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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


„Ich habe genug,“ stöhnte der Werfel, „Thrinel, dieses Blut, das ist ein schlimmes Blut gewesen. Legt’s mich tief in die Erden, daß ich die Weiber in Ruhe laß. Thrinel, geh’ zum Andern, der ist noch gesund.“ –

Vor wenigen Jahren hat sich das zugetragen in einem Hochthale der Steiermark. Der Schuster wollte die Bauerstochter hierauf zum Weibe haben, sie sagte:

„Ich bin Dir nicht feind, Sydel, aber ich nehme Dich nicht. Der Werfel thäte zwischen uns stehen ...“

So hatte sie der Alte herumgekriegt. Einen, der ihretwegen lebt, thatet und leidet, können die Weiber vergessen, aber Einen, der ihretwegen stirbt, den vergessen sie nicht. Frischt schon nicht immer die Liebe das Gedenken auf, so thut’s doch die Eitelkeit gewiß. –

Es giebt Leute, denen die Liebe ohne öffentliches Ausrufungszeichen besser behagt.

„So warm is ka Feuer,
Ka Gluath is so hoaß,
As wia hoamliche Liab,
Von der Neamand was woaß.“

Oder:

„Wia stiller die Nocht,
Um so schöner sein d’Stern,
Wia hoamlicha d’Liab,
Desto mehr hab’ ih’s gern.

Ih thua dih wohl liabn,
Aba sagn därfst es nit,
Wan’s d’Leut amal wissn,
Nachher mag ih dih nit.“

Für diese Art der Liebe ist der Maibaum nichts, sie hat nicht die Wege und nicht die Absicht, den Priester am Altare in ihre Sache dreinreden zu lassen. Ein Maisträußlein von Veilchen und Rosenknospen, das in heimlicher Nacht der Bursche der Auserwählten an’s Fensterlein steckt, hat für Manche mehr Anwerth, als der hochragende weiße Baum, aber das heimliche Sträußchen – ich möchte es trotzdem der Jungfrau nicht rathen – es ist ein gefährlich Ding. Aus dem Maibaume kann man Brautstäbe schnitzen, wie solche früher als Zeichen der Würde des Ehestandes getragen worden sind. Der Strauß welkt aber, und wenn man seine dürren Blätter in’s Gebetbuch legt und sie in späteren Tagen wieder ansieht, so muß man dabei weinen. –

Ein junger Bauerndichter hat einst seiner Liebsten den Maibaum unter Couvert geschickt:

„Der Mai, der schön Mai
Is erfreuliche Zeit,
Is die ganz Welt voll Liab
Und voll Lustbarkeit.

Im Wasserl drein glanzt’s
Und in Lüften is ’s z’hörn,
Auf’m Bamerl steht’s g’schriebn,
Daß Du mein sollst wern.


Es sung schon das G’sangl,
Es sung schon dä Weis
Der Adam und d’Eva
Im Paradeis.“


Dieser Maibaum oder Maistrauß ist bis heute noch nicht verdorrt; der Poet hat die Braut zum rosengeschmückten Altare und von demselben in sein Haus geführt. Das Haus wird beschützt von einem stattlichen Fichtenbaume, der im Sommer die Blitze wehrt, im Winter die Stürme, und im Frühling ein grünender Tummelplatz ist all den munteren, jubelnden Vöglein, die das stille häusliche Glück hell hinausschmettern unter dem blauenden Himmel über die blühende Erde. Ist er euch recht, dieser Blick auf das aus der Mode gekommene Eheglück? Ich sage euch das: der wahre Liebes-Mai unseres Lebens liegt in der Ehe. Alles Andere ist – April – !


Blätter und Blüthen.


Ein Liebling der Jugend. Die Zeit ist wieder einmal da, in welcher der summende Frühlingsbote, der Maikäfer, die Lüfte durchsaust. Er ist ein bevorzugter Liebling der Jugend, die ihn gern auf den Finger setzt und dann zum Auffliegen auffordert, indem sie singt:

„Maikäfer, flieg’,
Dein Vater ist im Krieg,
Deine Mutter ist im Pommerland,
Pommerland ist abgebrannt,
Maikäfer, flieg’!“

Was haben diese Worte wohl für eine Bedeutung? Eine Antwort hierauf ist nicht leicht zu geben, denn die Kinderreime enthalten überhaupt nicht selten noch ziemlich unaufgeklärte mythische Elemente; aber es läßt sich in diesem Fall eine Erklärung versuchen. Wie der Storch, so wurde auch der Käfer als der Seelenbringer der Kinder angesehen, und zwar besonders der Marienkäfer (Coccinella). Ehedem der Göttin Frouwa, Fro’s Schwester, der Göttin der heiteren Lust, geheiligt, ward das Thierchen, da Frouwa vielfach mit der Göttin Frigga zusammenfällt, Frigjehönna genannt und kam später in den Dienst der Jungfrau Maria, woher es nun seine zahlreichen Namen hat. In Sachsen heißt es bei Dresden Herrgottsschäfchen, bei Leipzig Gotteskühchen, um Halberstadt Marihöne (Marienhuhn) oder Muttergotteslämmchen, in Westfalen Hiärguatshainken (Herrgottshühnchen) oder Sunnenkieken (Sonnenkühchen), in Schwaben Frauenkühli etc. Nach dem Glauben des Volks wohnte der Käfer bei der Göttin Frigga droben im lichten Gewässer oder im Kinderbrunnen. Man darf ihn nicht tödten, sondern muß ihn, wie den Maikäfer, auf den Zeigefinger setzen, unter einem Reimspruch bis an dessen Spitze hinauflaufen und fliegen lassen: dann holt er gutes Wetter oder ein kleines Kind. Auch der Storch holte die Kinder ursprünglich aus dem Wolkensee, von welchem die irdischen Seen und Brunnen nur Abbilder sind, in denen sich die Wolken spiegeln. Dem Marienkäferchen rufen die Kinder in Franken zu:

„Herrgottsvogella, flieg auf,
Flieg mir in den Himmel ’nauf,
Bring a goldis Schüssela ’runter,
Und a goldis Wickelkindla drunter.“

In Pommerellen aber singen sie:

„Herrgottspferdchen (-Kuhchen) fliege,
Vater ist im Kriege,
Mutter ist in Engelland,
Engelland ist abgebrannt,
Herrgottspferdchen (-Kuhchen) fliege.“

Und im Oldenburg’schen heißt es:

„Sünneküken flieg,
Din Vader is in Krieg,
Din Moder is in Pommerland,
Pommerland is affebrant,
Sünneküken flieg.“

Diese Reimsprüche aus Pommerellen und dem Oldenburg’schen unterscheiden sich, wie ersichtlich, durch fast nichts von dem Spruche, welcher beim Auffliegen des Maikäfers gesungen wird, Marien- und Maikäfer fließen also in einander, und letzterer ist demnach auch wohl, wie jener, Seelenbringer gewesen. Und zwar holten sie die Seelen, wie gesagt, aus Brunnen, Quellen, Teichen, den Ein- und Ausgängen der Unterwelt, aus welcher „Frau Holle“ die Kinderseelen schickt. Frau Holle ist Frigga, die Gemahlin Wuotan’s; im Mai, also in dem Monat, in welchem die verjüngte Natur Früchte ansetzt, vermählt sie sich alljährlich mit ihm auf’s Neue. Der Maikäfer erscheint in demselben Monat und hat von ihm seinen Namen; in ihm gräbt er sich in die Erde und legt Eier. Sollten da nicht unsere Vorfahren, zu deren charakteristischen Eigenschaften ein hervorstechend ausgeprägtes Naturgefühl gehörte, den Maikäfer mit Wuotan und Frigga, Frau Holle, in Beziehung gebracht, ihn zu einem denselben geweihten Wesen gemacht haben? Dann werden auch die angeführten Verse verständlich. Wuotan, der Vater, ist im Kriege und zwar gegen die bösen Nachtgeister, noch heute als „wilder Jäger“ im Kampfe mit den nahenden Winterriesen, wenn er seine herbstlichen Umgänge hält.

Dann aber steht das Firmament infolge dieses Krieges in Flammen, also das Reich, in welchem der Seelenbringer, des Käfers Mutter, wohnt. Dieses Seelenreich wird gewöhnlich „Pommerland“ genannt; wie aus dem aus Pommerellen mitgetheilten Reimspruche ersichtlich ist, aber auch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_307.jpg&oldid=- (Version vom 22.4.2021)