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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

auf dessen schwindelnder Höhe in den Freitnächten der wilde Jäger mit seinem johlenden Trosse stundenlange Rast zu halten pflegt. Vor hundert und aberhundert Jahren einmal hatte ein Hochlandsschütze das Wagstück unternommen, in solch einer Nacht den Gejaidberg zu besteigen. Er ist nie wieder zum Vorschein gekommen; nur seinen Schweißhund fanden die suchenden Leute des anderen Tages todt auf dem Gipfel der Felsgruppe liegen, die sich zwischen dem Gejaidberg und der Rothleiten, dicht vor dem steilen Schneiber, erhebt, und die seit jener Zeit auch den Namen Hundstod führt.

Noch immer stand das Thier und starrte staunend umher – da mit einem Male vernahm es hoch über sich seltsames Rauschen. Es warf den Kopf in die Höhe und sah ein dunkles, großes Etwas in den Lüften kreisen.

Was war das?

Das Dschapei wußte es nicht, und dennoch überkam das Thier eine so bange Furcht, daß ihm die Haut zu schaudern und die Füße zu zittern begannen. Doch nur eine kleine Weile dauerte diese Starre, dann sprang das Dschapei mit jähem Satz empor und stürmte in rasender Flucht den Hang hinunter. Drunten ersah es in einiger Ferne ein großes Latschengebüsch, dem es nun in überstürzendem Laufe entgegensteuerte. Schon stieß es mit der Nase fast an die schutzbietenden Zweige – da vernahm es dicht hinter sich ein fauchendes Sausen, fühlte auf seinem Rücken einen heftigen Schlag und einen brennenden Riß – und flog, vom Schusse des überhastigen Laufes vorwärts getrieben, kopfüber in die Latschen, deren wirres Geäst ihm die Wolle in dicken Flocken vom Leibe schürfte. So, wie es nun da drinnen lag, blieb es liegen, regungslos, mit gläsernen Augen, hängender Zunge und vibrirenden Flanken. Und während der Räuber, der sich um seine Beute betrogen sah, mit rauschendem Gefieder durch die Luft entschwebte, sickerte dem wunden Thiere das warme Blut vom Rücken nieder durch das roth sich färbende Fell.

So verharrte das Dschapei eine geraume Zeit, bis es den Muth und die Kraft fand, sich aus dem Busche herauszuwinden. Mit schmerzender Mühe zog es den Rücken auf und suchte mit der Zunge die wunde Stelle zu erreichen. Dann schlich es langsam in heimwärtsführender Richtung der Höhe zu, mit ängstlichen Augen immer emporspähend in die Lüfte, und ab und zu sein Fell beleckend, von welchem in kleinen Zwischenräumen dicke Blutstropfen niederfielen auf Moos und Gestein.

Nun kam es auf einen betretenen Pfad, der am Rande einer tiefen Schlucht dahinführte. Das war der Weg, auf welchem Nannei vor vierzehn Tagen die Sigerethwand besucht hatte – und das Dschapei schien den Steig auch wieder zu erkennen, denn es schlug nun eine raschere Gangart an.

„Hat’s Dich ’leicht verdrossen, Deandl, daß ich net schon lang amal ’kommen bin?“ (S. 98.)

Plötzlich vernahm es hastig sich nähernde Tritte, und an der höher liegenden Biegung des Pfades erschien Korbini, den Bergstock in Händen. Wie er des Thieres ansichtig wurde, stutzte er. Dann näherte er sich langsam, und halblaut klang es von seinen höhnisch verzogenen Lippen:

„So – Du kommst mir g’rad recht! Warte nur, die soll sich amal ärgern heute – die hochnasige Dingin!“

Wie damals am Futterstadel im Wimbachthale, so griff er auch jetzt wieder in die Joppentasche, und mit der Zunge schnalzend, bot er dem Dschapei eine Handvoll Salz entgegen.

Dachte das Thier an den Puff, den es vor einer Stunde von Korbini erhalten? Oder war ihm von dem eben Erlebten ein ängstliches Mißtrauen verblieben? Statt der lockenden Hand des Burschen entgegen zu trippeln, wich es scheu vor derselben zurück, und wich umsomehr zurück, je mehr ihm Korbini mit zuredenden Worten folgte.

Darüber verlor der Bursche schließlich die Geduld. „Wart’, Dich will ich gleich zahm haben!“ stieß er zwischen den schmalgedrückten Lippen hervor, warf das Salz über den Weg hinaus, ergriff den Bergstock mit beiden Händen und hob ihn zu wuchtigem Schlage.

Wohl sprang das Dschapei, die Gefahr erkennend, im rechten Augenblicke auf die Seite, sodaß der niedersausende Stock ihm kaum mehr die Wolle streifte, doch verlor es bei diesem Sprunge mit dem einen Hinterfuße den Boden; nun bröckelte auch noch das Erdreich unter ihm hinweg, und wie Korbini herbeisprang, um das Thier noch zu fassen, glitt es schon hinunter über den moosentblößten Felsrand, stürzte der Tiefe zu, schlug prasselnd in einen Latschenbusch, der in halber Wandhöhe seine knorrigen Aeste aus einer Steinschrunde reckte – da zappelte und rappelte das unvernünftige Thier mit den Füßen, bis es zwischen den nachgebenden Zweigen hindurch rutschte, fühlte sich wieder gehalten und baumelte, mit dem Glockenriemen an einem Storren hängend, am Halse geschnürt und gedrosselt, freien Leibes in der Luft – nun riß der Riemen, und dumpfen Knalles schmetterte das Dschapei auf die scharfkantigen Steine des tiefen Schluchtengrundes.

Eine Weile war Stille – dann klang von oben her eine lachende Stimme:

„Schaf, dumms – da hast es jetzt!“ – und Schritte wurden hörbar, die sich entfernten und ferne verhallten.

Nun wieder Stille – nichts rührte sich in der Runde; nur die Zweige jenes Latschenbusches schwankten noch ein wenig, und seine dicken Nadeln zitterten noch leise.

Drunten im Dämmerscheine des schmalen Schachtes lag das Dschapei, regungslos dahingestreckt auf das blutbeträufte Geröll; seine Augen waren geschlossen, und zwischen den geöffneten Zähnen hing ihm die zerbissene Zunge hervor. Eine lange, lange Zeit verstrich – da schlug es die Lider auf, und ein heftiges Zittern rann über seine Glieder. Es suchte den Kopf zu erheben – und ließ ihn kraftlos wieder auf die Steine sinken – und wieder schlossen sich seine Augen.

Stunde um Stunde ging dahin; schon begannen die Schatten sich zu dehnen, und das Himmelsblau verblaßte mählich und mählich.

Nun erklang von irgendwo in der Nähe das Geläute der Almenglocken, doch kaum, daß es hörhar geworden, klang es schon wieder ferner und verhallte hinter den thalwärts gestuften Felsen.

Auch in die Tiefe des Schachtes waren diese Töne gedrungen, und lauschend hielt das Dschapei den Kopf erhoben. Wie das Geläute jetzt verstummte, warf das gemarterte Thier mit Röcheln und Aechzen den Hals umher, reckte und streckte die schmerzenden Glieder und suchte mit verzweifelter Kraft sich empor zu richten. Wohl gelang es ihm, den Rücken aufzuheben, doch die Vorderfüße versagten den Dienst. Stöhnend sank es auf die Seite und wälzte sich am Gerölle hin und wider. Dann hob es sich von neuem halb empor, stemmte mit aller Gewalt die Hinterfüße in die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_099.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2022)