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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

No. 24.   1884.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Brausejahre.

Bilder aus Weimars Blüthezeit. Von A. v. d. Elbe.
(Fortsetzung.)

Die Familie saß in zwangloser Weise beim Frühstück, und ein allgemeiner fluchtartiger Aufstand, durch des Bruders Meldung veranlaßt, brachte diesen in große Verlegenheit.

Der alte Kammerpräsident, aus dem Kanapee aufgescheucht, entfloh mit flatterndem Schlafrock um die Ecke in die Thür eines Nebenzimmers. Er zerbrach im Verschwinden seine Thonpfeife, die funkensprühend in das Zimmer zurückflog. Seine Gemahlin, ebenso nachlässig gekleidet und mit einer Filetarbeit an der Decke des Frühstückstisches beschäftigt, brachte ein bedenkliches Klirren und Schwanken des Geschirrs hervor, der Milchtopf fiel um und ergoß seinen Inhalt; ein wohlgenährter Mops saß zornig aufrecht und kläffte wüthend die Ruhestörer an. Gustchen hielt, was zu halten war, drückte dann die Mutter wieder in ihre Ecke und hüllte sie in eine Mantille. Zur Seite wurde eine zweite Frühstücksstunde gestört, die Frau Leonore Kalb ihrem Kindchen bereitete; die junge Mutter beschäftigte sich erröthend mit ihrem Anzuge, während das kleine Wesen schreiend und zappelnd die Fortsetzung des Mahls begehrte.

Fürst und Dichter traten lächelnd unter diese Gruppen. Nach und nach beruhigten sich Lärm und Aufstand.

Die Kammerpräsidentin empfing den Besuch mit rasch wiedergewonnenem Anstande; Frau Leonore entfloh mit ihrem Kleinen; der Mops leckte die Milch, und Gustchen sowie der Bruder unterstützten die Mutter in höflichen Formen und artigen Reden.

Nach einiger Zeit kam auch der Vater in gewählterem Anzuge, doch mit aufgeregtem Schwenken des Haarbeutels wieder zum Vorschein; er suchte mit einer Menge unterthäniger Floskeln den vorhergehenden Eindruck gut zu machen und die geehrten Gäste von ihrem Werth und der ebenso unwürdigen wie zerknirschten Persönlichkeit ihres submissest ersterbenden Wirths zu überzeugen. Karl August’s frische Natürlichkeit ertrug dergleichen nicht lange; er fuhr kurz dazwischen und sagte, was er von seinen „unterthänigsten Knechten“ wollte.

„Sie müssen mir den Doctor gut halten, Präsident!“ sprach er bestimmt. „Sie müssen ihm nach Kräften unser Weimar angenehm machen. Er muß sich frei bewegen, thun und lassen können, was er mag; geben Sie ihm einen Hausschlüssel und die Kost auf seinem Zimmer, wenn er es befiehlt. Wünscht er Ihre Gesellschaft, so wird er zu Ihnen kommen; größtentheils wird er wohl bei mir im Fürstenhause sein. Diesen Mittag essen wir bei Ihnen; – Ihr Sohn sagt, daß Sie eingerichtet sind,“ fügte er freundlich zur Hausfrau gewandt hinzu – „und die Damen werden sich hoffentlich nicht ausschließen! Wir werden dann auch Ihre Frau begrüßen, Kammerjunker, die wir diesen Morgen in den süßesten Pflichten störten, und wollen munter und guter Dinge zusammen sein. Einige Winke, wen ich gern hier sehen würde, habe ich schon fallen lassen.“

Mit diesen Worten stand er auf. Alles folgte seinem Beispiele; Goethe brach eine halblaute neckische Unterhaltung mit seiner reizenden Nachbarin ab, um gleichfalls dem Kammerpräsidenten und seiner Gemahlin einige Worte zu sagen, während der Herzog sich jetzt Augusten nahte:

„Ich glaube, Frau von Werthern geborene Münchhausen ist eine gute Freundin von Ihnen?“

Gustchen sah erstaunt zu ihm auf; er aber fuhr eilig fort:

„Es freut Sie gewiß, die schöne Frau einmal zu sich einzuladen, und es würde mir angenehm sein, Ihre Freundin am heutigen Mittage hier zu sehen; gehen Sie gleich selbst zu ihr, dann wird sie gewiß kommen.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich rasch um und ging. – Karl August und Goethe verließen bald darauf das Haus, um sich nach dem Witthums-Palais zur Herzogin Anna Amalie zu begeben, welche der Herzog gern für den Freund gewinnen wollte.



3.

Der alte Oberkämmerer von Göchhausen galt für den wunderlichsten Sonderling in ganz Weimar. Unverheirathet, wohlhabend, in seiner Jugend kränklich, hatte er eine ängstliche Selbstpflege, einen Cultus der Gewohnheit und Regelmäßigkeit sich zur Lebensaufgabe gemacht. Was nicht in nächster Beziehung zu seiner Person stand, existirte für ihn nicht. Er besaß ein eignes Haus an der Breiten Gasse, wo er mit Ursula, seiner Wirthschafterin, und Rohrmann, seinem Bedienten, seit etwa zwanzig Jahren in immer gleicher Weise lebte, sich auch einbildete, nie anders leben zu können. Seine Geschäfte nahmen wenig Zeit in Anspruch. Die Acten wurden jeden Morgen Rohrmann überantwortet und jeden Abend wieder abgeholt; nur einmal in der Woche mußte er in die Kanzlei, um dem Herzoge Bericht abzustatten und seine Befehle entgegen zu nehmen. Wenn er zu Hofgesellschaften befohlen wurde, ging er hin, denn er hätte es der Würde eines

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 389. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_389.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)