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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Stimmung schien sich auch auf die Menschen übertragen zu haben; im ganzen Hause stand nur Tante Lott und ihr Pflegetöchterchen vergnügt auf. „Tantchen, nun sollst Du es gut haben,“ hatte sie gesagt, und als die alte Dame in ihr Zimmer trat, da war all ihre kleine Arbeit bereits gethan, der Staub gewischt, die Blumen begossen und der Stieglitz im Bauer besorgt, und Else saß schon wieder in ihrem einfachen Kleidchen am Fenster und schaute in die Regenlandschaft hinaus.

„Ich hab’s so gern, dies Wetter,“ begann sie beim Kaffeetische, „es ist dann gar zu hübsch in den Menschenwohnungen; aber dumm ist’s doch, daß es regnet; ich muß zu Papa, Tante Lott; es ist mir, als hätt’ ich ein schlechtes Gewissen, daß ich gestern Abend hier so fröhlich war, und bin noch nicht bei ihm gewesen.“

Sie hatte kaum ausgesprochen, als es klopfte und Moritz eintrat. Er trug einen dicken Flauschrock und hohe Stiefeln.

„Ach Moritz, Du hast Dein Kopfschmerzengesicht!“ rief Tante Lott. Er nickte und gab ihr die Hand.

„Ganz unerträglich sogar,“ antwortete er. „Ich komme, Else zu fragen, ob sie mit zur Stadt will; ich habe auf dem Rathhause zu thun.“

Sie war gleich bereit und ging nach Mantel und Hut. Moritz sah ihr nach.

„Sie ist doch ein liebes hübsches Kind geworden, Tante Lott,“ sagte er, als sich die Thür hinter ihr geschlossen.

Die alte Dame nickte lebhaft zustimmend. „Aber wie geht’s denn unten bei Euch, Moritz?“

„Nun, wie man’s nimmt. Frieda ist betrübt; sie hat eine Trauernachricht bekommen, ein Bruder ihres Vaters ist gestorben. Sie hat ihn nie gekannt, sagt sie; aber die Familie trauert selbstverständlich, noch dazu, da der alte Herr unverheirathet war und sein ganzes Vermögen meinem Schwiegervater hinterläßt. Frieda will mit zur Stadt, um einige Einkäufe zu machen.“

„Ei, ei!“ meinte Tante Lott, „und Euer Theaterstück?“

„Damit ist’s, Gott sei Dank! aus,“ sagte er, trotz seiner Kopfschmerzen lächelnd. „Nun, nun, Else, soweit sind wir noch nicht, Frieda ist noch lange nicht fertig,“ bemerkte er zu dem wieder eintretenden Mädchen, „aber Du kannst ja unterdeß Mutter guten Tag sagen.“

Frau von Ratenow saß am Fenster und sortirte einen mächtigen Haufen Strümpfe, indem sie jeden einzelnen über die Hand zog, ihn scharf mit der Brille betrachtend.

„Es ist hübsch und gut von Dir, Else,“ sagte sie im Laufe der Unterredung, und weicher als sie sonst zu sprechen pflegte. „Aber sieh’, alte Herren haben so ihre Eigenheiten, Du mußt nicht denken, Dein Vater hätte Dich nicht lieb, wenn er Dir sagt, es sei ihm recht, daß Du bei uns bleibst. Es scheint Dir, und auch Anderen, vielleicht hart und rauh, aber die Gründe mußt Du suchen in seinem hartgeprüften Leben, in der völlig freudenlosen Abgeschlossenheit, in der er stets nur auf sich angewiesen war – vielleicht stimmt noch einmal die Zeit ihn zugänglicher.“

Wer hätte in diesen Worten die so hart urtheilende Frau wieder erkannt, die sich heute nur bemühte, dem Kinde des Vaters Gebahren im mildesten Lichte zu zeigen? „Grüße Deinen Vater von mir!“ rief sie ihr noch nach, als das junge Mädchen schon an der Thür stand.

Frieda war offenbar in der allerschlechtesten Laune; sie lag im Wagen zurück, fest in ihr weiches Pelzmäntelchen gewickelt, und sprach kein Wort. Endlich nahm sie ein zierliches Geldtäschchen in die Hand und schüttete den Inhalt in ihr feines Battisttaschentuch aus.

„Es langt noch nicht, Moritz,“ sagte sie dann, mit den Geldstücken spielend, „die Rechnung bei Drewendt mußt Du selbst abmachen, ich lasse es aufschreiben heute.“

Er zog ohne weiteres seine Brieftasche und gab ihr schweigend ein paar Cassenscheine. Sie nahm das Papier, schob es mit dem andern Geld in’s Portemonnaie und steckte dieses wieder in die Tasche.

„Moritz, darf ich mir die kleine Etagère für meinen Salon kaufen?“ fragte sie und sah ihn bittend an mit ihren blauen Augen.

Er wandte unmuthig den Kopf zu ihr, aber seine verdrießliche Miene verschwand, als er in das wunderschöne Frauenantlitz blickte, das so verführerisch lächelnd unter dem schwarzeu Pelzmützchen hervorsah.

„Daß Dein Herz an solchem Plunder so hängt!“ sagte er. „Meinetwegen! Aber nächstens müssen wir wohl Auction machen, soviel Sachen hast Du. Wie? Uebrigens, was kostet denn das Ding?“

„O, es ist nicht so arg: hundert Mark vielleicht, Moritz.“

Er schwieg, und Else wußte ebenfalls nichts zu sagen, dann hielt der Wagen vor dem Hause des Majors, und Else stieg aus. Sie ging wieder durch den schiefen Flur, die schiefe Treppe hinauf, sie stand zögernd an der Thür zu des Vaters Zimmer und trat doch erst in die kleine Küche.

Die alte Siethmann hatte eben ein paar Weingläser auf ein Tablett gestellt, und ihre zitternden Hände bemühten sich, eine Rheinweinflasche zu entkorken.

„Gieb mlr her, Dore,“ sagte lächelnd das Mädchen, „ich habe mehr Kräfte.“

„Barmherziger!“ schrie die Alte freudig auf, „Elschen! Fräulein Elschen! Und so groß bist Du – sind Sie geworden! Und ich sag’s ja, so muß es kommen! Zehn Jahre lang haben wir keine Gäste gehabt, und heute kommen sie aus allen Ecken und Enden.“

Else stellte die Rheinweinflasche auf den Präsentirteller. „Nenne mich nur Du, wie sonst, Dore; aber wer spricht denn mit Papa? Ich möchte nicht hinein gehen.“

„Das sollst Du rathen!“ rief die alte Frau schmunzelnd, und band sich eine frische Schürze vor. „Na, neugierig bist Du ja auch, Elschen, das sehe ich, gerad wie die Frau Mutter war, na“ – und sie kam dicht zu dem Mädchen heran – „der Bennewitzer ist’s! Ich habe ihn ja gar nicht erkannt,“ fuhr sie fort, „kommt da ein feiner Herr im schwarzen Anzug und fragt nach dem Herrn Major, seinem Vetter. Hätt’ ich’s dem Papa erst gesagt, er hätte ihn sicher nicht angenommen; aber ich, nicht faul, machte gleich die Thür auf und – klapp, da saßen sie zusammen. Nun laß sie sich nur beißen, Elschen, ich denke, zu Deinem Schaden wird’s nicht sein, denn, gelt, das weißt Du ja, die Beiden haben sich bis jetzt gestanden wie Hund und Katze, wegen der Erbschaft. Und nun – aber willst Du nicht den Wein hineintragen, Elschen?“

„Hat Papa Wein gewünscht?“ fragte das junge Mädchen.

„I Gott! An so was denkt er doch nicht,“ erwiderte achselzuckend die alte Frau. „Ich meinte nur, wenn so Jemand von der Verwandtschaft zum Besuche kommt, man weiß doch auch, was sich schickt.“

In diesem Augenblicke scholl die Stimme des Majors so kräftig und zürnend bis in die Küche, daß die Siethmann, die dem Mädchen den Präsentirteller aufnöthigen wollte, denselben erschreckt wieder hinsetzte.

„O Jesus! Else, er ist böse!“ stammelte sie, und in der That flogen jetzt Ausrufe eines zum höchsten Zorne gereizten Menschen an das Ohr des zitternden Mädchens. Im nächsten Momente war sie über den Corridor geeilt, hatte eine Thür geöffnet und stand nun leichenblaß, aber mit dem Ausdrucke völliger Unbefangenheit, auf der Schwelle des Zimmers.

„Papa, ich störe doch nicht?“ fragte sie, auf den alten Herrn zugehend, der, inmitten der Stube verharrend, einen Brief in der Hand und hochrothen Antlitzes, sie wie eine Erscheinung anstarrte.

Der stattliche Mann, der dort fast nachlässig am Fenster lehnte, hatte nicht die mindeste Aehnlichkeit mit seinem erregten zornigen Vetter, er war Gentleman von Kopf bis zu Fuß in seiner äußeren Erscheinung, und auch innerlich schien er seine aristokratische Ruhe vollkommen bewahrt zu haben, wenigstens war sein Gesicht mit dem traurigen Zuge um die Mundwinkel völlig unbewegt.

„Sie stören durchaus nicht, Fräulein von Hegebach,“ sagte er mit einer Verbeugung, „es ist sogar eine willkommene Unterbrechung. Ich war eben bemüht, Ihrem Herrn Vater ein Mißverständniß aufzuklären, und es wurde mir erschwert durch neue Mißverständnisse –“

„Papa!“ Das junge liebliche Geschöpf hatte den alten vergrämten Mann mit beiden Armen umfaßt. „Lieber Papa, ich freue mich so sehr, daß ich wieder bei Dir bin!“ Und sie schmiegte sich an ihn, als wollte sie ihn schützen vor allen Unbilden der Welt.

Der Major von Hegebach war augenscheinlich fassungslos;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_055.jpg&oldid=- (Version vom 18.7.2020)