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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

No. 16.   1884.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Salvatore.

Napoletanisches Sittenbild.0 Von0 Ernst Eckstein.
(Fortsetzung.)


Salvatore stützte das Kinn auf die Handfläche. Nach einigem Besinnen fragte er langsam:

„Weißt Du, daß unser König und mehr noch sein erster Rathgeber, der hochwürdige Cardinal De Fabris, wüthende Feinde haben?“

„Wer hätte die nicht!“ versetzte Maria. „Was soll’s damit?“

„Nun, ich rede hier nicht von dem, was man gemeinhin so Feinde nennt: Leute, die uns beneiden und hassen und gelegentlich Schaden zufügen. Die freilich hat Jeder, – aber sie bleiben vereinzelt, und meistens stumpft ihre Wuth sich ab, und die eigene Bequemlichkeit hindert sie, uns zu nahe zu treten. Ein Regent aber, der streng am Gesetz hält und keinen Aufruhr duldet oder sonstigen Unfug, der macht sich die Menschen, die von der Gesetzwidrigkeit ihren Vortheil haben, gleich tausendweise zu Gegnern, und diese Feindschaft stumpft sich nicht ab, sondern sie nimmt von Tag zu Tag zu, je länger die Verhältnisse dauern, die den Gegnern verhaßt sind. Siehst Du, da giebt’s in Neapel eine große Partei – sie nennen sich Freiheitsfreunde oder neuerdings Liberale – die behaupten, Seine Eminenz der Cardinal De Fabris unterdrücke das Recht und liefere den Staat und das Volk an die Kirche und an die Vornehmen aus, während der hochwürdige Cardinal doch nur Sorge trägt, daß die Verwaltung der geistlichen Angelegenheiten im Sinne des heiligen Vaters vollzogen werde, und daß Ordnung herrsche im Königreiche Neapel. Diese Partei der Liberalen – anfänglich klein und, wie es schien, leicht durch die Furcht des Kerkers und der Verbannung im Zaum zu halten – wird nachgerade bedrohlich. Sie läßt Flugschriften drucken, die sie unter das Volk vertheilt, und mit großer Beredsamkeit setzen die Liberalen in diesen Flugschriften dem Volk aus einander, daß sie im Rechte seien, und nicht Seine Eminenz; und daß der König, wenn’s ihm darum zu thun wäre, das Heil seines Staates zu fördern, den hochwürdigen Cardinal zurück nach Rom schicken müsse, von wo er gekommen, und Einen aus der Schaar der Liberalen an dessen Stelle setzen. Da ist besonders ein Avvocato beim königlichen Gerichtshof, der sich unter den Schreiern hervorthut, – Antonio Cesari heißt er, ein kluger und äußerst gewandter Mensch, der’s immer so schlau anfängt, daß Keiner ihn fassen kann, zumal er Verbindungen hat bis hinauf in die nächste Umgebung des Königs. Dieser Cesari hat kürzlich das Schlagwort ausgegeben: ‚Fort mit dem Cardinal!‘ Und dabei verleiht er sich so den Anschein, als wolle er das Alles auf gesetzlichem Wege und ohne Eingriff in die Rechte der Krone; weißt Du, so ganz behaglich und sanft, daß Niemand merken soll, wie er doch eigentlich die blanke, offene Rebellion predigt. Nun – daß ich’s kurz mache, die Lage der Dinge erscheint der königlichen Regierung äußerst bedenklich; der Cardinal wird mit jedem Tage verstimmter, und Alle bis herab zu den letzten Beamten haben darunter zu leiden. Es liegt gewitterschwül über Neapel, und Keiner weiß, wo und wann der erste Blitz einschlagen wird.“

Maria hatte ihm staunend zugehört.

„Woher weißt Du das Alles?“ fragte sie jetzt, die Arme unter der Brust kreuzend.

„Von Einem, der mitten darin steht, den ich aber nicht nennen darf, und läge ich gleich auf der Folter.“

„Ein Beamter?“

„Ein Polizei-Beamter. Aber eh’ ich jetzt weiter rede, mußt Du mir einen Eid leisten, daß keine Silbe von dem, was Du hören wirst, Dir je über die Lippen kommt. Auch das hab’ ich ihm zugesagt. Er wollte erst, daß ich nicht nur den Namen, sondern die Sache selbst Dir verschweigen sollte: aber ich machte ihm klar, wie das völlig unmöglich sei; denn – sagte ich – wenn ich im Kerker sitze, und sie weiß nicht, wie’s zugeht, so thut sie sich entweder ein Leids oder sie läßt mich laufen und heirathet ihren Vetter, den verliebten Alberto.“

„Was? Was redest Du?“

„Du wirst Alles begreifen: erst schwöre nur! Das goldene Kreuz da auf Deiner Brust – nimm’s zwischen die Hände und sprich ein Ave, und dann rufe mir San Gennaro zum Zeugen an, daß Du unverbrüchliches Schweigen gelobst!“

Maria that, wie geheißen. Sie athmete lebhafter, als der Apulier nun anhub:

„Also – ein Polizei-Beamter hat mir das Alles klar gemacht und mir einige solcher Flugschriften zu lesen gegeben. Es war in der nämlichen Osteria, wo mir später – acht Tage etwa darnach – der Suliote begegnete. Gerade wie Der, kam auch der Polizei-Beamte so durch Zufall heran, als ich still und mißmuthig über dem Glase saß und immer wieder erwog, wie ich’s betreiben sollte, um endlich ein Stück vorwärts zu kommen. Er setzte sich neben mich, fing ein Gespräch an und bezeigte mir so viel Artigkeit, so viel höfliche Sympathie, daß er mich ganz für sich einnahm. Er bestellte eine Foglietta, und wie er gesprächiger ward, erzählte er von seinen Erlebnissen, von Rom und Bologna, und wie’s ihm gelungen sei, nach mancherlei Schwierigkeiten sich hier in Neapel eine Position zu verschaffen. Er gehört nämlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_261.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2023)