Seite:Die Gartenlaube (1884) 208.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

anfingen oder Schaum vor dessen Mund trat, so hielt man den Angeklagten für überwiesen. Es ist nicht zu verwundern, daß dieses Bahrgericht sich so lange erhalten hat, denn, wenn auch die Leichen ewig stumm blieben und niemals ein derartiges Zeugniß gaben, so wirkte doch in Tausenden von Fällen der Anblick des Opfers so erschütternd auf den Mörder, daß er verwirrt seine Schuld gestand. Und aus diesem Grunde ist auch in unserer Zeit noch allerorten von den Gerichten die Uebung beibehalten, daß der Verdächtige den Leichnam des Gemordeten ansehen muß, damit er durch den grausen Anblick seines Opfers zum Geständniß bewegt werde. Doch kehren wir zu unserem Bilde zurück: Im Dom liegt die Leiche des Helden Siegfried aufgebahrt; Gunter und Hagen treten an die Bahre, und das Blut des Erschlagenen strömt auf’s Neue aus den Todeswunden.

Die alte Sage, durch die meisterhafte Behandlung in unsere helle Nähe gerückt, ruht doch durchaus auf dem echten Boden ihrer Zeit. Das Helden- und Ritterthum in seiner eigensten Welt steht lebendig vor uns: der grimme düstere Hagen, furchtbar prächtig anzuschauen, nimmt mit der an der Bahre Siegfrieds knieenden Chriemhild unsere volle Aufmerksamkeit in Ansprnch; hinter ihm, die Hand zum falschen Schwure an’s Herz gelegt, Gunter mit Mantel und Scepter; zu Füßen des Todten zwischen zwei Jünglingen der trauernde König Siegmund; zu Siegfrieds Häupten knieend die fromme Mutter Chriemhild’s, Frau Ute; im Hintergrunde auf der einen Seite die Geistlichkeit, auf der andern Frauen und die Mannen Siegfried’s. So stellt sich uns in ergreifender Deutlichkeit der im siebenzehnten Abenteuer des Nibelungenliedes enthaltene Auftritt dar, über den wir am besten das Lied selbst nach der volksthümlichen Bearbeitung des schwäbischen Dichters Emil Engelmann reden lassen:

„Da trat auch König Gunter zu Siegfrieds Sarg heran,
Und mit ihm schritt Herr Hagen, das war nicht wohl gethan;
Herr Gunter sprach: ‚Weh, Schwester, des theuren Gatten Dein,
Wie brach so grause Drangsal doch über uns herein,
Wir müssen immer klagen um Siegfried’s Jammertod!‘
‚Was schwatzest Du so trugvoll und höhnest meine Noth?‘
Rief sie, ‚wär Dir’s zu Leide, so wär es nicht gescheh’n,
Ihr habet mein vergessen, das muß ich wohl gesteh’n,
Und mich so schlimm geschieden von meinem lieben Mann,
Gott weiß im Himmel droben, Ihr tragt die Schuld daran!‘
‚Von uns aus,‘ schwuren Beide, ‚ist Dieses nicht gescheh’n!‘
‚Das wollen wir,‘ rief Chriemhild voll Zornes, ‚baldig seh’n;
So tretet zu der Bahre vor allem Volk heran,
Seid ohne Schuld Ihr dessen, was man ihm angethan!‘
Und siehe da! ein Wunder begab sich, wie’s geschieht
Zuweilen, wenn den Mörder man bei dem Todten sieht;
Neu bluteten die Wunden, als man voll Trotzes da
Den Tronjer zu der Leiche Herrn Siegfried’s treten sah,
Die blut’gen Bäche flossen noch stärker als zuvor,
Und Chriemhild’s Klage gellte wild an der Mörder Ohr;
Doch Gunter sprach voll Truges: ‚Ich sag die Wahrheit an,
Ihn schlugen feige Schächer, nicht Hagen hat’s gethan!‘
‚Mir sind die feigen Schächer,‘ rief Chriemhild, ‚wohl bekannt,
Es that es Niemand anders, als Eure arge Hand,
Dich Gunter und Dich Hagen, Euch beide klag ich an!‘“

Das Weitere gehört nicht hierher, aber wie düstere Wetterwolke lastet es auf dem Beschauer, daß Gewaltiges auf diese „Meinthat“ folgen muß und wird. – Wie dieselbe später von Chriemhild mit dem Tode so vieler Helden, auch Hagen’s und Gunter’s, furchtbar gerächt wurde, das ist in dem herrlichen „Nibelungenliede“, diesem köstlichen Schatze unserer Nationalliteratur, in meisterhafter Weise geschildert.


Sein Bild. (Mit Illustration S. 197.) Was schließen für ein Frauenherz, welches liebt, nicht die beiden kleinen Worte ein: Sein Bild! – Sein Bild ist ja der Abglanz seiner Person, seines ganzen Wesens, es zeigt der Braut oder der Gattin, was ihr das Liebste auf der weiten Welt ist, was das Leben für sie erst lebenswerth macht. Sein Bild ist ihr Freund in den Stunden der Entfernung von dem geliebten Manne, der einzige Zeuge ihrer Seufzer oder auch wohl ihrer Thränen. Das junge Mädchen, das unsere Illustration darstellt, hat ihre Blicke sehnsuchtsvoll auf das kleine Medaillon in ihrer Hand geheftet. Ihr Gesicht sagt uns, daß er, bei welchem ihre Gedanken weilen, nicht zu weit in der Ferne ist, nicht zu lange ausbleiben wird; denn es lagert mehr der Ausdruck inniger Zärtlichkeit als der Schatten eines tieferen Trennungsschmerzes auf den feinen Zügen dieses Profils. Bald wird der ferne Freund wiederkommen, ihrer Einsamkeit ein Ende machen und der sehnsüchtige Ausdruck ihres Gesichts wird sich zu wonniger Freude verklären.


Vor dem Städtchen. (Mit Illustration S. 201.) Es ist ein Bild heiterer Ruhe und süßen Friedens, ein anmuthiges Feierabendbild, das V. Weishaupt uns vorführt. Der Abend ist hereingebrochen, ein klarer, milder Spätsommerabend; der Bursche, welcher die von der Arbeit heimkehrenden Zugstiere vor sich hertreibt, begrüßt mit fröhlichem Zuruf und lebhafter Geberde die Magd, die ohne Zügel und Sattel fest auf dem breiten Rücken ihres Pferdes sitzt. Die beiden Dirnen am Ufer sind noch beschäftigt, Wäsche zu spülen, aber ihr frohes Geplauder macht ihnen die Arbeit zur Unterhaltung. Selbst der alte trotzige Thurm, der sich aus der Häuserfront so drohend hervorschiebt, stört nicht den friedlichen Eindruck der Scene; denn ob er vor Jahrhunderten der Vertheidigung gegen anstürmende Feinde diente oder ob er mit seinen feuchten Verließen an eine Zeit grausamer und willkürlicher Rechtspflege erinnert, diese Tage liegen für ihn und für das Städtchen weit zurück in der Vergangenheit. Wie ein alter, längst ausgedienter Veteran blickt er auf die neue Generation heiterer und genügsamer, bei der Arbeit fröhlicher Menschen, die ihre Häuser an sein bemoostes Gestein angebaut haben.


Ein Veteran der Schauspielkunst. Die Wiener Bühne hat in kurzer Zeit zwei schwere Verluste erlitten, ihre beiden populärsten Erscheinungen eingebüßt. Kaum sind die ersten Kränze auf dem Grab der Josephine Gallmeyer verwelkt, so kommt aus Wien die Nachricht, daß Karl Laroche, der Nestor der deutschen Schanspieler, am Nachmittag des 14. März gestorben ist. Oft äußerte der greise Künstler selbst zu seinen Freunden, er glaube, der Tod habe ihn vergessen. Das ist nun freilich nicht der Fall gewesen, aber allerdings konnte er auf ein so bedeutsames und ereignißvolles Leben zurückblicken wie kein anderer Künstler; die Entwickelung aller heutigen Bühnenverhältnisse hatte er mit durchlebt und mit eigenen Augen gesehen. Die Anfänge seiner Thätigkeit fallen mit den Anfängen des heutigen deutschen Theaters zusammen: er war Zeuge, wie die ersten stehenden Theater entstanden, er erlebte die großen Tage von Weimar, wo er 1829 unter Goethe’s Augen, bei der ersten Aufführung des „Faust“, den Mephistopheles spielte, er sah den deutschen Schauspielerstand aus einem verachteten Proletariat zu einem gesellschaftlichen Ansehen sich entwickeln, er nahm Theil an den hundertfachen Wandlungen des Repertoires, denn er spielte in den classischen Tragödien ebenso häufig und mit ebenso großem Beifall die Hauptrollen wie in den Kotzebue’schen Lustspielen oder den Iffland’schen Rührdramen. Als Schauspieler zeichnete ihn sein großes Natürlichkeitsstreben aus, durch das er den heutigen Künstlern des Wiener Hofburgtheaters ein leuchtendes Vorbild ist; in der Adresse, welche ihm vor einem Jahre, im März 1883, die Vorstände und Mitglieder des Hofburgtheaters zu seinem fünfzigjährigen Dienstjubilänm an der Wiener Hofbühne überreichten, hieß es mit Recht: „Es ist Ihnen das seltene Glück beschieden, ein Doppelleben zu führen, das eine für sich daheim, wo Sie sich die Gegenwart mit der Vergangenheit schmücken, das andere im Burgtheater, wo Ihre Vergangenheit sich in neue Gegenwart verwandelt.“ Als Ehrenbürger von Wien und Ehrenmitglied verschiedener gelehrter Gesellschaften, überhäuft mit Auszeichnungen, unter denen der Orden der eisernen Krone, welcher ihm den Adel verlieh, die hervorragendste war, ist der große Künstler nun im Alter von achtundachtzig Jahren gestorben und die deutsche Schauspielkunst trauert wiederum um eines ihrer größten und originellsten Talente.


Auflösung der Schachaufgabe Nr. 3 in Nr. 11:

1. T d 2 – d 6:   S h 8 – g 6
2. D h 6 – h 3   S g 6 – f 8
3. T c 3 – c 4 : †       K : T c 4 oder T d 6
4. D h 3 – c 8 resp. d 3 mattt.

Varianten: a) 1. .., S f 7; 2. T c 4 : †, L : T c 4 oder T d 6; 3. D f 4 : resp. D f 8 † etc. b) 1. ..., K : T; 2. T c 4 : etc.

Sonstiges leicht ersichtlich.




Inhalt: Frühlingslied zum 22. März. Gedicht von Karl Weitbrecht. S. 189. – Ein armes Mädchen. Von W. Heimburg (Fortsetzung). S. 189. – Heinrich Heine’s Memoiren über seine Jugendzeit. Herausgegeben von Eduard Engel. V. S. 194. – Die Muse der dritten französischen Republik. Von Schmidt-Weißenfels. S. 198. – Das neue deutsche Bühnendrama. Von Rudolf von Gottschall. II. S. 200. – Dschapei. Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer (Fortsetzung). S. 203. Mit Illustrationen S. 204 und 206. – Die Schatzmeisterin des Himmels. Ein Beitrag zur Geschichte des Aberglaubens. Von J. C. Maurer. S. 206. – Blätter und Blüthen: Eine Riesenorchidee. Von Pechuel-Loesche. Mit Abbildung S. 207. – Chriemhild an Siegfried’s Bahre. S. 207. Mit Illustration S. 192 und 193. – Sein Bild. S. 208. Mit Illustration S. 197. – Vor dem Städtchen. S. 208. Mit Illustration S. 201. – Ein Veteran der Schauspielkunst. – Auflösung der Schachaufgabe Nr. 3 in Nr. 11. S. 208.




Nicht zu übersehen!

Mit nächster Nummer schließt das erste Quartal dieses Jahrgangs unserer Zeitschrift. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das zweite Quartal schleinigst aufgeben zu wollen.


Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen General-Postamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahrs aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennig erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennig statt 1 Mark 60 Pfennig). Auch wird bei derartigen verspäteten Bestellungen die Nachlieferung der bereits erschienenen Nummern eine unsichere.

Die Verlagshandlung. 

Verantwortlicher Herausgeber Adolf Kröner in Stuttgart.0 Redacteur Dr. Fr. Hofmann, Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger, Druck von A. Wiede, sämmtlich in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_208.jpg&oldid=- (Version vom 8.6.2022)