufzeichnungen Metternichs aus seinen letzten Jahren in Betracht ziehen. Größenwahn hüben und drüben. Im Orakelton werden uns da die banalsten Sätze vorgesprochen, wahre Bettelmannssprüche. Der weiland Haus-, Hof- und Staatskanzler hat zuletzt auch noch eine staunenswerthe Entdeckung gemacht (a. a. O. 628): – „Das sogenannte metternich’sche System war kein System, sondern eine Weltordnung.“ Das Wort ist großgedruckt. Nun, wenn das eine Weltordnung gewesen, so war sie, fromm zu sprechen, jedenfalls nicht von Gott, sondern vom Teufel.




Ditta’s Zopf.

Eine Dorfgeschichte aus den Abruzzen.0 Von Rosenthal-Bonin.
(Schluß.)


Als Ditta das Städtchen hinter sich hatte, schien sie sehr viel Zeit übrig zu haben, denn sie ließ ihren Esel langsam Schritt für Schritt gehen, wie er Lust hatte, und schaute so behaglich auf den gelbblühenden Ginster, welcher die Straße einfaßte, als ob sie die Millionen Blüthen zählen wollte. So gelangte sie denn, als es schon Mittagszeit war, im Dorfe an. Statt mit Vorwürfen wegen ihres langen Ausbleibens trat ihr die Mutter jetzt mit einer Freundlichkeit entgegen, die so auffällig war, daß Ditta dies trotz der großen Zerstreuung, in der sie sich befand, wahrnahm und davon beunruhigt wurde. Sie kannte ihre Mutter und deren hartnäckige Pläne, sie zu verheirathem und schöpfte Verdacht. Gestern, das fiel ihr jetzt ein, war Pieteranton dagewesen, lange Zeit, wie sie erfahren. Da wird etwas im Schilde geführt, dachte sie, und als der Abend einbrach, nahm Ditta plötzlich, ohne irgend ein Wort weiter zu äußern, wie das ihre Art war, ihre Lagerstatt, die sich in der großen Küchenstube bei ihrer Mutter befand, und brachte das Bett in eine kleine Vorrathskammer, welche ein vergittertes Fenster und eine schwere Eisenthür hatte.

Die Alte sah bei diesem Thun ganz entsetzt auf ihre Tochter. „Sollte diese gehorcht haben?“ stieg die Befürchtung in ihr auf. Das war aber unmöglich, sagte sie sich, denn Ditta war ja, das wußte sie genau, fast während der ganzen Unterredung mit Pieteranton gestern in der Kirche gewesen, wo sie dieselbe am Abend noch traf. „Es wird wieder eine Laune von ihr sein,“ suchte sich die Alte zu beruhigen, „und ich kann das Thürschloß verderben, ehe sie schlafen geht – der Pieteranton soll seinen Willen haben.“ Und zu diesem Ergebniß in ihrem Denken gelangt, suchte auch sie ihr Lager auf, nachdem die Tochter in ihre Kammer verschwunden war.

Dennoch aber ließ ihr, als sie allein war, das Benehmen Ditta’s keine Ruhe. Sie fürchtete, daß das Mädchen plötzlich durch die Flucht nach Rom ihrer Macht sich entziehen könnte – es ergriff sie eine fieberhafte Hast, die Heirath mit Pietro zum Abschluß zu bringen – „der nächste Tag ist voll schwerer Arbeit – solche giebt es im Frühjahr selten – wer weiß, wann sich eine bessere Gelegenheit bietet? – Ditta wird sehr ermüdet sein und fest schlafen“ – so arbeitete es während der schlaflosen Nacht im Gehirn der Alten weiter, und schnell entschlossen sandte sie in aller Frühe schon einen Boten an Pieteranton, und als der Abend kam, steckte sie einen Kiesel in das Thürschloß.

*      *      *

Die Nacht brach herein und Ditta zog sich in die Kammer zurück, sie wollte die Thür verschließen, es ging aber nicht. Das Mädchen versuchte es noch einige Male, dann hörte sie auf zu probiren, holte tief Athem und stand einen Moment bebend da. Plötzlich legte sie sich angekleidet auf das Bett und verlöschte die Lampe. Sie lag so wohl eine Stunde, dann erhob sie sich, schlich leise hinaus zum Eselstall, nahm ein großes Holzfällerbeil, das dort stand, und eilte geräuschlos in ihre Kammer zurück.

Es war eine helle Mondnacht. Das bläuliche Licht floß um die Zacken der Felsen, machte die grünen dunstbedeckten Felder in der Tiefe zu einem geheimnißvoll, leis wogenden Meere und umhüllte die Oliven mit zauberhaften Silberschleiern.

Ditta lag auf dem Bette, die Augen weit geöffnet. Sie hielt den Athem an und lauschte. Jetzt hörte sie ein Flüstern, dann leise Tritte im Hofe, am Hause. Ihre Kammer war dunkel, nur durch das vergitterte Fenster fiel ein heller Lichtstreif auf die Steinfließen des Bodens und zeichnete dort tief schwarz die Gitterstäbe ab. Ditta erhob sich leise von ihrem Lager und stellte sich in den tiefsten Schatten der Kammer. Es blieb alles still wohl eine Stunde lang, deren Minuten Ditta zu einer peinvollen Ewigkeit wurden.

Plötzlich zeigte sich draußen ein schwacher Lichtschein, er fiel jetzt durch die Spalte der unverschlossenen Thür, diese ging leise auf und – ihre Mutter, eine Lampe tragend, gefolgt von Pieteranton, der eine große Rebenscheere in der Hand hielt, kamen leise in die Kammer. Da trat plötzlich Ditta aus der Ecke, die Axt hoch erhoben.

„Komm her, Feigling, und wag es!“ rief sie dem jungen Manne zu, der blaß wie ein Leintuch dastand und vor Schreck und Ueberraschung keines Wortes, keiner Bewegung mächtig war.

Er sah auf das bleiche Mädchen, deren Augen unheimlich leuchteten, er blickte auf das erhobene Beil in ihren nervigen Armen und zog sich rückwärts gehend wortlos, langsam zurück, gefolgt von der Mutter, die zitterte, daß ihr die Glieder schlotterten und man die Zähne zusammenschlagen hörte. Dann ward alles draußen still, ganz still.

*      *      *

Ditta verbrachte die Nacht auf dem Bette sitzend, die Augen weit offen, den schönen Kopf an die rohe, kalte Steinmauer gelehnt. Am nächsten Morgen bereitete sie nicht das Frühmahl, sie grüßte ihre Mutter nicht, bleich war ihr Gesicht und ihr Mund fester geschlossen als sonst. Sie wusch sich und flocht besonders sorgfältig ihr Haar; dann zog sie das Maulthier aus dem Stall, schirrte es an, belud es jedoch zum großen Staunen ihrer Mutter nicht, sondern schwang sich darauf und ritt den Felsweg nach Palene hinunter.

Der Esel trabte schnell und lustig. Da es jedoch noch sehr früh war, stieg das Mädchen bald ab, ließ das Maulthier grasen und legte sich in’s Grün. So ruhte sie, den Kopf auf die Hand gestützt, und die großen Augen schweiften in die Ferne. Ihr starres Gesicht ward allmählich heiter, ein Lächeln flog jetzt über ihre Züge, und sie sah nun fröhlich, sogar glücklich aus. Sie lachte plötzlich wie von einem angenehmen Einfall belustigt – dann erhob sie sich, rief den Esel, der seine Freiheit ausgiebig benutzt hatte, und setzte ihren Weg weiter fort.

Nach kaum einer halben Stunde hielt das Mädchen wieder vor Herrn Lugeno’s schon geöffnetem Laden.

„Ah, Signorina, heute schon so früh!“ begrüßte sie Herr Lugeno, und auf den unbeladenen Esel schauend, fuhr er fort: „Sie wollen gewiß Ihre Zwiebeln wieder haben? Mutter Ceprano wird –“

„Ich komme nicht deshalb, Herr Ernano,“ unterbrach ihn Ditta, eigenthümlich lächelnd. „Ich bitte Sie heute um Ihren Dienst als Barbier – Sie frisiren ja und schneiden die Haare. Ich bitte Sie, mir das Haar abzuschneiden.“

„Was, Fräulein?“ rief entsetzt Herr Lugeno. „Ihre schönen Haare? Nein, es ist nicht Ihr Ernst – das bring’ ich auch nicht über’s Herz!“

„Sind Sie ein Barbier, Don Ernano?“ frug jetzt Ditta mit dem Ernst und der Festigkeit, die ihr eigen waren.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_028.jpg&oldid=- (Version vom 30.10.2022)