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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Blätter und Blüthen.


Litthauische Schlittenfahrt. (Mit Illustration auf Seite 32 u. 33.) Der Carnevalsschalk hat seine Macht über alle Länder und Völker ausgebreitet und wußte sich dabei genau den verschiedenartigsten Sitten und Verhältnissen anzupassen. In den weiten Ebenen Polens und Litthauens bewegt er sich freier und tobt mit mehr Ungestüm als in den engen Gassen der Großstädte oder in den Thälern der Gebirgsländer. Seit alter Zeit herrscht im Osten eine eigenthümliche Carnevalssitte, bekannt unter dem Namen „Kulig“.

Wenn die Schlittenbahn zur Fahrt einladet, erscheint in einem Gutshofe unerwartet eine costümirte oder auch maskirte Gesellschaft. Es sind Carnevalsgäste, die gastfreundlich empfangen und bewirthet werden. Nach kurzem Verweilen rüsten sie sich zur Abfahrt und nehmen ihre bisherigen Gastwirthe mit, um in ähnlicher Weise einen benachbarten Gutsbesitzer zu überraschen. So wächst der Zug zu einer langen Schlittenreihe an, und die lauten, fröhlichen Fahrten dauern oft einige Tage lang, bis das letzte der in Aussicht genommenen Dörfer erreicht ist und der nahende Aschermittwoch zur Heimkehr mahnt. Wie alle volksthümlichen Gebräuche, wird in unserer Alles nivellirenden Zeit auch der Kulig immer seltener.

Eine solche costümirte Schlittenfahrt führt das lebensvolle Bild des talentvollen Malers A. W. Kowalski unseren Lesern vor, in welchem der Charakter von Land und Leuten auf das Trefflichste wiedergegeben ist.


Die Abschaffung eines Folterinstruments. Castairs, der Caplan Wilhelm’s III., nachmaligen Königs von England, hatte bereits unter der Regierung der Stuarts außerordentlich für denselben agitirt und war deshalb gefänglich eingezogen worden. Da es nicht gelang, ihn gutwillig zum Bekenntnisse seiner Verbindung mit dem Oranier zu bringen, wandte man die Daumschrauben an, was jedoch ebenfalls keinen Erfolg hatte. Als Wilhelm auf den Thron gelangt war, schenkte die Stadt Edinburgh, wo man den Caplan zur Zeit peinlich verhört hatte, dem standhaften Geistlichen die Instrumente. Der König erfuhr das und ersuchte Castairs, ihm die Daumschrauben zu zeigen. Er steckte alsdann in dieselben seine Finger mit dem Befehle, die Kurbel anzudrehen. Der Caplan that das anfangs sehr vorsichtig, doch der Monarch gebot: „Fester!“ Castairs gehorchte, und Wilhelm schrie plötzlich laut auf vor Schmerz. Alsbald gab ihn der Geistliche frei. „Wahrlich, Du bist ein Held, Castairs!“ rief der Monarch. „Hätte man mich derartig inquirirt, so würde ich Alles, was man gewollt, ausgesagt haben.“

Von da an durften unter seiner Regierung keine Daumschrauben mehr benutzt werden.L. M.     


Ein Käfer als Hausthier. Wenige Kerbthiere erweisen sich bekanntlich so nützlich, daß der Mensch sie in seine Obhut genommen hat, sie gleichsam als Hausthiere pflegt und züchtet; so eigentlich nur die Honigbiene, Seidenraupe, Cochenille und zuletzt auch der Mehlkäfer (Tenebrio molitor), dessen Larven die Nachtigall, die gefiederte Sängerkönigin, ebenso gerne als Leckerbissen verzehrt, wie unsere Primadonnen für Austern schwärmen.

Dieser allbekannte schwarze Käfer von etwa 13 bis 14 Millimeter Länge ernährt sich, seinem Namen entsprechend, vorzugsweise von mehlhaltigen Stoffen, obwohl er auch mancherlei andere, so namentlich Fleisch, verzehrt. Er führt eine nächtliche Lebensweise und schwirrt in der Dunkelheit, nach Nahrung oder einem Ort zum Eierablegen suchend, umher. Die aus den letzteren schlüpfenden Larven, welche bis 28 Millimeter lang werden, walzenförmig und glänzend gelb sind, einen kleinen harten Kopf und drei Paar Füße haben, nennt man Mehlwürmer, und sie werden nicht allein in Mühlen, Bäckereien etc. eingesammelt, sondern auch massenhaft gezüchtet, da man mit ihnen die gefiederten Sänger, die im Käfig gefangen gehalten werden, zu füttern pflegt, ja unter Umständen füttern muß.

Mehlwurm u. Mehlkäfer.

In einem geräumigen, mehr breiten als tiefen, innen glasirten Topfe oder einem entsprechenden mit Blech ausgeschlagenen Kasten wird am günstigsten in der Zeit vom April bis Ende Juni die Mehlwurmhecke eingerichtet, indem man den Raum bis etwas über die Hälfte mit gut ausgetrockneter Weizenkleie füllt, auf diese hartgetrocknete Brodkanten und darüber wollene, mit Weizenmehl schwach bestäubte Lappen, Tuchflicken u. dergl. packt. Hierauf schüttet man in den Topf eine Hand voll Mehlkäfer als Zuchtthiere oder in Ermangelung derselben große Mehlwürmer hinein. Man läßt nun den Topf einige Monate lang unberührt stehen, und in dieser Zeit setzen die Käfer ihre Brut in den wollenen Lappen ab. Zur Fütterung und Tränkung für die Käfer und dann auch für die heranwachsenden Mehlwürmer giebt man täglich nur zerriebene Gelbrüben oder Möhren auf einer Lage von mehreren Blättern Löschpapier, welches mit einer Stricknadel mehrfach durchstochen ist und auf einem Brettchen oder Bleche an eine Seite gelegt wird.

Sorgsamkeit und Reinlichkeit ist auch für die Verpflegung dieses Hausthierchens nothwendig, und man soll nicht glauben, daß dasselbe, wenn der Inhalt des Topfes faul wird oder zu schimmeln beginnt, gut gedeihe. Dringend gewarnt sei daher auch vor der Fütterung mit todten Vögeln oder anderm Fleische. Die faulenden Stoffe schaden zwar den Würmern selbst nicht. Da aber die Vögel bekanntlich auch den Darminhalt der Würmer mit verzehren, so können die in demselben vorhandenen fauligen Stoffe leicht eine vergiftende Wirkung ausüben. So bietet der Mehlwurmstopf, im warmen Zimmer unter einem Spinde oder dem Sopha stehend, nicht allein willkommene Nahrung für die gefiederten Lieblinge, sondern auch eine Quelle für erhebliche Nebeneinnahmen, da das Kilo Mehlwürmer überall für sechs Mark und darüber Abnehmer findet. In der Häuslichkeit aber birgt die Mehlwurmshecke, namentlich wenn viele Töpfe oder Kasten vorhanden sind, auch eine ernste Gefahr. Wenn irgend etwas darin fault oder stockt, so ist die Ausdünstung für die menschliche Gesundheit bedrohlich.

Fast ebenso schlimm aber kann die Mehlwurmshecke auch noch in einem anderen Falle werden. „Wehe, wenn sie losgelassen!“ – die Plage nämlich, welche, aus dem Mehlwurmstopf herstammend, wohl die ganze Wohnung mit Ungeziefer überschütten kann. Motten, Milben, Speckkäfer und dergl. entwickeln sich massenhaft darin, wenn man es nicht sorgsam verhindert. Die Mehlwurmhecke muß daher einerseits wohl verwahrt sein, während sie andererseits aber auch keinenfalls luftdicht verschlossen werden darf. Darum verbindet man den Mehlwurmstopf oder Kasten entweder mit einem festen Stück Gaze oder schließt ihn besser mit einem Deckel aus Metallgaze, durch welche die Luft hineindringen kann, die Käfer und Larven aber nicht hinaus können. Dr. Karl Ruß.     


Auskunft über Vermißte. Wir haben in dem Jahrgange 1883 der „Gartenlaube“ drei Listen mit einer Anzahl von 76 Vermißten abdrucken lassen. Aus den Zuschriften, welche uns in Folge derselben aus Nah und Fern zukamen, können wir Nachstehendes öffentlich mittheilen, während Anderes nur an die betreffenden Familien zu richten war.

Ueber Franz Klug (Nr. 36, 47) ist uns aus St. Gallen eine Spur zu weiterer Nachforschung angezeigt worden.

Ueber Leopold Gottlieb Kirsch (1882, Nr. 42, 84) ist Herr Buchhändler Jacob Block zu Gnadenfeld (Post Halbstadt, Gouvernement Taurien in Süd-Rußlands) im Stande, nähere Auskunft zu ertheilen. Da der Anmeldebrief der Angehörigen nicht mehr in unseren Händen, so bitten wir sie, sich direct an die angegebene Adresse zu wenden.

Aus Buenos Ayres wird uns geschrieben, daß man dort Hugo Engel (Nr. 28, 15) gefunden zu haben glaube. Wir erwarten weitere Nachricht durch Herrn Carlos Jabernig.

Der Buchdrucker Franz Jaksch (Nr. 36, 42) ist gefunden.

Dem Maschinenschlosser Joseph Müller (Nr. 28, 28) ist in Odessa durch die „Gartenlaube“ nach zehn Jahren wieder das erste Lebenszeichen von seinem Vater zugegangen, von dem er in dieser langen Zeit trotz aller Briefe keine Nachricht habe erlangen können. Er ist in der mechanischen Werkstätte von Gustav Bernek, Meisterkajastraße 44 in Odessa beschäftigt, glücklicher Gatte und Vater von drei Kindern, die endlich den Großvater wiederfinden.

Der Sohn und die einzige Stütze und letzte Hoffnung der armen Wittwe A. M. in Danzig, Rudolf Soth (Nr. 46, 64), scheint, wie Herr Ewald Beyer in Gera uns mittheilt, in Odessa zu finden zu sein. Wir haben weitere Nachforschung dort veranlaßt. Vielleicht ergiebt das für die alte Mutter nach zehn Trauerjahren wieder einmal ein helles Osterfest.

Ueber Joh. Scherrl (Nr. 36, 57) erhalten wir eine wahrscheinlich richtige Nachricht von dem Haus Robertson u. Hernsheim in Hamburg.

Auch der lange vermisste Paul Igel (1882, Nr. 42, 71) ist gefunden. Er hat sich von Sachsen aus selbst seiner Mutter gemeldet.

Ebenso hat Karl Höpker (Nr. 46, 74) aus Indien den Seinen Nachricht von sich gegeben.

Als Adresse des Uhrmachermeisters August Schumann (Nr. 46, 69) wird uns aus Petersburg angegeben: Wassili-Ostrow 6. Linie, Haus Lichatschew, Quartier Nr. 175, im 3. Corridor. Wir danken für diese Auskunft, die an Vollständigkeit nichts zu wünschen übrig läßt.

Große Freude kehrte nach sieben Jahren der Sorge und Sehnsucht bei dem nun einundachtzigjährigen Nachtwächter Wolf in Oberspaar (bei Meißen) ein, als derselbe wieder, in Folge unseres Aufrufs (1882, Nr. 34, 52), die erste Nachricht über seinen Sohn August Wolf in Australien erhielt. Letzterer ist wirklich erblindet, und es war nicht seine, sondern der Seinigen Schuld, daß der alte Vater so lange ohne Nachricht blieb. Seine Adresse: „Long Bay near Hobarttown, Tasmania“, die uns auch Herr Otto Koerbin daselbst mittheilte, wird nun Alt und Jung wieder in Verbindung bringen.

Denselben freudigen Dank erwarb sich die „Gartenlaube“ von der hochbetagten Mutter des Heinrich Stammerjohann (Nr. 28, 18) aus Hamburg, der sich in der brasilianischen Provinz Rio grande do Sul eine neue Heimath gegründet hat.

Die zwanzigjährige Lucie Pabst (Nr. 28, 17), die am Abend des 29. November 1882 das elterliche Haus in Quedlinburg verlassen, ist am 3. Juni 1883 in der Bode bei Hedersleben als Leiche gefunden worden.

Wir kommen zum letzten, einem tieftraurigen Berichte. In Nr. 28 der „Gartenlaube“ gaben wir dem Aufrufe Raum: „August Off, der Du vor zwanzig Jahren nach Rio gingst, gieb Deiner alten achtzigjährigen, allein noch lebenden Mutter, die täglich Deiner gedenkt, ein Lebenszeichen!“ – Der Angstruf der Sehnsucht aus dem Mutterherzen drang nicht mehr zu des Sohnes Ohr. Er starb, während die „Gartenlaube“ über das Meer zog, um ihn zu suchen. Nur ein Trost konnte der armen Mutter gegeben werden: Ihr Sohn fand in der Fremde wohl „nicht Glück noch Stern“, aber er hat als Künstler und Mensch sich die Achtung und die Freundschaft vieler Edlen erworben, die an seinen verwaisten Kindern nun ihre Theilnahme bethätigen. August Off galt in Rio de Janeiro als der ausgezeichnetste Maler und Lithograph von Portraits. Die „Revista Illustrada“ der brasilianischen Hauptstadt widmete ihm einen ehrenvollen Nachruf mit seinem Bildniß. Ein Seitenbildchen zeigt seine trauernde Gattin mit den sechs Kindern vom Grabe kommend. Leider ist dies nur künstlerische Zugabe. Kurze Zeit vor August Off’s Erkrankung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_035.jpg&oldid=- (Version vom 14.6.2023)