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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Haar aus der Stirn. „Alles, Alles! Bist Du nicht die kleine Maria von einst, die Zingarella, die mit mir hinaufgeklettert nach den Höhen von Anacapri, – die Freundin, die ich beschirmte, das Schwesterchen, das ich auf den Armen getragen habe? Und ich sollte Dich sterben sehn? Ich sollt’ es ertragen, daß Du da drunten zerschellt wärest an den gräßlichen Klippen? Dieses Haupt, das so oft an meiner Schulter geruht – weißt Du noch, wie Du einschliefst – droben auf der Höhe des Salto – wie dann der Regen kam und der Sturm –! Ach Maria, waren das glückselige Zeiten, sonnig und rein, wie sie niemals wiederkehren, niemals, niemals! Nein, fürchte nichts, Zingarella! Ich werde nicht wieder anderen Sinnes werden! Ich weiß jetzt, daß der Groll und der Haß kein Balsam sind für die kranke, blutende Brust, – und seit ich’s erkannt habe, ist mir leichter und freier. Ich will Dich lieben, trotz alledem, – bis in den Tod – ich will auch ihm verzeihen, was er mir angethan, – um Deinetwillen, Maria, um Deinetwillen!“

Der Schreck, der immer noch in ihm nachzitterte, verlieh dem sonst so Wortkargen eine rührende, wundersame Beredsamkeit. Das stürmische Herz Maria’s ward ruhiger und stiller bei dem Klang seiner Stimme. Sie träumte sich zurück in die Zeit ihrer Kindheit. Es war nicht anders als damals, wie er sie in Sturm und Gewitter hinunter getragen vom Salto, und sein eignes Gewand um ihre Schultern gelegt, unbekümmert darum, daß er bis auf die Haut durchnäßt wurde. Wie gut war er damals gewesen, wie treu und aufopfernd! Ach, wenn er jetzt mit halb soviel Geschicklichkeit und Eifer wie damals den Weg durch die Nacht suchte, wenn er aushielt in seiner milden Gesinnung – dann war Salvatore Padovanino gerettet! Und nun fühlte sie auch: jetzt erst war sie fähig, das Glück, das die Zukunft ihr bringen konnte, voll zu genießen! So lang’ Alberto dem Mann ihrer Wahl feindselig gegenüber stand, so lange hing es wie eine bängliche Wolke über dem Frieden ihres Gemüths . . .

Eine Weile saßen sie so – schweigend, Jedes mit seinen Gedanken beschäftigt. Dann schritten sie Hand in Hand nach der Hütte zurück.

Der Plan der Zingarella war bald entwickelt. Es handelte sich um die Bewältigung einer Schildwache, die gepackt und geknebelt sein mußte, eh’ sie im Stande war, einen Laut von sich zu geben. Alle Einzelheiten hatte Maria erkundet, alle Möglichkeiten geprüft: gelang dieser Angriff, so war das Spiel so gut wie gewonnen.

Nachdem sich Alberto einmal entschlossen hatte, war er, ganz wie Maria, blind gegen das Bedenkliche des Unternehmens. Er sah nur die Lichtseiten; er war Feuer und Flamme.

So faßten sie den Beschluß, heute noch aufzubrechen – und zwar von der großen Marina aus, dafern sich dort eine Fahrgelegenheit böte, sonst in der Barke Alberto's vom Strand der Marina Piccola.

Es war jetzt vier Uhr Nachmittags. Alberto machte sich reisefertig. Da Maria noch allerlei zu besorgen hatte, was mit den Scheingründen für ihre Fahrt nach Neapel zusammenhing – sie glaubte so jeden Verdacht im Keim zu ersticken –, so war keine Zeit zu verlieren.

Sie traten die Wanderung über den Bergrücken an. Der Fußpfad war vereinsamt wie immer. Unter dem Steigen sprachen sie kaum eine Silbe, so sehr nahm ihr Vorhaben Beide in Anspruch. Alberto befand sich in einer Stimmung, die er vor einer Stunde noch für unmöglich gehalten. Es war das Bewußtsein des Sieges über sich selbst, was ihn so freudig hinaus hob über das alte, grausam wühlende Weh ...

Sie näherten sich dem Städtchen. Rechts vom Wege lag die Osteria Romana, gegen Abend ein Sammelpunkt Derer, die Interesse hatten für die Ereignisse in Gesellschaft und Politik; denn der Wirth, ein ehemaliger Barbier aus Pozzuoli, hielt zwei Journale, die er eifrig studirte, und wenn die Osteria gefüllt war, gab er zum Besten, was er so des Tags über in seinen kahlen, viereckigen Schädel hineingelesen. Er wußte genau, wie viel Gefangene und Todte der Heiden-Sultan im letzten Gefechte wider die Griechen verloren hatte, ob in Frankreich ein neuer Skandal in Sicht war von wegen Veruntreuungen der Staatsgelder, was England für Geschäfte gemacht mit den Waffenlieferungen an die griechischen Patrioten und wie viel Wachteln der König beim letzten Jagdausfluge nach Puglia geschossen.

Jetzt, gegen halb fünf, war es noch bei weitem zu früh für diese Erörterungen, gleichwohl stand vor den Thüren der Osteria eine lebhaft erregte Gruppe von sechs oder acht Personen, und der Wirth mit der phänomenalen Glatze mitten dazwischen, gesticulirend, wie ein begeisterter Fastenprediger.

„Bei San Gennaro, so schwatzt doch nicht alle auf einmal!“ rief ein stämmiger Graukopf, der etwas schwerhörig war. „Also was hat Euch der Signor Gustavo erzählt ...?“

„Daß es aus ist mit der Herrlichkeit des Monsignore De Fabris! Bei Nacht und Nebel hat er die Flucht ergriffen – nach Gozzo – Ihr wißt doch, die Insel, die den Briten gehört – und wenn der Polizei-General nur gewollt hätte – aber des Heiligen Vaters wegen hat man den Hochverräther entkommen lassen . . .“

„Was? Unsinn! Das glaub’ Euch ein Andrer! Der Monsignore . . . Ihr seid betrunken, Giuseppe!“

„Und Ihr ein Laffe und ein rechter Haus-Narr! Wenn Ihr’s nicht glaubt, – weshalb fragt Ihr denn? Zudem – der Signor Gustavo muß jeden Augenblick ’rüber kommen. Er hat kolossalen Durst mitgebracht von der Fahrt. Wißt Ihr, die Aufregung! Ganz Neapel wie auf den Kopf gestellt! Die Welt umgewandt, als wär’ sie ein Zwillchrock! Da, seht Ihr, ich sagt’ es ja! Nur die Kleider hat er gewechselt, und nun verlangt’s ihn schon, sein Müthchen zu kühlen. Grüß’ Gott, Signore! Freut mich, daß Ihr dem armen Giuseppe ein Bischen zu Hülfe kommt. Der Piccolo schilt mich von Sinnen, da ich doch nur erzähle, was ich glaubhaft aus Eurem eignen Munde vernommen!“

Der dänische Maler war fast gleichzeitig mit Alberto und Maria zu der Gruppe herangetreten.

„Ja, Leute!“ begann er mit seiner gutmüthig dröhnenden Baßstimme – „das hilft nun Nichts! Ihr müßt Euch mit dem Gedanken vertraut machen, daß die glorreiche Herrschaft des Cardinals gründlich zu Ende ist. Vielleicht verwindet Ihr’s, wenn ich Euch sage, daß Monsignore De Fabris der geschworne Feind seines Königs und des napoletanischen Reiches war ...“

„Oho!“ riefen drei Stimmen zugleich.

„Es ist, wie ich Euch sage! Ich weiß es aus zuverlässigster Quelle, denn mein Freund Antonio Cesari – von jetzt ab der erste Rathgeber Eures Monarchen, hat den Monsignore entlarvt.“

„Cesari? Der Freiheitsfreund?“

„Derselbe! Seit lange schon war er den Intriguen Seiner Eminenz auf der Spur; erst gestern jedoch gelang es ihm, die vollgültigen Beweise zu bieten. Monsignore De Fabris war von dem französischen Hofe erkauft: Nichts Geringeres hat der Landesverräther erstrebt, als die Vernichtung Eurer Selbstständigkeit, als die Auslieferung Neapels an das übermächtige Frankreich!“

„Und Cesari hat das entdeckt?“

„Cesari.“

„Der Avvocato soll leben! Die ‚Freiheitsfreunde‘ sind also doch nicht so üble Gesellen, wie die ‚Gazzetta‘ uns einreden möchte!“

„Das hat auch der König gesagt,“ fuhr Gustav Nyborg mit einem Blick auf Maria fort; „schon damals, wie er vernahm, daß Antonio Cesari die selbstlose Thätigkeit für Salvatore Padovanino auch dann mit dem nämlichen Eifer fortsetzte, als die wahre Gesinnung des Apuliers bekannt geworden. Nicht nur Salvatore, den vermeintlichen ‚Freiheitsfreund‘, den Parteigenossen, nein auch Salvatore, den fanatischen Anhänger der Gegenpartei, auch ihn hat Cesari wie einen Bruder beschirmt und beschützt – weit über die Grenzen seines Vertheidiger-Amtes hinaus, mit Aufbietung aller Kräfte, mit unsäglicher Hartnäckigkeit – und nur so gelang es ihm, den Unglücklichen vom Tode zu retten. Da hat der Monarch denn zu Monsignore De Fabris geäußert: ‚Cardinal, ich glaube, Ihr malt mir die Freiheitsfreunde zu schwarz!‘ Das war natürlich ein Todesschreck für den Monsignore, und von diesem Tage an standen die Zwei sich gegenüber, wie altrömische Fechter, bis dann Cesari dem geistlichen Herrn den Schild von der Brust riß und den zermalmenden Streich führte. Das Königreich ist gerettet, – und Cesari steht künftighin an der Spitze Eures Governo’s!“

„Evviva!“ schrie’n die Capresen. Sie bedurften nochmals eines stürmischen Ausbruchs, um ihrer Verblüfftheit Meister zu werden.

„Und Ihr –“ wandte sich Gustav Nyborg zu der staunenden Zingarella – „Ihr vor Allen habt Ursache, diese Wendung zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 416. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_416.jpg&oldid=- (Version vom 2.6.2021)