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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


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schmaler Korb gebunden war, der ihr Arbeitsgewand, das nöthigste Kleingeschirr und alle sonstigen Dinge barg, die sie da droben nicht missen konnte und wollte: das Nähzeug, ein paar Heiligenbildchen, den Weihbrunnkessel und die Flasche mit dem Weihwasser, ein Crucifix und ein Büschel geweihter Palmzweige und manches, was sich im Anschluß an das eben Angeführte nicht gut nennen läßt, wie Kamm und Seife.

Als sie so gerüstet stand, faßte die alte Baslerin ihre Tochter am Arme und führte sie der Thür zu. Dort tauchte sie die zitternden Finger in das Weihwasserschüsselchen, und während sie Nannei’s Antlitz besprengte, murmelte sie:

„Unser Herrgott hab’ Dich in seiner Gnad’,
Er soll Dich b’hüten vor Sünd’ und Schad’,
Und wachen soll über Dir und Dei’m Vieh
Der Heiland und sein’ heilige Mutter Marie.
Nachher führt uns der heilige Geist wieder z’sammen,
Glücklich und g’sund. In Ewigkeit – Amen!“

Flüchtig und scheu, als schäme sie sich dieses Ausbruchs ihrer Zärtlichkeit, streifte die alte Baslerin mit der Hand über Nannei’s Wange. „So – und jetzt b’hüt Dich Gott!“ sagte sie – und sie hätte gern noch mehr gesagt, aber sie fand’ die Wörte nicht. „Und gelt – vergißt mir ’s Beten net!“ Das war alles, was sie noch herausbrachte.

Es war wohl nicht allein das blasse Frühlicht, was Nannei’s Antlitz so bleich erscheinen ließ.

„B’hüt Dich halt Gott, Mutterle – und gelt, halt’ Dich recht gut, und plag’ Dich net z’ viel – und – b’hüt Dich Gott – b’hüt Dich Gott – b’hüt Dich Gott!“ Dabei löste sie ihre Finger aus der Mutter Hand und trat durch die Hausthür hinaus in den Hof.

Die alte Baslerin hörte den tiefen Seufzer nicht, der die Brust ihres Kindes schwellte; sie hatte sich auf die Flursteine niedergekniet, hatte mit beiden Armen Dschapei’s Hals umschlungen und flüsterte nun dem Thiere unter stillen Thränen in’s Ohr: „Gelt, Dschapei – gieb mir halt Obacht auf mein’ Nannei!“ Mühsam richtete sie sich wieder empor, gab dem munter ins Freie hüpfenden Lamm einen Klaps auf den Rücken und rief dem Mädchen nach: „Heut’ wirst net so bald zum Essen kommen. Hast a Stückl Brod eing’steckt?“

„Ja, Mutterle.“

„No also – so geh halt.“

Noch einmal schüttelten sie sich die Hände – dann schritt das Mädchen dahin über die graue Wiese, auf der das Morgenlicht den Glanz der Thauperlen noch nicht erweckt hatte.

Als Nannei noch einmal zurücksah, winkte ihr die Mutter mit beiden Händen zu und rief:

„Ich such’ Dich schon amal heim – da droben – wann’s meine Füß’ derleiden.“

Nannei nickte nur stumm entgegen; die Lippen waren ihr wie zusammengewachsen. Als aber im Weiterschreiten bei einer Senkung des Weges das elterliche Häuschen ihren Blicken entschwand, da brach sie jählings in lautes Schluchzen aus.

Sie wußte nur, was sie verließ. Wer ihr doch sagen möchte, welch einem Geschicke sie entgegen ging! Was sollte die kommende Zeit ihr bringen? Gutes? Böses?

Nannei ward sich dieser Gedanken zwar nicht so recht bewußt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_065.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2019)