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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

die eigentlich gar nicht aussahen wie solche, brachten Karl Dernau häufig schwere Waarenladungen, und mein Fritz, der doch als Advocat niemals mit solchen Sachen zu thun hatte, war stets beim Ausladen der Waaren, die dann bei anbrechender Dunkelheit im Keller verpackt wurden, beschäftigt. Unsere Männer hatten ein Geheimniß vor uns, das war klar! Eine Zeitlang ertrugen wir geduldig diesen unnatürlichen Zustand, dann aber verschworen wir uns, der Sache durch List auf den Grund zu kommen, und da hatte die Heimlichkeit bald ein Ende, wenigstens für die Lore und für mich. Kind, wir triumphirten nicht schlecht, das kannst Du mir glauben!

Karl und Fritz, so erfuhren wir, waren Mitglieder jenes Bundes, der heimlich und über ganz Deutschland verzweigt dahin strebte, das Vaterland von der Fremdherrschaft zu befreien. Die sogenannten Fuhrleute waren ebenfalls Bundesbrüder, und ihre Waaren Waffen, die in Dernau’s Keller versteckt wurden. Dort, wo Lorchen als Opfer französischer Willkür gefangen gesessen, hielten die Verbündeten ihre Berathungen. Dann zündeten wir Frauen oben im Saale die Kronleuchter an, klirrten mit Gläsern und trugen Flaschen und Schalen hin und her, um den Verdacht von den unterirdischen Versammlungen abzulenken und den Leuten Sand in die Augen zu streuen.

Was überall in der Stille vorbereitet war, das trat zu Tage, als der Aufruf des guten Königs erschien: „An mein Volk!“ In hellen Flammen loderte die Begeisterung empor und entzündete alle deutschen Herzen. O Kind. es war eine große Zeit! Nie werde ich den Tag vergessen, an dem der Pfarrer auf dem Marktplatze, denn die Kirche faßte die Menschenmenge nicht, die Worte des Königs las und die Männer aufforderte in den heiligen Befreiungskrieg zu ziehen. Es war eine Bewegung ohne Gleichen; weinend umarmten sich Freunde und Bekannte, die ärgsten Feinde reichten sich die Hand. Die Ersten, die sich stellten als freiwillige Kämpfer für’s Vaterland, für den heimischen Herd, für Weib und Kind, waren Karl Dernau und mein Fritz, und Viele, Viele folgten ihrem Beispiele. Und dann kam der Abschied, der schwere Abschied! Ohnmächtig brach ich zusammen, aber das Lorchen hat sich wie eine Heldin gehalten.

Wir Beiden blieben treu zusammen in der Zeit des qualvollen Wartens, der Zeit des Kampfes und der Trübsal. Endlich, endlich kamen die Siegesbotschaften! In trunkener Begeisterung trug man sie von Stadt zu Stadt, und von allen Bergen loderten die Freudenfeuer himmelan. Ein Rausch hatte sich Aller bemächtigt: Das Vaterland war frei! Der Feind vertrieben! Und unsere Lieben lebten! Im Lorbeer des Sieges kehrten sie zurück! Wir hatten viel Leid erduldet, allein wir priesen uns glücklich, daß es uns vergönnt war, solch große Zeit zu schauen!

Aber kleine Lili, wie bin ich in’s Plaudern gekommen! Ich wollte Dir ja nur –“

„O Großmutter,“ unterbrach ich sie, stürmisch dankend, „laß Dich’s nicht gereuen! Ich möchte Dir noch den ganzen Tag zuhören!“

„Nun,“ lächelte sie, „so hast Du doch Deinen Lohn dafür, daß Du die Kirchenfeier opfertest, um mir alten Frau Gesellschaft zu leisten. Eigentlich wollte ich Dir nur die Geschichte der Einsperrung von Dernau’s Tant’ erzählen, damit Du daraus ersehen könntest, welch’ gefährliche Gabe die Schönheit ist!“

„Ei, Großmutter,“ erwiderte ich, „Deine Moral gefällt mir nicht! Die Franzosen sind weit, und was mich anbelangt, so möchte ich es schon mit ein bischen Schönheit versuchen!“

Sie wollte böse werden, allein es zuckte verrätherisch um ihren Mund, wie verhaltenes Lachen, und ehe sie das bekämpft hatte und mit mir schelten konnte, sprang ich auf.

„Hörst Du,“ rief ich, „es läutet schon eine ganze Weile; die Trauung ist aus, nun müssen sie gleich kommen!“

Eilig ging ich noch durch alle Zimmer, ob’s überall recht schön geordnet sei, und streute Blumen bis vor die Hausthür. Dann warteten wir am Fenster, die, Großmutter und ich. Und nicht lange währte es, da kamen sie. Ein langer, langer Zug! Erst die Alten, viele Paare, dann das junge Volk; manch Brautpärchen unter diesen, die von der Zukunft einen ähnlichen Tag erhofften. Zum Schluß kamen die Urenkel, blühende Kinder, die blumengeschmückt wie Genien des Mai auf leichten Füßchen daher trippelten.

Am schönsten aber war das goldene Brautpaar! Wie gut der Tant’ das blaugeblümte Damastkleid stand, das gestickte Spitzentuch und im Haar die Goldmyrthen! Ohm Dernau sah gar stattlich aus mit seinen krausen, schneeweißen Haaren; ungebeugt, eine hohe, würdevolle Gestalt, neben dem Goldsträußchen im Knopfloch die Orden aus den Freiheitskriegen tragend. Er führte mit sorgsamer Liebe das Lorchen und sah so zärtlich auf die kleine zierliche Gestalt nieder, wie er es wohl damals gethan, als sie noch die junge Schönheit war, die sein Weib wurde vor fünfzig Jahren im sonnigen Mai am Tage vor Pfingsten.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 368. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_368.jpg&oldid=- (Version vom 2.6.2021)