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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

nicht einem Kinde zu machen, das noch nicht weiß, was es bedeutet, sich zu binden für immer. Bis jetzt kannte sie die Noth des Lebens noch nicht.“

Sie hatte laut und heftig gesprochen und fuhr nun fort: „Glauben Sie denn, daß Sie, wenn Sie den bunten Rock ausgezogen haben, leben können wie ein Tagelöhner? Dazu verwöhnt sich die Welt heutzutage allzusehr schon von Jugend auf. Gehen Sie, Bernardi, ich hätte Sie nie für so unvernünftig gehalten.“

„Ich liebe Fräulein von Hegebach,“ erwiderte er und sah ihr fest in das erregte Gesicht.

„Jawohl – Sie haben sich so recht über Hals und Kopf hineingestürzt! Ich hab’s kommen sehen, leider!“

„Und ich werde wieder geliebt!“

„So?“ – Die alte Dame warf unmuthig ihre Haubenbänder zurück. „Was weiß so ein Kind von Liebe! Reden Sie mir davon nicht, Bernardi, in dem Alter hat man ja noch kein Urtheil, und wenn auch –“

„Und wenn auch?“ wiederholte er; „gnädige Frau, und wenn auch –?“

„Nun, sie wird’s vergessen, Bernardi! – Ach nein, nein,“ fuhr sie fort, „machen Sie doch keinen Unsinn! Ich will ja glauben, daß Sie sich in die Kleine verliebt haben, sie ist ein hübsches Mädchen, aber – daran sterben Sie nicht. Ich muß Sie alles Ernstes bitten, mein lieber Lieutenant Bernardi, diese Unterredung als beendet anzusehen. Es ist eine Unmöglichkeit, und weder Ihre Eltern noch Else’s Vater, weder ich noch mein Sohn, werden Freude daran haben. Ich kann keine Redensarten machen von – großer Ehre – und so weiter; Sie wissen, ich schätze Sie als einen liebenswürdigen Cavalier, Bernardi, als einen Ehrenmann; machen Sie das Kind nicht unglücklich! Ich meine es gut mit Ihnen und mit ihr.“

„Ich breche kein gegebenes Wort bei Fräulein von Hegebach; es sei ferne von mir, ihr Unglück zu wollen. Nehmen Sie meinen Dank, gnädigste Frau.“

Er verbeugte sich formell und wollte der Thür zuschreiten.

„Halt, Bernardi, so gebe ich Sie nicht frei!“ rief Frau von Ratenow, und das Funkeln ihrer Brillanten flog wie ein Leuchten durch das dämmerige Gemach bei der raschen Wendung. „Erst das Versprechen, daß Sie sich dem Kinde nicht mehr nähern wollen!“

„Ich werde sobald als möglich die Stadt verlassen, gnädige Frau.“

„Ich danke Ihnen, lieber Bernardi!“

Und als sich die Thür hinter ihm geschlossen, stand sie noch eine ganze Weile auf derselben Stelle, gesenkten Hauptes. Dann fuhr sie sich mit der Hand über die Stirn, als wollte sie einen unangenehmen Gedanken verscheuchen.

„Verzeihen Sie, meine Herrschaften,“ sagte sie ein paar Minuten später im Spielzimmer, „ich bin wieder zu Ihrer Disposition. Wie? Schlemm sind wir geworden, Herr Justizrath?“

Und der Abend und die Nacht vergingen; sie hatten noch einmal getanzt zusammen. Er sei sehr lustig gewesen, der Herr Lieutenant Bernardi, meinten die jungen Damen; die Herren behaupteten, er habe dem Champagner etwas mehr zugesprochen, als jüst nöthig. Er hatte sich eine rosa Schleife, die ihm vor die Füße wehte, als Else vorbei tanzte, in die Tasche gesteckt, er hatte noch einmal die zitternden Mädchenhände fest in die seinen gepreßt, und er war dann zurückgetreten mit der ritterlichsten Verbeugung, ohne noch einmal in die feuchten sehnsüchtigen Augen zu blicken; und draußen auf der Straße hatte er seinen Arm in den des Lieutenants von Rost geschoben.

„Um Himmels willen noch nicht nach Hause!“ erklärte er mit lauter Stimme, und dann war der ganze Trupp der Unverheiratheten in ihr Stammlocal gezogen.

„Na,“ fragte Dolling den Lieutenant von Rost, und deutete auf Bernardi, der sich überlaut mit einem älteren Cameraden unterhielt, als gelte es eine innere Stimme zu betäuben, „was hat es gegeben?“

„Eh,“ erwiderte der Angeredete, „er ist in der Krisis, wird’s wohl durchmachen.“ – –

„Ach Tante, schlaf noch nicht,“ bat Else. Sie hatte das Morgenkleid angezogen und saß auf dem Bettrand der alten Dame.

„Mein Liebling, schütt’ es aus, Dein Herz,“ sagte die wunderliche verschrobene Tante mit dem kinderguten Herzen.

„Ich habe ihn so unsäglich lieb!“ flüsterten die frischen Mädchenlippen. Dann sprach sie nicht mehr; die Beiden drückten sich nur stumm die Hand.

(Fortsetzung folgt.)




Staarblindheit.

Von Dr. J. Hermann Baas (Worms).

Wenn ein Deutscher über eine rechte Sache schreibt, verfährt er bekanntlich am liebstell in größter Ordnung und beruft sich dabei noch gern auf Autoritäten. Je größer diese sind, desto besser!

Vor allen Dillgen giebt er demgemäß eine Begriffsbestimmung dessen, worüber er schreiben will, und findet dafür gewichtige Beispiele in Menge: hat doch sogar ein Goethe im „Faust“ (im einleitenden Monologe) diesen zuerst ausführlich – sich selbst definiren lassen! Wir dürfen also wohl auch auf die Verzeihung des Lesers hoffen, wenn wir hier, natürlich im Kleinen, dieses Verfahren nachahmen und an der Spitze unserer Darlegung eine kurze Begriffsbestimmmung davon geben, was man denn unter „Staar“ zu verstehen hat, um so mehr, als die tägliche Erfahrung lehrt, daß in Laienkreisen fast überall darüber große Unklarheit herrscht.

„Staar“ nennt man im Allgemeinen jede bedeutende und dauernde Schwächung des Sehvermögens, sobald sie die Neigung hat, fortwährend zuzunehmen und zuletzt, wenn ihr nicht Einhalt geboten wird oder geboten werden kann, zur Erblindung zu führen. Ein Merkmal ist noch wichtig, nämlich das, daß man am äußeren Auge lange Zeit hindurch oder auch für immer nichts Krankhaftes wahrnimmt, daß der verhängnißvolle Proceß also im Innern des Auges unheimlich, allmählich und verborgen sich abspielt. Man unterscheidet, im Anschluß an die uralte Volksauffassung, die freilich der neueren Wissenschaft ganz und gar nicht mehr genügt, immer noch zwischen grauem, grünem und schwarzem Staar. Die Gefährlichkeit dieser Formen aber taxirt man von jeher nach derselben Reihenfolge, wie wir sie hier aufführen. Es sei aber sogleich bemerkt, daß die Schwere dieser Uebel vielfach überschätzt wird: ist doch der graue Staar fast immer heil- oder vielmehr operirbar; auch von dem grünen, wenn er rechtzeitig erkannt wird, gilt in den meisten Fällen dasselbe: nur der schwarze führt, wenn auch viel seltener, als früher, auch heute noch oft genug zum nahezu vollkommenen oder gar zum vollständigen, dauernden Verluste des Sehvermögens. Näheres wird sich aus dem Folgenden ergeben.

Der „graue Staar“, der häufigste von allen, hat seinen Sitz in der Augenlinse und heißt deshalb auch wohl kurzweg der Linsenstaar. Er ist nichts weiter, als eine Trübung, ein Undurchsichtigwerden jenes Gebildes. Durch ihn wird die Pupille, die im gesunden Zustande bekanntlich immer tief schwarz ist, grau – daher der Name der Krankheit! Sie ist vorzugsweise eine Folge des höheren Alters und eine Erscheinung, die man mit dem Grauwerden der Haare recht wohl vergleichen darf, nur daß sie nicht so häufig und so regelmäßig auftritt, wie dieses. Die schweren Folgen derselben entspringen aber nur der Stelle, an der sie sich zeigt. Uebrigens ist das Leiden nicht ausschließlich, wie meistens geglaubt wird, ein solches der späteren Lebensjahre, sondern kommt sogar angeboren, selbst erblich vor und entwickelt sich noch oft genug in den Jünglings- und Mannesjahren, wenn auch allerdings viel seltener, als bei Greisen. Man darf demnach wohl sagen, auch dieses Uebel verschont kein Alter und kein Geschlecht!

Mit Rücksicht auf das Sehen aber kann der graue Staar als ein blos mechanischer Verschluß der Pupille, als eine Art Verstopfung, die den Lichteintritt in das Auge verhindert, betrachtet werden. Wird also dieser graue Pfropf, den die trübgewordene Linse bildet, herausgenommen – das einzige Heil- und sicherste Operationsverfahren! – so kann das Licht wieder eintreten und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_092.jpg&oldid=- (Version vom 16.8.2020)