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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

wohl – etwa in Liebesabenteuern – an dieser einsamen Stelle herumtrieben.

„Endlich!“ murmelte Salvatore, aus seiner Regungslosigkeit auffahrend.

Man merkte jetzt an dem eigenthümlich vibrirenden Klang seiner Stimme, daß er sich zur geduldigen Rast an der Brüstung gewaltsam gezwungen hatte. Emmanuele entnahm ferner die Gewißheit daraus, daß die Begierde des jungen Mannes sich nicht abgekühlt hatte; daß Crispina im Rechte war, wenn sie hinter dem Wunsch des Apuliers, vom Cardinale gleichsam persönlich autorisirt zu werden, keinerlei Falsch gewahrte, – weder ein maskirtes Verlangen, von der Sache zurückzutreten, noch ein bedenken-erregendes Mißtrauen, sondern lediglich jene Vorsicht, die jeden Zoll des Terrains prüft, um nachher den Sprung über den Abgrund mit um so kühnerer Entschlossenheit zu bewerkstelligen.

„Ich konnte nicht früher,“ sagte der Polizei-Aspirant, dem Apulier die Hand reichend. „Gute Freunde hielten mich auf, und allzu große Eiligkeit hätte Verdacht erregt. Uebrigens – da wir jetzt mitten im Gewebe unserer Verschwörung stecken: Vorsicht ist die Mutter der Weisheit! Der Teufel könnte doch einen luchsäugigen Burschen des Wegs daher führen, der uns beisammen sähe und den malerischen Contrast zwischen Euch und mir seinem Gedächtniß einprägte. Ihr seid ein auffallend schöner Mann, Salvatore, und ich, in meiner knochigen Hagerkeit, bin auffallend häßlich. – Ja, Ihr glaubt nicht, was manche Menschen elnpfänglich sind für die Aufbewahrung solcher effectvollen Eindrücke. Ich könnt’ Euch ein Beispiel erzählen – wie ein Schurke mich wiedererkannt hat, der mich ein einziges Mal – aus nächster Nähe freilich – Sprechen wir nicht davon! Durch solche Erfahrungen wird man gewitzigt.“

Er hatte einen künstlichen Bart aus der Tasche gezogen, den er jetzt mit zwei geschickten Griffen befestigte.

„So! Nun dürfte mir mein eigner Vater begegnen ... Kommt, wir können getrost in der Richtung der Chiaja ein wenig auf- und niederspazieren. Das Ufer von Chiatamone ist wenig belebt, und so zwischen den beiden schroff gethürmten Castellen wandeln wir gleichsam auf symbolischen Wegen. Die Stimmung, guter Freund, die Stimmung thut außerordentlich viel! Ihr müßt Euch frühzeitig mit dem Gedanken vertraut machen, daß Ihr demnächst hinter den Mauern von Pizzo Falcone Quartier nehmen werdet – als Staatsverbrecher – und wenn die Sache auch nur drei oder vier Monate währt, und Monsignore De Fabris Euch jede Erleichterung verschafft, die mit dem Aufenthalte im Staatsgefängniß vereinbar ist – ungemütlich wird Euch die Quarantäne schon werden. Ueberhaupt – wenn Ihr auch nur entfernt an Eurer Fähigkeit zweifelt, die Rolle so durchzuführen wie sie gespielt werden muß, dann besinnt Euch, Signore! Seiner Eminenz ist natürlich mit einer Komödie, die schließlich durch die Schwäche des Haupt-Acteurs in die Brüche geht, nicht gedient.“

„Was ich auf mich nehme, will ich schon durchführen,“ murmelte Salvatore. „Zuvor aber – meinen Brief habt Ihr gelesen – Ihr wißt also –?“

„Vollkommen,“ unterbrach ihn der Andre. „Ich weiß, daß Ihr die Aengstlichkeit in Person, daß Ihr ein Mensch seid, der es Schwarz auf Weiß haben will, daß er geboren ist! Gleichviel! Ich habe zwar, wie Ihr begreifen werdet, in der kurzen Zeit keine Gelegenheit gehabt, den Monsignore von Eurem Verlangen in Kenntniß zu setzen; Seine Eminenz jedoch ist ein so leutseliger Herr ... Ich zweifle keine Secunde, daß er Eurem Wunsche entsprechen wird.“

Salvatore athmete heftiger, – nicht nur im Ueberschwang der Freude über die nunmehr erlangte Gewißheit, daß Alles in Ordnung sei, sondern auch im Hochgefühl über die Aussicht, dem ersten Beamten des Königreichs gegenüber zu treten, seine Stimme zu hören, ja, in Gemeinschaft mit ihm eine That zu erörtern, die er jetzt mehr als je für die preiswürdige Handlung eines wahrhaften Patrioten hielt.

„Ihr glaubt im Ernste, Signore?“ fragte er zaghaft.

„Ich möchte meinen Kopf dafür einsetzen. Natürlich, ob Monsignore in den nächsten Tagen schon Zeit finden wird, das kann ich bei der Unmasse von Geschäften, die ihn fortwährend in Anspruch nehmen, unmöglich voraussagen. Morgen in aller Frühe wende ich mich an’s Secretariat mit der Bitte um eine Audienz. O, ich gelte etwas bei dem General-Secretär, – und dann: Seine Eminenz weiß ja, um was es sich handelt! Das ist nicht so, als petitionirte der Erste, Beste um Vorlassung, – obgleich Seine Eminenz, wie gesagt, auch gegen Unbekannte voll Gnade und Huld ist.“

„Ja, ja, ich weiß,“ murmelte der Apulier. „Man rühmt seine Güte, seine Herablassung. Jüngst noch sah ich mit eigenen Augen ...“

Emmanuele blieb stehen.

„Was saht Ihr?“ fragte er lauernd.

„Seine Eminenz – oder richtiger: die Gefolgschaft Seiner Eminenz, denn der Cardinal selber saß im geschlossenen Wagen –; die beiden Lakaien aber, die hinten auf dem Sprungbrett der Equipage standen, streuten die ganze Chiaja entlang Geld unter das Volk, sodaß die Lazzaroni sich in unentwirrbarem Knäuel rechts und links über einander balgten und bei all’ dem Stoßen und Ringen unaufhörllch: ‚Es lebe seine Eminenz!‘ schrieen.“

„Ja, ja, ich kenne das,“ versetzte Nacosta; „und Seine Eminenz ließ bei diesem Jubelgeschrei die Glasscheibe hernieder und dankte dem Volk und hob die Rechte zum Segnen? Ihr habt dies milde, freundliche Antlitz bewundert, die dunklen Augen mit den buschigen Brauen, die dem Ganzen trotz der freundlichen Milde etwas Kräftiges, ich möchte sagen: Martialisches leihen ...?“

Salvatore verneinte.

„Dicht genug drängte ich mich heran,“ fuhr er nach einer Pause fort, „aber Monsignore blieb unsichtbar, und ein Muschelhändler, der mir zur Seite stand, erklärte, das sei die Regel.“

Emmanuele hatte diese Antwort vorausgesehn und deshalb in die begeisterte Schilderung, die er entwarf, mehr von der Physiognomie Marsucci's als von der Seiner Eminenz gewoben. Wie er so im Gedächtniß die beiden Köpfe verglich, meinte er, es könne nicht schwer halten, mit einiger Kunst sogar thatsächlich eine gewisse Aehnlichkeit herzustellen. Das runde, volle Gesicht Marsucci’s hatte, wenn er bei Laune war, etwas Behäbiges, Wohlwollendes; auf den martialischen Ausdruck der Stirn und der Augen hatte Nacosta den Apulier jetzt vorbereitet, und auch hier ließ ein Zuviel sich beseitigen. Proben seiner Verstellungskunst hatte Marsucci zum Leidwesen Emmanuele’s während der letzten Monate ausreichend abgelegt: wenn der Mensch also einwilligte, so lag kein Hinderniß vor.

Die beiden Männer betraten die Villa Reale und wandten sich, durch die nächste Oeffnung der Brustwehr schreitend, an’s Meeresufer, da die Spaziergänger unter den Bäumen der Villa wieder zahlreicher wurden.

„Ich bin gekommen,“ sagte Nacosta, „nicht allein um Euch mitzutheilen, daß Eurem Wunsch Nichts im Wege steht – sondern auch, um noch einmal Euch klar zu machen, wie schwer die Aufgabe ist, die Ihr Euch vorgesetzt. Es ist ja richtig, die Summe, die Monsignore uns zusichert, ist kolossal, und das Bewußtsein, dem Valerlande einen rühmlichen Dienst zu leisten, lockt Euch vielleicht noch entschiedener. Aber, aber, Signore, ich wiederhol’ es Euch: es ist ein hartes Stück Arbeit! Ich will jetzt die Entbehrungen, die Ihr Euch auferlegt, die lange Hast hinter den Mauern von Pizzo Falcone, die üble Meinung der Patrioten, die Euch bedrücken und kränken muß, nicht weiter erörtern; Eins aber macht mich noch in zwölfter Stunde bedenklich! Werdet Ihr die Kraft und die Ruhe besitzen, all die Phasen Eures Processes zu überstehen, die hundertfachen Verhöre, bei denen Ihr Nichts aussagen dürft, als was wir demnächst vereinbaren werden, die Verurtheilung, die natürlich seitens der Richter vollkommen ernst gemeint ist, und schließlich die Hinausführung nach dem Platze der Erecution, bis zu dem letzten Augenblicke, in welchem die Begnadigung eintrifft . . . ? Habt Ihr Euch das Alles kaltblütig überlegt?“

Der Apulier blickte gedankenvoll in die verschäumende Brandung. Der heuchlerische Nacosta hatte ihn vortrefflich berechnet. Bei der Veranlagung Salvatore’s gab es kein sichreres Mittel, ihn im Geleise zu halten und seine Absichten zu befestigen, als wenn man Bedenken äußerte und ihn scheinbar zurückdrängen wollte.

„Signore,“ sagte der junge Mann, „sobald ich die unzweifelhafte Gewißheit erlangt habe, daß der Cardinal unsere Pläne genehmigt, sobald bin ich zum Aeußersten fähig – darauf könnt Ihr die Hostie nehmen! Die Komödie freilich mit dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_294.jpg&oldid=- (Version vom 13.4.2021)